Zotenreißer Stefan Raab beweist, daß man es auch als cleverer Vollidiot zum Moderator des »Kanzlerduells« bringen kann. Von Gerhard Henschel
Rühmen muß man Stefan Raab dafür, daß er vor der »Bildzeitung« nicht auf dem Bauche rutscht. Er kooperiert einfach nicht mit ihr. Er gibt »Bild« keine Interviews, betreibt keine Werbung für »Bild«, schreibt keine Kolumnen in »Bild« und verbreitet sich weder in »Bild« noch sonstwo über sein Privatleben. Im Showgeschäft nimmt er damit eine recht einsame Ausnahmestellung ein. Denn vor der allmächtigen »Bildzeitung« schlottern und kuschen 99,9 Prozent unserer Medienstars, vom jeweiligen Papst bis hin zum letzten Bundesligahinterbänkler: Wenn die »Bildzeitung« pfeift, machen sie Männchen und apportieren das Stöckchen, weil sie wissen, daß sie es sonst hintendrauf bekämen. Ob Udo Lindenberg, Angela Merkel, Alice Schwarzer, Otto Waalkes, Helmut Kohl, Frank Schirrmacher, Franz Beckenbauer, Georg Ratzinger, Dieter Bohlen, Joachim Löw oder Joachim Gauck – sie alle leben uns vor, daß man es desto weiter bringt, je breiter man sich in der »Bildzeitung« macht und je schmieriger man ihr um den Bart geht.
Stefan Raab spielt da nicht mit, und das ist wacker. Aber sonst? Bereichert hat er das TV-Unterhaltungsgenre um einige originelle Ideen: Er hopst von hohen Sprungbrettern und läßt sich auf die Nase hauen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Der Dummkopf, der sich Torten ins Gesicht werfen läßt, stellt auf Jahrmärkten eine altehrwürdige Attraktion dar, und er gibt auch in einer TV-Show etwas her.
Jetzt ist Stefan Raab allerdings dazu auserkoren worden, im Fernsehen das sogenannte Kanzlerduell zu moderieren, also das Streitgespräch zwischen der amtierenden christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem sozialdemokratischen Herausforderer Peer Steinbrück, das der Bundestagswahl vorausgeht. In der guten alten Steinzeit des Fernsehens fanden solche Diskussionen unter der Aufsicht farbloser Politikjournalisten statt, die wahrlich keine Gaudiburschen waren. Man konnte ihnen aber eben auch nicht nachsagen, daß sie sich für ihren Job durchs Possenreißen qualifiziert hätten.
Stefan Raab als Moderator der wichtigsten politischen Debatte vor einer Bundestagswahl? Man stelle sich vor, daß ARD und ZDF 1976 auf die Schnapsidee verfallen wären, die »Elefantenrunde« aus Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Franz-Josef Strauß von Didi Hallervorden moderieren zu lassen. Schmidt, Kohl, Genscher und Strauß hätten das als albernen Scherz abgetan. In dem Glauben, daß es auch im Jahre 2013 noch möglich wäre, an die Vernunft zu appellieren, sprach Peer Steinbrück sich gegen den von Edmund Stoiber närrischerweise aufgetischten Vorschlag aus, den Fernsehkasper Raab zum Co-Moderator des »Kanzlerduells« zu ernennen. Da erhob sich ein Shitstorm: Die Parteien dürften den Fernsehsendern nichts vorschreiben, und es wäre doch wunderbar, wenn sich dank Raab auch die jüngeren Leute wieder für Politik interessierten …
Steinbrück knickte ein. Er wollte nicht altmodischer wirken als Angela Merkel, die sofort mit allem einverstanden gewesen war. Er zog sein Veto zurück, nach Art der Medienhuren, denen es undenkbar erscheint, auch einmal nein zu sagen, und er gab diese Entscheidung passenderweise in einem Interview mit der »Bildzeitung« bekannt.
Bis zum 8. September hat Steinbrück noch Zeit, sich mit dem intellektuellen Profil des Politologen Raab vertraut zu machen. Zur Erinnerung: 2001 amüsierte sich Raab in seiner Fernsehsendung »TV Total« mehrmals über eine 16jährige Schülerin namens Lisa Loch, die sich an einer Miß-Wahl beteiligt hatte. Er bescheinigte dem Mädchen gute Chancen für eine Karriere in der Pornoindustrie, er präsentierte das getürkte Plakat einer »Lisa-Loch-Partei«, auf dem ein kopulierendes Paar und der Slogan »Loch für alle« zu sehen waren, und er scherzte darüber, daß man »doch heute nicht Lisa Loch heißen« müsse: »So was kann man doch heute notariell ändern lassen, zum Beispiel Lotti Loch, oder vielleicht war Lisa Loch ihr Künstlername, und die heißt nämlich Petra Pussy.«
Als Schüler hätte Raab solche Zoten allenfalls an die Toilettenwände seines Gymnasiums schmieren können, und er hätte hoffentlich ernste Probleme bekommen, wenn er dabei erwischt worden wäre. Im frühen 21. Jahrhundert entdeckte er das Zotenreißen als lukratives Geschäftsmodell, wobei er sich jedoch einen Nasenstüber holte: Lisa Loch ging vor Gericht und erwirkte die Zahlung von 70.000 Euro Schmerzensgeld zur Entschädigung für die Schweinereien, die Raab mit ihrem Namen angestellt hatte.
Aber damit ist die Sache nicht erledigt. Es gibt keine Verjährungsfrist für Akte der geistigen Selbstentblößung. Ein Entertainer, der am laufenden Meter dreckige Witze auf Kosten eines minderjährigen Mädchens reißt, bis ihm ein Richter irgendwann Einhalt gebietet, hat sich vollständig, lebenslänglich und unwiderruflich diskreditiert. Da ist nichts mehr zu retten. Der Komiker Stefan Raab, der zuvor schon genüßlich den unglückseligen Fernsehauftritt einer vogtländischen Hausfrau ausgeschlachtet und in einen Hit verwandelt hatte, ist ein Kretin, der das herausragende Talent und die Rohheit besitzt, sich über die Schwächen der Schwächsten lustig zu machen und ein Publikum zu bedienen, das über jede Gemeinheit gackert.
Und mit diesem Knallkopf, der sich in der Glotze sonst bei der »Wok-Weltmeisterschaft« und dem »Eisfußball-Pokal« sowie beim Pokern tummelt, wenn er sich nicht gerade wieder den Kopf darüber zerbricht, wie er kleine Mädchen in die Pfanne hauen kann – mit diesem Nichts, mit dieser Null, die ein jugendlicher Millionenpöbel umjubelt, weil sie allen beweist, daß man es auch als cleverer Vollidiot zu einer eigenen politischen Gagatalkshow bringen kann, wenn man nur ehrgeizig und skrupellos genug ist – mit diesem Sittenstrolch, der mehr vom Turmspringen versteht als von der Energiewirtschaft, dem Außenhandel und der internationalen Diplomatie – mit diesem Schafskopf wollen Angela Merkel und Peer Steinbrück sich vor unser aller Augen und Ohren befragen lassen? Von einem Pussy-Witzbold? Der obendrein noch Werbung für McDonald’s macht? Sowie für Erdnüsse und Lakritze?
Wir halten fest: Sowohl die Christdemokraten als auch die Sozialdemokraten haben sich dem Willen der vierten Gewalt unterworfen und akzeptieren als Gesprächspartner einen Trollo, der ihnen gute Quoten garantiert, weil er coole Klosettsprüche draufhat. Ist das nicht sonderbar?
Gerhard Henschel setzt seine Martin-Schlosser- Buchreihe mit dem 2012 erschienenen Abenteuerroman (Hoffmann & Campe) fort