Wenn die Angehörigen der sogenannten Netzgemeinde nicht gerade Kätzchenvideos verbreiten oder angewidert über das Fernsehprogramm twittern, als schließe die GEZ-Gebühr die Pflicht mit ein, sich jeden Mist anzugucken, dann veranstalten sie mit Vorliebe Shitstorms. Im Gegensatz zum »Cyber-Mobbing«, das sich gegen Privatpersonen richtet, definiert der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch den Shitstorm als »eine über soziale Netzwerke und Blogs transportierte Welle lautstarker Entrüstung über das Verhalten öffentlicher Personen oder Institutionen«.
Für Aufregung sorgte vor kurzem etwa das Gerücht, die EU plane ein Verbot von Internetpornographie. Im Angesicht des drohenden Komplettverlusts ihres Sexuallebens riefen Tausende netzaffiner junger Menschen zum Kampf. Als EU-Parlamentarier daraufhin einen Spamfilter einrichteten, um nicht mit Empörungsmails der digitalen Freiheitskämpfer überschwemmt zu werden, galt denen das als Vorbote der tugendterroristischen Zensur.
Nun stand aber nicht etwa ein Gesetz zur Abstimmung, sondern der unverbindliche »Bericht über den Abbau von Geschlechterstereotypen in der EU« des Frauenausschusses. Darin geht es in erster Linie um die sexistische Darstellung von Frauen in den Medien, und das EU-Parlament hat ihn letztlich ohne die Passage zum Pornoverbot unspektakulär abgenickt. Aber das Schöne an einem Shitstorm ist ja gerade, daß man sich nicht informieren muß, was genau einem da den Blutdruck hochtreibt.
Dabei ist es nicht grundsätzlich falsch, PR-Managern von Politikern oder Unternehmen den einen oder anderen anstrengenden Tag zu bescheren. Etwa denen des Otto-Versands, der bis vor wenigen Wochen ein T-Shirt mit der Aufschrift »In Mathe bin ich Deko« anbot – für Mädchen im Vor- und Grundschulalter. Man mag das für eine Lappalie halten; viele aber fanden, wenn man Eltern schon nicht verbieten kann, die eigene Denkferne an den Nachwuchs weiterzugeben, müsse man es ihnen ja nicht noch extra leichtmachen. Einen Tag nach den ersten empörten Postings auf Twitter und Facebook nahm das Unternehmen das Shirt aus dem Sortiment.
Daß dies nur ein winziger Erfolg im Kampf gegen die Dummheit in der Welt war, zeigten die Fans der Rechtsaußen- Band Frei.Wild. Diese war für den Trällerpreis »Echo« nominiert, wurde aber wieder ausgeladen, nachdem unter anderem die Band Mia (die vor einigen Jahren noch für ein entspanntes Nationalgefühl warb) mit einem Boykott der Veranstaltung gedroht hatte. Gänzlich unentspannt reagierten die Frei.Wild-Anhänger und versuchten es ebenfalls mit digitaler Empörung. Im Eifer des Gefechts übersahen sie allerdings, daß sie ihre rechtschreibschwachen Beschimpfungen nicht auf der Facebook-Seite der Berliner Combo, sondern auf der der britischen Sängerin M.I.A. hinterließen und damit bewiesen: Selbst für den dämlichsten Shitstorm ist ein Stück Restintelligenz nötig.
– Svenna Triebler –