Kendra Briken über Anja Röhls Buch Die Frau meines Vaters
Wer Anja Röhls Buch Die Frau meines Vaters in Erwartung einer Fortsetzung des »neurotischen deutschen Familienromans«, der Öffnung einer deutschen Familienromans«, der Öffnung einer weiteren »Akte Meinhof« oder einer politischen Verschiebung der Perspektive auf die RAF liest, wird enttäuscht. Röhls Erinnerungen an Ulrike, wie es im Untertitel heißt (Edition Nautilus, 156 Seiten, 18 Euro), sind nicht geeignet, Nachschub für die nun schon Jahrzehnte währende Schlammschlacht um die Wahrheit im Röhl-Meinhof-Komplex zu liefern.
Das Vorwort verspricht, es werde subjektiv berichtet, und Anja Röhl wählt dafür eine geschickte Strategie, denn sie spricht nicht selbst, sondern läßt sprechen: das verängstigte Kind (geboren 1955), das Widerstand als Möglichkeit erkennende Mädchen, die sich im (Arbeits-) Leben zurechtfindende junge Frau. Die familiären wie politischen Ereignisse sind in einer sich empathisch und naiv gebenden, vermeintlich altersgerechten Sprache vorgeführt, dichte Beschreibungen oder gar nachträgliche Erklärungen bietet Röhl nicht. Das Buch kennt kein Ich, reflektiert wird auf dem Erkenntnisstand der Figuren.
Ulrike M. war eine gute Mutter. Vater Röhl machte aus seinen pädophilen Neigungen keinen Hehl. Ulrike M. verfaßte aus der Haft einen Brief an ihre leiblichen Kinder, den Anja Röhl nicht weitergab. Isolationshaft ist menschenverachtend, Marxismus irgendwie eine gute Sache, die bundesrepublikanische Wirklichkeit der fünfziger und sechziger Jahre eher nicht.
Röhls Kindheit, sie mag außergewöhnlich sein, ist überlagert von Mythen und Mutmaßungen, die sich um Ulrike Meinhof und andere Prominenz ihres Umfelds ranken. Die treibende Kraft ihrer Autobiographie ist dennoch viel eher die erschreckende Normalität, die sie umgibt – Ausdruck einer repressiv-autoritären Gesellschaft.
Ulrike M. wirkt in diesem Setting nahezu zwangsläufig wie eine Lichtgestalt, ohne daß sie Heroisches tut. Sie taucht als neue Partnerin des Vaters im Leben eines sechsjährigen Trennungskindes auf, stellt ihm Fragen, fordert es zu einer Meinung auf, läßt es Pizza essen, bis es satt ist. Die kleine Anja fühlt sich ernst genommen zu einer Zeit, als man Kindern vor allem Gehorsam und stille Demut abverlangt, sie in autoritäre Heime »verschickt« hat; als man alleinerziehende, berufstätige Frauen als Rabenmütter verachtet hat; als Männer Frauen – auch Ulrike M. – wie Dreck behandelt haben. Dazu hätte es keiner linksradikalen Aktivistin und dann einer auf die Terroristin reduzierten Frau bedurft. Diese aber war Ulrike M., was später die junge Frau Anja zwingt, Position zu beziehen.
Aus der Isolationshaft bittet Ulrike M. um Anjas Besuch, ein schwieriger und von Röhl nicht immer regelmäßig aufrechterhaltener Austausch beginnt. Fortan gilt Anja Röhl dem Vater, dem Freundeskreis, dem Arbeitgeber wie dem Staatsschutz als RAF-Sympathisantin. Doch treiben weder Gefolgschaft in inhaltlicher Ergebenheit noch postpubertäre Dankbarkeit die junge Frau aus Röhls Perspektive an. Sie geht diesen Schritt mit den Zweifeln und Widersprüchen behaftet, die Ulrike M. selbst ihr vorgelebt und erklärt hat. Widersprüche, die strukturell waren (und sind) und gegen die sie gekämpft hat. Das ist der Kippunkt, an dem das Private politisch wird.
Zu Ulrike M. zu halten war damals für Anja Röhl keine Frage, sondern konsequent. Eine Entscheidung, über deren Bedingungen und Möglichkeiten sich auch heute noch viel eher nachzudenken lohnte als über die Familienaufstellung. Dazu hätte man gern mehr erfahren. Es sind diese Leerstellen, die Anja Röhl erinnernd ihren Figuren läßt, die Fragen aufwerfen und Einspruch provozieren. Viel eher als die geschwärzten Passagen, die ihre Halbschwester rechtlich durchgesetzt hat.
- Kendra Briken