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Die Quellen des Gequollenen

Bei Botho Strauß, der Utta Danella der kulturellen Oberschicht, haben Frauen statt Brüsten Ballen und statt dicken Hintern »Pepitahosen voll Gesäß«. Das Bewegungsgesetz dieses Sprachkrampfes läßt sich an des Meisters neuer Fabelsammlung studieren.

 Von Magnus Klaue

Es fällt schwer, ist aber gerade deshalb nötig, über Botho Strauß etwas anderes als Satiren zu schreiben. Der Langzeitsolitär der neueren deutschen Literatur, dessen Publikumsscheu in Dutzenden Porträtaufnahmen festgehalten ist und der sich in seiner Eremitage in der Uckermark von »Spiegel«- und »Zeit«-Redakteuren begaffen läßt, galt einst irrtümlich als Erbe Adornos, weil sein 1981 erschienener Prosaband Paare, Passanten wie die Minima Moralia eine Alliteration im Titel trägt. Daß seine Reflexionen aus dem uneigentlichen Leben immer wieder ins kulturkritische Raisonnement und seine Affekte von der Reizbarkeit des einzelnen in die Borniertheit eines über die Moderne lästernden Frührentners umschlugen, darüber sah sein Publikum – auf Distinktion gegenüber dem Mittelstand erpichte Kinder des westdeutschen Bildungsbürgertums – gern hinweg. Doch spätestens nach den 1997 erschienenen Notaten Die Fehler des Kopisten, Strauß’ Outing als ideeller Gesamtfamilienvater, der ein Kind gezeugt, einen Baum gepflanzt und ein Haus gebaut hat, müßte ihnen klargeworden sein, daß in dem Berlin-Flaneur der frühen Bücher der den Gutshof abschreitende Grundbesitzer und im Chronisten täglicher Traurigkeit ein die Massen verachtender Stefan-George Imitator steckt.

Rückblickend entpuppten sich Strauß’ frühe Dramen als Boulevard für Westberliner Intellektuelle, und was mancher in Studentenzeiten als Ausdruck eines erfahrungsoffenen Blicks empfand, wurde schneller schal als jeder Lieblingsfilm. Heute vollends, da Gruppen wie das Irrenkollektiv Tiqqun neurechte Dekadenztheorien zeitgemäßer rüberbringen als der Autor des »Anschwellenden Bocksgesangs«, besteht die einzige Gefahr, die ein Bekenntnis zu Botho Strauß birgt, in der öffentlichen Blamage. Gerade das aber, was an Strauß’ Schwell- und Quellprosa am  angreifbarsten ist, verdiente einen anderen als nur den satirischen Blick: der hohe Ton, der nicht allein Ausdruck von Ideologie, sondern auch des närrischen Bemühens ist, den überflüssigen Menschen, Dingen und Erlebnissen partout den Anschein des Singulären zu verleihen. Mit Beispielen für die unfreiwillige Komik dieses Unterfangens ließen sich Bücher füllen.

Auch Strauß’ neueste Prosasammlung Die Fabeln von der Begegnung enthält hierfür reiches Material. Besonders windschief geraten wie üblich die Darstellungen des schönen Geschlechts. Wenn eine Frau ihre Brüste verbirgt, »quetscht« sie bei Strauß »die Ballen unter die verschränkten Arme«. Eine füllige Dame in unpassender Kleidung mutiert zur »Vestalin« mit »Pepitahose voll Gesäß«. Eine andere, neben der der Ich-Erzähler »in strenger Schläfenparallele« sitzt, klappt ihre »Beine auf und zu wie das Maul eines Fischs«, und wenn ihr Rock »auf den feingemuldeten Schenkeln« verrutscht, kann man »tief in ihren Zwischenraum« blicken. Wieder eine andere streift ihren Schuh ab, der auf den »Terrakotta Fliesen des Kaminzimmers verendet« und eine poetische Meisterkapriole hinlegt: »Menschliches Zubehör, fast Teil des Menschen, das sich biegt und windet, versucht, sich aufzurichten, wieder auf den Absatz zu kommen, umfällt, ruht und schwer atmet, kriecht und sich streckt, sich einmal um die eigne Achse dreht wie ein Käfer, der hilflos auf dem Rücken kreist.« Solche Passagen lassen jeden Strauß-Karikaturisten phantasielos aussehen.

An der Beschäftigung mit dem, was reife Lüstlinge für weibliche Körpersprache halten, zeigt sich der für Strauß typische Umschlag von Würdigung in Entwürdigung. Im Bemühen, der handgreiflichen Banalität des Alltags wie der eigenen Phantasien durch sprachliche Stilisation noch etwas Sinnstiftung abzupressen, wird das Beschriebene erst recht erniedrigt; das Frauenlob schlägt um in die Häme, die in jeder Glorifizierung steckt. Doch nicht nur die Frauen, die Namen wie Lydia, Silvia und Babett tragen, sind poetische Deckbilder der Charaktermasken, die in der Wirklichkeit genauso heißen, auch alltäglichste Situationen und Gefühle quellen dank der Straußschen Dichterhefe zu Metaphernmetastasen auf. Eine Hängetasche ist »gebeult und gebaucht«, Menschen haben statt Geruch »Arom«, zwischen ihnen besteht ein »Partikel-Verkehr« aus »spinösen Übertragungen«, den Erzähler überkommt »geistiges Erbrechen«, wenn er »abgegriffenen Zahnarzthelferinnen « begegnet, und seine Begleiterin schleudert ihm Fragen »wie nasse Lappen in den Nacken«. Sekundiert wird die Klang und Bilderrutschbahn mit besinnlichen Kalauern: »Alles hat seine Zeit, nur die Orte haben ihre Weile«, »Ihre Vernunft verfiel wie Geranien in einem trockenen Blumenkasten«, »Bist du ein Mistelzweig, dann bleibst du grün.«

All das spiegelt ein Ringen um Ausdruck, das im Zeitalter ausdruckslosen Gesimses und Gezwitschers notwendig zur Parodie seiner selbst wird. Wie die formale Konzeption von Strauß’ Büchern, das skizzenhaft Fragmentarische, vom Textsampling objektiv nicht zu unterscheiden ist, so dementiert das Bemühen, das flüchtige Besondere festzuhalten, sich in den gesuchten, aber nie gefundenen Bildern selbst. Der ehrwürdige Anspruch dieser Prosa, einen »Sinn fürs Zerstreute« und »Unerhebliche « auszubilden, stammt aus dem Ästhetizismus: »In die Mysterien des Unerheblichen dringt … ein, wer etwas verlegt und bis zur Fassungslosigkeit nicht wiederfindet. Oder jemand, der nur en passant und seitlich etwas bemerkt, das ihn nicht wieder losläßt, das bei ihm hängenbleibt und ihn bis zur völligen Geistesabwesenheit zerstreut.« Doch während die Prosa des Fin de Siècle in einer Regung das unwiederholbare besondere Leben und in der zerstreuten Selbstvergessenheit das vergessene Selbst zu entziffern vermochte, taugt eine Jahrhundertwende später das Besondere nur als Blaupause des Allgemeinen, des Mythos. So verwandeln sich bei Strauß rappende Jugendliche in Springbrunnen, Telefone in Todesboten und Fingernägel in Teufelshörnchen, bis der Leser kaum noch unterscheiden kann, ob seine Verärgerung aus dem eigenen Mangel an kulturellem Wissen oder der Hybris des Autors resultiert, dessen Erzähler-Ich gesteht: »Das Überhebliche, das Anmaßende, das Platzgreifende … – von all dem hatten wir ja was und haben uns damit lächerlich gemacht, den geistigen Kraftmenschen gegeben.« Auch das klingt eher nach Bedauern als nach Erkenntnis.

Botho Strauß: Die Fabeln von der Begegnung. Hanser, München 2013, 248 Seiten, 19,90 Euro

Magnus Klaue schrieb in KONKRET 5/13 eine kleine Typologie der Liebesbekundung

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