Das Ereignis des Jahres, die Besetzung der freien und Hansestadt Hamburg durch hunderttausend Überirdische in einem Meer von blauen Schals, fände in KONKRET trotz des bewegenden, von dem ZDF-Gaudiburschen Markus Lanz moderierten Gesprächs mit Joachim Gauck keine weitere Erwähnung, hätte nicht Marco Tschirpke über seine Anreise zu einer Konkurrenzveranstaltung im Polittbüro, wohin keiner der jesusmäßigen Touristen des Evangelischen Kirchentags sich verirren konnte, dies Gedicht verfaßt und der Redaktion zur Verfügung gestellt:
IM ZUG
Quadratisch gleißt der Raps vorbei
An diesem vierten Tag im Mai,
Der Gen-Mais ragt und reifet.
Ich fahr nach Hamburg, wo zurzeit
Der Kirchenmob sein blaues Kleid
Durch alle Gassen schleifet.
Der Spuk ist tausend Jahre alt
Und stinkt seitdem zum Himmel.
Ja reicht euch denn der Fischmarkt nicht
Samt Frittenfett und Schimmel?!
Ein Versprechen wird gebrochen: Am Ende des ersten Teils von Gremlizas Gespräch mit Karl Heinz Roth (5/13) war angekündigt worden, im zweiten Teil werde es um den Hamburger Straßenkampf, den Sprengstoffanschlag auf eine
Fregatte, die RAF und Diskussionen mit Ulrike Meinhof gehen. Um all das war es in dem Gespräch tatsächlich gegangen, doch entschied Roth anläßlich der Autorisierung, daß »die Zeit (noch) nicht reif« sei für die Publikation dieser
Gesprächspassagen. Um den Leserinnen und Lesern die Wartezeit zu vertreiben, sei hier kurz referiert, was Roth zu diesen Fragen bisher öffentlich gesagt hat, etwa in dem KONKRETStreitgespräch im Mai 1988 mit KD Wolff und
anderen:
Roth: Ostern ’68, bei der großen Aktion gegen Springer in Hamburg, da wollten wir den Verlag wirklich dichtmachen und…
Wolff: … da hat der Jens Litten den Innensenator angerufen und ihm alles erzählt.
Roth: Stell dir vor, wir haben damals jemanden gehabt, der die Telefonate aufgezeichnet hat, und wir wußten immer, was der Litten mit dem Ruhnau besprochen hatte. Jedenfalls: Als an einer Baustelle in der Caffamacherreihe unsere Barrikaden durchbrochen wurden und die Bullen über uns herfielen, da standen irgendwelche Gruppen von Leuten, die
wir gar nicht realisiert hatten, und schmissen die Bullen in aller Ruhe in die Baugruben. Das war unsere erste Erfahrung mit so handfester Gewalt. Es waren alte kommunistische Kader, die da ganz bieder dabeigestanden hatten, und als man sich etwas kennengelernt hatte, haben die gesagt: Weißt du, Genosse, vergiß es gleich wieder, aber wir haben da auch noch ein paar Rechnungen zu begleichen gehabt.
Zur Rolle, die er bei Diskussionen um und mit der RAF spielte, insbesondere über Stammheim und den Tod der Häftlinge, hat Roth in einem Gespräch mit Hans-Joachim Lenger (KONKRET 1/89) berichtet:
Ich war selber nach 1977 eine Zeitlang in einer internen Untersuchungskommission und habe viele Untersuchungen mitgemacht, die der Aufklärung dessen dienen sollten, was dort geschehen ist … Wir haben auf der einen Seite viele Spuren gefunden, die für eine hochorganisierte, hochqualifizierte staatliche Mordaktion sprechen … Das Paradox jedoch, das dann zum Ende dieser Untersuchungsarbeit geführt hat, besteht darin, daß in dem Augenblick, als wir an diesen Punkten waren, die Kommunikation darüber blockiert worden ist, und zwar von den bewaffneten Gruppen. Das
Verhalten der Gruppen im Untergrund spricht meines Erachtens für die Selbstmordvariante … Warum soll ein kollektiver Selbstmord, so wie er damals in der Konstellation möglicherweise stattgefunden hat, eine Schande sein? Warum soll es eine Niederlage sein, wenn Revolutionäre in einer ausweglosen Situation Selbstmord verüben? …
Das ganze Gespräch zwischen Roth und Lenger ist auf der soeben erschienenen CD-Rom KONKRET 1974–2012 nachzulesen.
Bevor Leserinnen und Leser fragen, wie das Wort Mädchen für eine erwachsene Frau in die Titelzeile »Der Minister und das Mädchen« geraten konnte: Die Zeile paraphrasiert den Titel »Der Tod und das Mädchen« des Gemäldes von
Hans Baldung Grien (1484–1545) und des Gedichts von Matthias Claudius, das in der Vertonung von Franz Schubert, als Kunstlied und als Streichquartett, überlebt hat.
Veranstaltungen: Jörg Kronauer hält zwei Vorträge – am 5. Juni um 19 Uhr in Berlin, KFetisch, Wildenbruchstraße 86, zum Thema »Rechte und konservative EU-Kritik. Wer ist die ›Alternative für Deutschland‹?« Über »Die Think-tanks der Berliner Außen- und Weltpolitik« spricht Kronauer am 13. Juni um 20 Uhr in Bamberg, Balthasar, Balthasargäßchen 1.
Am 6. Juni liest Martin Jürgens in der Galerie K – Zentrum aktuelle Kunst, Bremen, Alexanderstraße 9b, aus den Bildlegenden seiner »Neuen Hieroglyphen«. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr.