Im Juni 2013 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Gesetz, das »Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen« unter Strafe stellt. Das Gesetz verbietet jegliche positive Berichterstattung über Homosexualität. Was der sogenannte Diktator da abzeichnete, erfüllt den Sinn des Wortes Volksherrschaft besser als alles, was der Deutsche Bundestag seit seiner Gründung beschlossen hat: Alle Abgeordneten der Duma bis auf einen einzigen, der sich enthielt, stimmten zu, auch die bei deutschen Menschenrechtlern beliebtesten Politiker der Oppositionsparteien. Demoskopen haben ermittelt, daß die 436 Jasager sich auf den Willen von 88 Prozent der Bevölkerung stützen können.
Vier Wochen später hielt ein anderer Präsident zum selben Thema eine Rede:
Wie Sie alle hat auch mich der Tod einiger junger Leute erschüttert und traurig gemacht, die, weil sie schwul waren, gequält und verspottet wurden, schließlich Selbstmord begingen. Als Vater von zwei Töchtern – es bricht mir das Herz. Es ist etwas, das in diesem Land nicht passieren sollte. Wir müssen den Mythos, daß Mobbing ein unvermeidlicher Teil des Erwachsenwerdens ist, überwinden. Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Schulen für alle unserer Kinder sicher sind. Und alle jungen Menschen da draußen wissen lassen, daß es, wenn sie in Schwierigkeiten sind, fürsorgliche Erwachsene gibt, die ihnen helfen können. Und das Gefühl geben: Du bist nicht allein. Du hast nichts falsch gemacht. Keiner hat es verdient, gequält zu werden. Es gibt Leute da draußen, die dich lieben, wie du bist. Als Nation sind wir auf der Überzeugung gegründet, daß wir alle gleich sind, und jeder von uns verdient die Freiheit, seine eigene Version von Glück anzustreben, das Beste aus seinen Talenten zu machen. Das ist die Freiheit, die uns alle bereichert. Das ist, was Amerika ausmacht.
Das war, wie der Text selbst verrät, eine Rede gegen die Mehrheit. Obama hätte sie nicht halten müssen, wäre der Haß auf Homosexuelle nicht auch in den USA allgegenwärtig, wäre »Schwanzlutscher« nicht das schimpflichste Schimpfwort, und nicht nur in der evangelikalen Provinz. Beiden Präsidenten, Obama wie Putin, ist gemein, daß sie es mit einem Phänomen zu tun haben, das ohne die zweitausendjährigen Umtriebe des christlichen Aberglaubens (und ihres muslimischen Derivats) nicht in der Welt wäre. Wobei Putins kriminelles Gesetz den lauten Beifall des russisch-orthodoxen Klerus gefunden hat und gewiß die klammheimliche Freude des Jorge Mario Bergoglio, des sogenannten Papstes, der sich jüngst über ein »Schwulennetzwerk« im Vatikan beschwerte, Obama aber nur jene liberale Minderheit an seiner Seite weiß, die der deutsche Antisemit mit den Worten Hollywood und Wallstreet konnotiert.
– Michael Schilling –