Die Vorbereitungen zur Reinwaschung des NS-Schauspielstars Heinrich George anläßlich seines 120. Geburtstags im Oktober laufen weiter auf Hochtouren.
Jetzt gibt’s die Bücher zu »George«, dem TV-Film (bitte nicht Schorsch sagen, sondern deutsch bleiben!). Die Witwe des 1946 in Sachsenhausen verstorbenen Georg Schulz, der mit ministerieller Genehmigung den Namen Heinrich George angenommen hat, erinnert sich. Auch die Söhne Jan und Götz, der im Film seinen Papa spielt, haben geschrieben, zusammen mit Angehörigen ehemaliger Kollegen, in einer Spurensuche zum Film, die der Regisseur Joachim A. Lang herausgegeben hat.
Lang ist ein SWR-Redakteur, der im öffentlich-rechtlichen Auftrag international für den jetzt auch auf DVD erschienenen Film recherchiert hat und beim Millionenpublikum um Verständnis und Empathie für den Verstorbenen wirbt. Im Buch setzt er noch was drauf. In einem Essay läßt er einige kritische Töne anklingen (Georges distanzlose Haltung zu Goebbels und Hitler), die wie Pflichtübungen anmuten: »Die Propagandafilme … nahmen eine wesentlich Rolle in Goebbels’ menschenverachtenden Hetzkampagnen ein.« Genau. Goebbels hat schuld. Aber wir sind doch bei Heinrich George. Was ist mit dessen Verantwortung für die »furchtbare Wirkung«? Sie wird beschönigt mit dem hündischen Satz: »Er wollte (nur) spielen.«
Was spielte Heinrich George gleich 1933? Den brutal kommunistischen Vater im »Propagandafilm« »Hitlerjunge Quex«. Dem Sohn prügelt er rhythmisch die Internationale ein. Die Inter klatsch natio klatsch nale klatsch erkämpft klatsch das Menschen klatsch recht. »Filmisch sehr wirkungsvoll, aber natürlich infam von der Propagandawirkung her«, erinnert sich sein Sohn Jan.
Jan und sein prominenter Bruder Götz kommen im Lang-Buch ihren Sohnespflichten nach. De mortuis nil nisi bene. Über Tote nur Gutes. Verübeln kann man Angehörigen und Freunden das kaum, wohl aber den Öffentlich-Rechtlichen, die im Namen der Öffentlichkeit vorgeben, der Nachwelt ein gut recherchiertes objektives Bild des Verstorbenen anzudienen.
Denn während seiner »Spurensuche« hätte der Essayist Lang sich mit der Wirkung der publikumsintensiven Rolle von Heinrich George im antisemitischen Paradefilm »Jud Süß« beschäftigen müssen. Der Hetzfilm erreichte zum Beginn der Mordaktionen ein Millionenpublikum. Himmler ordnete an, daß die SS, insbesondere die Einsatzgruppen im Osten, ihn vor Beginn der Mordaktionen sehen mußten.
Heinrich George hat sich anscheinend keine Gedanken über die Wirkung, sprich Rezeption seiner darstellerischen Tätigkeit gemacht. Die Söhne in der Spurensuche auch nicht. Beläßt man es dabei, daß George sen. »dümmlich«, gar »dumm« war? Attribute, die der Sohn eines zeitgenössischen Schauspielerkollegen Heinrich George zuschreibt. Soll das eine Entschuldigung sein? »Hitlerjunge Quex« wurde dem Hitlerjungen Jan, dem George-Sohn, an einem Sonntag in der Matinee vorgeführt. Ein Pflichtfilm für die Hitlerjugend. Schlimm? Nein. »Es ist ja auch ein Film, der sich um die Hitlerjugend dreht« (Jan).
Wie man es auch dreht und wendet, es findet sich im Buch immer ein Grund dafür, daß man Verständnis für Heinrich haben muß. Aber warum spielte er die Rolle, die ihn zum Haßobjekt der Linken machte? »Vielleicht wollte er uns schützen! Vielleicht wollte er seinen Job retten«, mutmaßt Jan. »Ich kann mir vorstellen, daß er Haßobjekt geworden ist bei einigen … Aber welcher sowjetische Künstler hat keine politischen Filme gemacht? Alle haben politische Filme gemacht … Aber hier ist es natürlich ein Nazipropagandafilm und wird verteufelt. Es ist schlimm. ›Kriegsverbrecher! Kriegsverbrecher!‹ Solche Worte sind gefallen. Man glaubt es nicht.«
Die anderen sind es also, die Dreck am Stecken haben. Auch Sohn Götz bügelt noch die zarteste Nachfrage zur Rolle seines Papas auf seine pampige Art ab. Die Exkulpationslitanei zieht sich auf diese Weise im Buch dahin. Sie prägt Langs Spurensuche. Sie wird zum George-Bild, das sich der Leser machen wird. Empathie für den Deutschen, der 1946 im sowjetischen Lager starb (nach einer Blinddarm-OP, ausgeführt von einem Prof der Chirurgie, assistiert von einem Sauerbruch-Schüler).
Wer ist anderer Meinung? Das sind »bestimmte Kreise«, die den Heinrich kleinmachen wollen, genauer die »jungen deutschen Historiker«, die ihn immer noch als Nazi beschimpfen. Ja, aber was war George denn, wenn er 1943/44 die tragende Rolle für den Nazi-Durchhaltefilm »Kolberg« (Uraufführung 1945) übernahm? Wenn er in öffentlichen Auftritten, im Radio, gar in frühen Fernsehstatements sich zu Hitler bekannte? »An den Führer. Du warst in uns, und du bist der Sieg, und du auch bist das Reich, das wir bauen!«
Genug davon. Heinrich George ist Opfer. Und wer noch Fragen hat, ist Täter. Das ist das Ergebnis der öffentlich-rechtlichen »Spurensuche«.
Kommen wir zum soeben erschienenen zweiten Buch. Es hat ebenfalls die Aufgabe, die Wirkung der ARD-Ausstrahlung des »George«-Films zu vergrößern: Berta Drews, gestorben 1987, erinnert sich unter dem Titel Mein Mann Heinrich George. Dabei handelt es sich um 175 Seiten Nachdruck ihrer 1986 veröffentlichten Lebenserinnerungen, damals unter dem Titel Wohin des Wegs. Wenn die Witwe sich bemüht, das Andenken des Verstorbenen von jeglicher Kritik, gar Anfeindung freizuhalten, dann kann man ihr das nicht vorwerfen. Etwas anderes ist es, daß ihre naturgemäß persönlichen Wertungen unkommentiert bleiben und in Verbindung mit dem Film und dem Söhne-Buch quasi offiziell festgeschrieben werden. Fazit wäre, daß Heinrich George im Namen der ARD postum den großen Verdienstorden Deutschlands bekommen müßte.
Der Drews-Nachdruck benennt keinen Herausgeber, auch nicht für Zutaten wie das im übrigen aufschlußreiche Namensregister. Wenn eine Quelle erwähnt wird, ist es der Verlag (Langen Müller) als solcher. Berta Drews ist eine Meisterin im Name Dropping. Zuverlässig registriert sie Georges viele Kontakte zur linken Szene in den zwanziger Jahren. Mit Bertolt Brecht sei auch künftige Zusammenarbeit avisiert gewesen. Aber dann begann »Das Dritte Reich« (das Wort Nazi ist offenbar tabu). Jetzt müßte es interessant werden, denn 1933 übernahm George die antikommunistische Paraderolle im Nazifilm »Hitlerjunge Quex«. Wie kam es dazu? War das nicht Verrat an den Freunden von gerade eben? Woran erinnert sich Berta Drews? Antwort: an nichts. Sie unterschlägt in ihrem Buch, daß es den Film gegeben hat. Ein Akt der Selbstzensur. Der Regisseur vom »Hitlerjungen Quex«, Hans Steinhoff, taucht im Buch in anderem Zusammenhang auf, zum ersten Mal 1936: »Inzwischen hatte sich der deutsche Film auf seine zuverlässigen Kräfte besonnen« und kam wie Hans Steinhoff »mit reizvollen Projekten«.
Die Autorin berichtet, wie sie auf einem Empfang von Goebbels neben Hitler auf dem Sofa saß, sich 1934 mit der IG-Farben-Vorstandsgattin befreundete, und Heinrich wurde von Goebbels für seine Verdienste mit der Intendanz des Berliner Schiller-Theaters belohnt. Berta Drews nutzt diese Beförderung, um im einzelnen die segensreiche Tätigkeit des Ernannten darzulegen. Er habe das Wohlwollen Goebbels’ und seine neue Machtfülle genutzt, um »das Dritte Reich« hindurch zahlreiche Juden und »Mischlinge« vor Verfolgung zu bewahren oder die Nachteile abzuschwächen.
Lobenswert ist das. Aber wieder klafft in ihren Memoiren eine Lücke. Sie vergißt, daß ihr Mann eine Hauptrolle im antijüdischen Hetzfilm »Jud Süß« übernommen hat, 1940, in dem Film, der dank der Popularität von Heinrich George millionenfach gesehen wurde und der, wie von Goebbels beabsichtigt, nicht nur die SS, die Einsatzgruppen im Osten, sondern Soldaten und deutsche Männer und Frauen insgesamt für die Akzeptanz der unmittelbar bevorstehenden Großaktionen (Auschwitz) reif machte. Heinrich George war mitverantwortlich für den millionenfachen Massenmord an Juden. Er war schuldig. In Drews’ Buch, so detailreich es ist, findet sich kein Wort zu »Jud Süß«. Auch der Regisseur Veit Harlan taucht lediglich in anderen Zusammenhängen auf. Ein Foto von 1930 zeigt Berta in einer heftigen Kußszene mit dem »liebestollen« Veit Harlan (»Götz von Berlichingen«). 1939 besucht sie die Dreharbeiten von Harlans »Pedro soll hängen«, in welchem ihr Mann eine Rolle hat.
1940 also der »Jud Süß«-Blackout. Und was ist 1944/45 mit dem Veit-Harlan/Heinrich-George-Durchhaltefilm »Kolberg«? Aha, der Titel taucht auf im Zusammenhang mit dem Satz »Es gab die schwierigsten Auseinandersetzungen mit Goebbels und Prof. Harlan«. Der Rest ist Schweigen. Sollte dieser Film nicht dazu dienen, deutsche Soldaten, Männer und Frauen, Jungs und Mädels ins letzte Gefecht zu schicken? Zu verheizen? Sich verheizen zu lassen? Gab’s nicht mal dafür Verantwortung? Ansatzweise? Hallo? Nix davon. Oder? Halt! Im August 1945 schreibt Berta Drews ins Lager Hohenschönhausen an ihren Mann (die Kassiber sind jetzt erstmals veröffentlicht): »Was für kapitale Fehler haben wir gemacht!«
Einsicht? Mitnichten! Der Fehler war, daß sie nicht vier Monate zuvor ins bereitstehende Auto gestiegen waren, um zu ihrer Wohnung in Ratzeburg zu fahren. Liebereiner und die anderen »machen da (in Hamburg) schon groß Theater«. »Was mich interessiert, ist, daß Harlan frei ist, … daß er drüben äußerst angenehm leben kann. Es verbittert einen sehr.« Mich verbittert es auch, wenn auch anders, als Berta gemeint hat. Hamburg vier Monate nach Kriegsende das Mekka der Elite von Nazi-Prominenz? Immerhin können wir einfügen, daß einer wie Veit Harlan sich Ende der vierziger Jahre vor dem Schwurgericht in Hamburg wegen seines Films »Jud Süß« verteidigen mußte. Anfang der sechziger Jahre lösten seine Uneinsichtigkeit und seine provozierende Weigerung, auch nur ein Fünkchen Verantwortung für seine Teilnahme an der Judenvernichtung zu übernehmen, die erste deutsche Studentenbewegung aus, fünf Jahre vor 1968.
Auch im Berta-Drews-Buch kommt – in einem Nachwort – Sohn Jan ausführlich zu Wort. Um seinen Vater zu entlasten, zeigt er mit dem Finger auf andere. Er zitiert den »antifaschistischen Zerberus« Wolfgang Harich, der 1945 von einem Oberstleutnant Sudakow zu berichten weiß: »Wir Deutsche sollten um Himmels willen unsere Künstler, die Nazis gewesen seien, ungeschoren lassen und uns darauf konzentrieren, die wirklichen Kriegsverbrecher, die aus der großen Industrie, aus dem Junkertum, aus der Staatsverwaltung und dem Militärapparat, zur Strecke bringen.« Sehr wohl. Aber. Sind es Kriegsverbrechen gewesen, 1933 einen antikommunistischen Hetzfilm zu machen (»Hitlerjunge Quex«) und 1940 für den millionenfachen Mord an Juden Stimmung zu machen? Also bitte. Doch Jan George erhält in seinem Nachwort das letzte Wort. Er zitiert einen jugoslawischen Publizisten, dem Vater Heinrich gestanden habe, ihm sei klar gewesen, »daß Goebbels mit seinen Medien das Volk beherrschte – daß er eine Art Superdramaturg war. Das tatsächliche Theater habe nur eine Nebenrolle gespielt, das Welttheater seien jene Machenschaften gewesen, in denen Goebbels mit Hitler der Hauptdarsteller war.«
Die Ermordung von Millionen Juden wird zu »Machenschaften« des »Welttheaters«, die den »Hauptdarstellern« Goebbels und Hitler angelastet werden können, beide leider verschieden. Geht’s noch? Überzeugen sollen uns Dokumente über Dokumente über Hörensagen. Und das soll jetzt im Namen der Medienkampagne der ARD dazu führen, George sen. von allen Anfeindungen, Denunziationen und Verleumdungen »gewisser Kreise« reinzuwaschen?
Los ging der Medienhype vor einem Jahr mit den Berichten zum Geburtstag. Zwölf Monate Zeit, um demnächst, im Oktober 2013, den 120. zu feiern. In zahlreichen Themenaufbereitungen, Drehberichten, Familienporträts, Interviews und Rezensionen wird der Jubilar zur Leitfigur der deutschen Bühnen- und Filmkunst aufgebaut. Medial ist sein Denkmal schon gesetzt. Öffentlich-rechtlich ist es abgesegnet. Wann wird es in Stein gehauen? Wann wird es mit ministeriellem Segen eingeweiht? Herr Bundeskulturminister, werden Sie die Gedenkrede halten?
Berta Drews: Mein Mann Heinrich George. Mit einem Vorwort von Götz George und einem Nachwort von Jan George. Langen Müller, München 2013, 288 Seiten, 19,99 Euro
Joachim A. Lang: Heinrich George. Eine Spurensuche. Henschel, Leipzig 2013, 272 Seiten, 24,95 Euro
Der Film »George« mit Götz George ist bei Universum auf DVD erschienen.
Dietrich Kuhlbrodt schrieb in KONKRET 7/13 über die Krisenkomödie »Papadopoulos & Söhne«