Interview mit dem Kabarettisten Oliver Polak über sein neues Buch Der jüdische Patient und seine Erfahrungen mit Kollegen, Kritikern und Publikum.
konkret: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie Ihren psychischen Zusammenbruch und Ihre Genesung. Der Ton ist sehr direkt, ehrlich und wütend. Außerdem ist der Text gespickt mit kulturellen Referenzen, die nicht unbedingt erklärt werden. Man hat das Gefühl, dass Sie wenig Rücksicht auf die Empfindlichkeiten und das Vorwissen des Lesers nehmen.
Polak: Das war schon bei meinem ersten Programm oft ein Problem: Ja, wie können Sie denn Anspielungen aufs Jüdische machen, wenn es hier das Wissen darum nicht gibt? In New York ist das kein Problem. Da gehst du auf die Bühne und musst niemandem erklären, was koscheres Essen oder Beschneidung ist. Und in dem neuen Buch war mir das egal. Dabei habe ich überhaupt nicht darüber nachgedacht: Wie kommt jetzt irgendwas irgendwo an. So sollte es auch sein.
Auf dem Titel des Buchs Der jüdische Patient ist »jüdisch« durchgestrichen.
Daniel Richter, der Maler, der früher Hausbesetzer war, hat das gemacht. Er streicht gerne Sachen durch. Das wird jetzt plakatiert, wir haben das angesichts der aktuellen politischen Situation schon mal vorsorglich durchgestrichen(lacht).
Der Titel erklärt sich vielleicht so: Ich bin der Patient, aber weil ich in Deutschland bin, bin ich der jüdische Patient. Am Anfang meiner Karriere habe ich einfach Fixpunkte festgelegt. Ich hab’ gesagt: Ich bin Oliver Polak, ich bin Stand-up-Comedian, ich komme aus Papenburg im Emsland, und ich bin jüdisch. Das war die Grundlage meiner Comedy und meines ersten Buchs. Ich habe einfach meine Geschichte erzählt. Für mich ganz normal. Aber weil in Deutschland unter dem Jüdischen so viel Ungeklärtes liegt, kam es auch zu Missverständnissen. Viele meinten: Was du da machst, ist politisch. Ist es nicht. Sebastian Krämer hat mal gesagt: »Du bist nicht politisch, du bist das Politikum.« Und das trifft es ganz gut. Es war die Öffentlichkeit, die mich reduziert hat: der Jude.
Der »Tagesspiegel« war in dieser Hinsicht der Gipfel der Ekeligkeit. Ich hatte eine Show, »Jud süß sauer.« Die Idee war: 35 Jahre dumme Fragen, jetzt gibt’s die dummen Antworten. Einen Tag nach der Premiere in Berlin erschien im »Tagesspiegel« eine Besprechung von Thomas Lackmann: »Polak ist, wie alle anderen, Berufsjude.« Da fragte selbst mein 84jähriger Vater, der eigentlich ein sehr harmonischer, ruhiger Typ ist: »Was ist das für ein Satz? Was soll das bedeuten?« Derselbe Journalist beschrieb in einem späteren Artikel meine Show als Gaskammernkalauer. Manchmal sind die Gedanken der Zuschauer gefährlicher als die der Künstler.
Im Buch beschreiben Sie einen desaströsen Auftritt im Quatsch Comedy Club.
Ich beschreibe einen, es gab mehr davon. Einer, den ich rausgestrichen habe, fand zwei Tage nach dem Tod meines besten Freundes statt. In einem Kabarettzelt in München. Da arbeitete eine ältere Frau, ich weiß nicht, ob es die Veranstalterin war. Ich musste noch was kopieren für die Show und fragte sie, ob sie einen Kopierer hätten. Während der aufwärmte, laberte die Frau vor sich hin: »Ja, ist eh ’ne Ausnahme, dass Sie hier auftreten, weil eigentlich machen wir ja nichts mehr mit Juden, weil hier war letztens ein jüdischer Geschäftsmann, der hat hier den Laden gemietet, und der hat dann die Rechnung nicht bezahlt.« Normalerweise hätte ich »Ciaoi« gesagt und meine Sachen gepackt, aber ich war damals so durch den Wind, dass ich einfach nicht die Kraft hatte. Das war wirklich eklig.
Wenn man Ihr Buch liest, hat man den Eindruck, dass Sie dieses Land und seine Bewohner unter Vorbehalt betrachten.
Das haben Sie aber schön gesagt. Eigentlich will ich mir über diese Bewohner gar keine Gedanken machen, eigentlich habe ich eine große Leichtigkeit und will vorangehen. Da treibt es mich manchmal in den Wahnsinn, wenn ich merke, dass die Leute sich an mir abarbeiten, ja, fast therapieren. Das war immer so. Im ersten Buch habe ich geschrieben: Deutsche Juden sind wie Pandabären – es gibt nicht mehr so viele von uns. Deshalb kommen die Leute zu dir mit ihren Fragen, und teilweise ist das auch okay. Aber teilweise eben nicht. Dieter Hallervorden hat auf seiner Facebook-Seite gepostet: »Wir träumen davon, dass es in Deutschland möglich ist, der israelischen Regierung einen ständigen Verstoß gegen UN-Resolutionen und die Menschenrechte vorzuwerfen, ohne gleich in den Verdacht zu geraten, Antisemit zu sein.« Ich träume davon, in einem Deutschland zu leben, in dem Dieter Hallervorden keinen Facebook-Account hat.
Serdar Somuncu hat mal gesagt: Deutschland hat seine Geschichte nie verarbeitet, sondern nur verdrängt. Ein Stück weit stimmt das. Dabei geht es nicht um Schuld. Die Leute beklagen sich immer: »Aber wir können doch nichts dafür.« Das hat auch nie jemand gesagt. Schuld ist nicht vererbbar. Verantwortung schon. Es gibt zwar den Geschichtsunterricht und die Mahnmale, aber wo war angesichts der judenfeindlichen Ausbrüche in letzter Zeit die Gegenbewegung?
Kurt Krömer beispielsweise hat vor ein paar Jahren an einer Kampagne in Berlin gegen Rassismus, Antisemitismus, Schwulenhass teilgenommen. In der ganzen Stadt hingen Plakate mit den Gesichtern von Prominenten, und darunter stand zum Beispiel: »Ich bin Türke, wenn du was gegen Türken hast.« Bei Kurt Krömer und Ulrich Wickert stand: »Ich bin Jude, wenn du was gegen Juden hast.« Und jetzt, wo die antisemitische Stimmung so hochkochte, hab’ ich gedacht: »Wo seid ihr denn jetzt?«
Man muss sagen, dass es die »Bild« war, die zur Headline »Nie wieder Judenhass in Deutschland« 40 Prominente abgebildet hat. Das war wichtig. Schließlich liest die »Bildzeitung« auch der Bauarbeiter aufm Dorf und der türkische Gemüsehändler. Das ist zumindest mal ’ne klare Ansage.
Mitverantwortlich für Ihre Depression erscheint in Ihrem Buch die Holocaustvergangenheit ihres Vaters.
Grundsätzlich sind für eine Depression mehrere Faktoren verantwortlich, aber die Ängste aus der Kindheit zählen sicher auch dazu. Mein Vater hat eben nicht vom Jamaika-Urlaub erzählt und davon, dass Wham da aufgetreten sind und »Club Tropicana« gespielt haben. Es waren ganz andere Geschichten, und obwohl man sich etwas von ihnen befreit, kommen Bruchstücke immer wieder hoch, vor allem wenn einen so wie jetzt antisemitische Parolen und Ausschreitungen an sie erinnern. Ich habe nicht solche Angst, dass ich mich verkrieche. Man ist ja mittlerweile erwachsen und fragt sich: Hab’ ich überhaupt Bock? Zieh’ ich vielleicht doch lieber nach New York?
Fühlen Sie sich dort eher zu Hause?
Ich bin viel in New York, und mir ist klar, dass New York nicht Amerika ist, so wie Berlin nicht Deutschland ist. Auch in New York gibt es natürlich Rassismus. Aber es gibt dort eine grundsätzliche Akzeptanz und einen grundsätzlichen Respekt. Ich finde die Frage danach, wo man herkommt, eh absurd. Aber wenn ich hier sage: »Ja, Vater deutsch, Mutter russisch, und ich bin jüdisch.« Dann werden die hier in Deutschland gleich aggressiv: »Warum musst du denn jetzt erzählen, dass du jüdisch bist? Ich erzähl’ doch auch nicht, dass ich Christ bin.« Ganz anders ist das in Amerika. Wenn du da gefragt wirst: »Where is your family from?«, und du antwortest: »I’m Jewish, my parents come from Russia and Germany«, dann sagen die: »Cool man, that’s interesting.« Ich will jetzt nicht Amerika idealisieren, um Gottes willen, aber was diese Sachen angeht, gefällt es mir da besser, wahrscheinlich aber auch nur, weil ich nicht schwarz bin.
Sie sagen, dass deutsch und komisch einander ausschließen.
In New York war ich mal im Comedy Cellar, dem Comedyclub, in dem alle aufgetreten sind: Chris Rock, Seinfeld, Louis C. K. An dem Abend trat Dave Attell auf, ein amerikanischer Jude, der für seinen harten Humor bekannt ist. Bei mir und meinem Manager am Tisch saß eine besoffene Australierin: »Hey you guys, where are you from?« – »We’re from Germany.« Als Dave Attell auf die Bühne kam und fragte: »Are there any foreigners here?« Da schrie diese Australierin: »These two guys are from Germany.« Dave Attell hat zu uns rübergeguckt und gesagt: »Yeah, I know this guy. His name is Oliver, he’s from Germany, and he’s a comedian.« Das war schon der größte Lacher. »And he’s Jewish.« Wieder ein Lacher. Und dann: »Oliver, I will tell you six million reasons why that will not work.«
Ich glaube zwar schon, dass es in Deutschland Humor gibt, aber der ist ganz anders als der amerikanische oder englische. Dem deutschen Comedian an sich ist es wichtiger, gemocht zu werden und sich anzubiedern, als die Leute zum Lachen zu bringen. Das ist seine Kerndisziplin. Comedian und Publikum wollen einander ständig zustimmen. Nur nichts Unangenehmes, immer harmonisch.
Das kann man sicher so machen. Das ist für mich aber uninteressant. Ich finde, wenn man Stand-up macht, muss irgendwas in der Waagschale sein. Ich bewundere Comedians, die ehrlich über Dinge sprechen, die schamhaft besetzt sind. Das ist der Weg. Dieses Schamgefühl kann ein Comedian dadurch bekämpfen, dass er über genau solche Dinge redet. Ich will, dass die Leute aus meinen Shows anders rausgehen, als sie reingekommen sind. Sicher will man die Leute unterhalten, aber wenn man ihnen noch was mitgibt, ist das super.
Und dafür gibt es auch ein Publikum. Ich bin jahrelang aufgetreten, der »jüdische Comedian«, und die Leute dachten, E. T. wär irgendwo gelandet, und warteten darauf, dass Woody Allen mit ’ner Klarinette aus meinem Bauch klettert. Vorurteile, Erwartungen, die mit mir gar nichts zu tun haben. Das führte zu Missverständnissen. Das hat sich geändert, vor allem seit ich mit meinem neuen Management zusammenarbeite. Das ist kein klassisches Comedymanagement, das ist ganz wichtig. Die arbeiten sonst noch für Casper, Kraftklub und K.I.Z. Mein aktuelles Programm »Krankes Schwein« gibt’s erst seit März, aber die Shows sind nicht nur ausverkauft, es kommen auch die richtigen Leute. Ein wirklich gutes Publikum, sehr gemischt, junge Leute, alte Leute, sehr viele HipHop-Affine, und mit denen macht’s Spaß aufzutreten. Es geht gar nicht darum, dass jeder über Pädophilie-, Sodomie- oder Vergewaltigungsgags lachen muss, sondern dass sie verstehen, dass es sich dabei um Comedy handelt und dass diese Themen Gegenstand von Comedy sein können. Die »falschen Leute« freuen sich eben, wenn man am Ende noch ein Lied zum Mitklatschen singt und sie wissen, dass sie auf der sicheren Seite sind.
Interview: Fritzi Busch
Oliver Polak: Der jüdische Patient. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 240 Seiten 9,99 Euro (VÖ: 2.10.)
Ders.: Ich darf das, ich bin Jude. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 192 Seiten 8,99 Euro