Postpartei
»Die Ratten versenken das verlassene Schiff.« Dieser Tweet von »@Sokalist_n« war nicht mit dem Hashtag »#Piraten« gekennzeichnet, beschrieb den Zustand der Partei aber dennoch präzise. Nach den Austritten zahlreicher Prominenter des irgendwie-linken Flügels, darunter der Berliner Landesvorsitzende Christopher Lauer und Anke Domscheit-Berg, ehemalige Chefin der Brandenburger Piraten, macht die Restpartei weiter mit dem, was sie in den letzten Jahren am besten konnte: Selbstdemontage in Tateinheit mit Realitätsverlust.
Übriggeblieben sind vor allem diejenigen, die sich als »sozialliberaler Flügel« oder »postpolitisch« verstehen und die Piratenpartei schon seit langem als von Antifas, Feministinnen und anderen, so wörtlich, »Linksbizarren« unterwandert sehen. Im Februar war der parteiinterne Streit eskaliert, als die Piratin Anne Helm bei den Protesten gegen den Dresdner Nazi-Aufmarsch den Spruch »Thanks, Bomber Harris« auf blanker Brust präsentierte und damit zum Ziel heftigen Onlinemobbings wurde.
Auf einem außerordentlichen Krisenparteitag im Juni setzten sich die »Sozialliberalen« um den neugewählten Vorsitzenden Stefan Körner durch. Kurz darauf sorgte die für ihre, höflich gesagt, Rechtsoffenheit bekannte Parteigruppierung Zuse-Crew für den nächsten Skandal, als bekannt wurde, dass eines ihrer Mitglieder einen sogenannten Crawler betreibt, ein Programm, das die Twitter-Aktivitäten parteiinterner und -externer Kritiker überwacht und auswertet. Eigentlich der politische Super-GAU für eine Partei, die gegen Vorratsdatenspeicherung und sonstige Bespitzelung antritt; aber seit der Betreiber des Crawlers Verweise auf die Zuse-Crew von der Seite gelöscht und diese hinter einem Passwort verborgen hat, ist die Datensammelei für den Vorstand kein Thema mehr.
A propos Parteithemen: Die wollen die Postpolitiker offenbar gänzlich abschaffen. Das deutete sich auf dem Parteitag des hessischen Landesverbands Anfang Oktober an. Die Delegierten stimmten für einen Antrag, der unter dem Titel »Reset des Programms« die Streichung des gesamten bisherigen Parteiprogramms beinhaltet. Dieses soll bis Anfang 2015 durch ein neues ersetzt werden, von dem bisher nicht mehr feststeht, als dass es den Fokus auf »Bürgerbeteiligung« legen soll. Also mal hier für schnelles Internet auf dem Land und dort gegen ein geplantes Flüchtlingswohnheim eintreten – wo den Bürger halt gerade der Schuh drückt. Dass das Konzept »Inhalte auf Zuruf« Wählermassen begeistert, ist zum Glück nicht zu erwarten, und so bleibt als Frage nur noch, wie lange es dauern wird, bis die Piraten endlich den Schritt von der Postpolitik zur Postpartei vollziehen.
- Svenna Triebler -