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Was hat es mit dem Bündnis »Hooligans gegen Salafisten« auf sich? Von Andrej Reisin


Innerhalb weniger Wochen sind die »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) zu einer Art Spitzenbedrohung für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik aufgestiegen: Medien, Innenminister und Polizeigewerkschafter wetteiferten um die dramatischste Lageeinschätzung und den treffendsten Superlativ, nachdem ein Gewaltmob von 5.000 zum Teil stark alkoholisierten Hools und Nazis randalierend durch Köln gezogen war. Ob es sich bei Hogesa aber wirklich um eine »neue Gefahr« oder um eine »neue Qualität« handelt, bleibt zweifelhaft.

Denn ohne das Bedrohungspotential gewaltbereiter Schläger kleinreden zu wollen, kommt man bei näherer Betrachtung der Bilder und O-Töne des Kölner Aufmarschs doch recht schnell zu dem Ergebnis, dass dort eine in vielfacher Hinsicht altbekannte Mischung aufgelaufen ist: Angehörige eines weit überwiegend männlichen, gewaltbereiten, weißen deutschen Subproletariats, die mit zum Teil antiislamischen, zum Teil rassistischen und zum Teil neofaschistischen Parolen durch die Straßen zogen und Gegendemonstranten und die Polizei attackierten.

Die Mobilisierungsfähigkeit dieses nicht partei- oder organisationsgebundenen Milieus überraschte allerdings nicht nur Polizei- und Sicherheitsbehörden. Eine Gegenmobilisierung durch Antifa- oder andere linke Gruppen fehlte beinahe vollständig vor der Demo in Köln ebenso wie jedes ernsthafte mediale und sonstige politische Interesse. Mit einem derartigen Zuspruch hatte offenbar kaum jemand gerechnet – die Polizei hatte mit einer völlig falschen Lageeinschätzung allerdings erheblichen Anteil am »Erfolg« der Veranstaltung.

Dabei hätte man natürlich wissen können, welche Dynamik Soziale Medien wie Facebook entfalten können: 2010 hatte das Netzwerk in Deutschland knapp sechs Millionen Nutzer, heute sind es fast 30 Millionen. Niemals zuvor stand ein derart mächtiges Werkzeug zur Verfügung, um innerhalb kürzester Zeit eine so große Gruppe von Menschen anzusprechen. Je mehr Leute auf »Gefällt mir« klicken beziehungsweise bekunden, dass sie an einer Veranstaltung teilnehmen wollen, desto mehr neue Nutzer bekommen diese Veranstaltung angezeigt – im Idealfall ein exponentielles Wachstum.

Hogesa organisierte sich zunächst in einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit dem bezeichnenden Namen »Weil Deutsche sich’s noch trau’n!«. Aus dieser Gruppe heraus kam es im Februar in Mönchengladbach  zu einer ersten gemeinsamen Aktion, bei der ein Auftritt des salafistischen Predigers Pierre Vogel gewaltsam gestört wurde – die Polizei verhinderte Schlimmeres. Ähnliches wiederholte sich anschließend auch bei salafistischen Veranstaltungen in Mannheim und Hannover.

Die Nutzung Sozialer Medien war für Hogesa essentiell – aber auch eine der größten Schwachstellen: Bereits die Gruppe »Weil Deutsche sich’s noch trau’n!« wurde von Antifa-Aktivisten infiltriert, die Mitglieder namentlich erfassten und die Strukturen offenlegten. Große Teile der Kommunikation waren einsehbar – in jedem Fall für Facebook – und damit früher oder später auch für die Sicherheitsbehörden. Nach den Ereignissen von Köln ist Hogesa nun schlagartig in deren Fokus gerückt: Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben bereits 72 Strafverfahren eingeleitet und 32 Täter identifiziert. Diese zunehmende Repression dürfte kaum folgenlos bleiben – zumal nicht bei Tätern, die häufig schon ein nicht unerhebliches Vorstrafenregister aufweisen.

Denn der Großteil der Organisatoren gehört einer Generation von Hooligans an, die bereits in den Achtzigern und Neunzigern durch die Stadien tobten – viele waren damals außerdem als Nazi-Skins aktiv. Diese »alte Garde«, wie sie sich selbst sieht, kehrt nun noch einmal auf die Straße zurück, um ihre »alten Werte« zu verteidigen. Für diese Gruppen sind die Salafisten nur ein neuer  Pappkamerad: Gemeint sind wie eh und je alle, die nicht ins rechtsextreme Weltbild der teutonischen Krieger passen. Das Etikett »Salafismus« dient nur dem gewünschten Anschluss an bürgerliche Milieus.

Viele Teilnehmer sehen sich selbst als die wahren, die besseren Deutschen: Familienväter, Arbeiter, Ehe- und Hausfrauen – die stolz auf Herkunft, Kleinfamilie und Schäferhund sind. Sie teilen viele Ideale mit einem breiten Spektrum ganz »normaler« Deutscher, die sich keineswegs als rechtsextrem verstehen oder gerieren. Laut der Langzeitstudie Deutsche Zustände (10 Bde., Berlin 2002–2010) findet gut die Hälfte der Befragten, dass »in Deutschland zuviele Ausländer leben«. Wer will sich da noch über die Anschlussfähigkeit von Parolen wie »Salafisten raus!« wundern?

Die »Angst vor Überfremdung« führte bereits zu Beginn der neunziger Jahre zu Pogromen, rassistischer Gewalt, Mord und Totschlag – und 1993 schließlich auch zur Einschränkung des Grundrechts auf Asyl. In den letzten Jahren schrieben Rechtspopulisten wie Thilo Sarrazin Bestseller mit demagogischem Unterton über die »Islamisierung« und/oder den Untergang Deutschlands. Seit 2010 steigen parallel dazu die Zahlen der Flüchtlinge – was an vielen Orten Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte nach sich zieht. Genau wie bei Hogesa spielen auch bei diesen rassistischen Mobilisierungen Soziale Netzwerke eine große Rolle.

Die langfristige Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit dieses Spektrums sollte jedoch nicht überschätzt werden: Hogesa ist kein bundesweiter Querschnitt von gewaltbereiten Fußballfans, ja noch nicht mal der Hooligan Szene. Von den jüngeren Hool-Gruppen, die sich auf Feld, Wald und Wiese zum Free Fight treffen, waren in Köln nur wenige anwesend. Statt dessen trafen sich vor allem westdeutsche »Althauer«, und zwar vor allem solche, die schon zu ihren guten Zeiten den Ruf hatten, rechtsradikal zu sein.

Bereits unmittelbar nach den Kölner Ereignissen setzten zudem die ersten Zerwürfnisse ein: So warf der ebenfalls bereits 45jährige Hamburger Thorsten de Vries den Veranstaltern organisatorisches Versagen und Feigheit vor. Er beschimpfte einige Teilnehmer auf Facebook als »besoffene Spastis«, die »überhaupt keine Ahnung« hätten, was los sei, wenn »die Linken mal in voller Besatzung antreten«. Er warnte ausdrücklich davor, in Hamburg eine Hogesa-Veranstaltung durchzuziehen. Die anschließende Absage derselben durch den Anmelder dürfte mit dieser Warnung zu tun gehabt haben.

Doch solange sich die Nazi-Hools als Fürsprecher einer schweigenden Mehrheit fühlen dürfen, so lange werden sie auch an ihren Mobilisierungsversuchen festhalten. In Köln haben sie nach eigenem Verständnis das »Match« gegen die Polizei und die verhassten »Gutmenschen« gewonnen. Über ihre Vernetzung können sie daher auch in Zukunft eine gefährliche Schlagkraft entwickeln – wenn ihr polizeilich und/oder fern der Staatsapparate kein Einhalt geboten wird.

 

Andrej Reisin ist Mitherausgeber des Weblogs Publikative.org

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