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Europa erwache!

Der Springer-Verlag will Google enteignen. Von Peter Kusenberg


Wird Friede Springer dazu verdammt sein, abermals anderer Leute Kinder zu hüten, und muß Mathias Döpfner gar um vier Uhr in der Früh die Spammail in Potsdam austragen? Nachdem er einen Teil der alten Holzblätter verhökert hatte, bejammerte der Springer-Chef öffentlich Googles dominierende Position im Internetgeschäft, auf daß er Gehör finde unter den nationalen Leistungsschutzmännern. Denn ohne entsprechende Restriktionen fließt die Springersche Jauche über Googles Server, wo der clevere Amiladen den Renditerahm abschöpft.

Döpfners »offener Brief« an Google-Chef Eric Schmidt in der »FAZ« erheischte größtmögliche Aufmerksamkeit. Die geschäftlichen Sorgen von Leuten wie Bauer, Burda und Neven DuMont artikuliert Springers Manager, der in deutschen Redaktionsstuben als Schweinchen Schlau des Mediengeschäfts von übermorgen gilt, trefflich: »Google definiert mit 70 Prozent Weltmarktanteil die Infrastruktur im Internet.« Das Internet wiederum definiert sich als der Ort, an dem Verleger Reportagen, Nachrichten und Glossen präsentieren, damit sie in des Lesers Hirn dringen, wo sie wundervolle Erkenntnisblüten treiben und dem Menschen eine Vorstellung von der Beschaffenheit der Welt vermitteln. Zum Beispiel davon, daß »der Treibstoff des 20. Jahrhunderts die fossilen Brennstoffe waren« und, in einer Abwandlung eines Zitats des Getty-Image-Chefs Mark Getty, »Daten und Nutzerprofile ganz sicher der Treibstoff des 21. Jahrhunderts« sein werden.

Das macht sich gut im lustvollen Gruselbild zur näheren Zukunft: Die Palettenschieber bei Aldi schieben Buchstaben über Facebook-Seiten, und wenn ukrainische Faschisten Dampf ablassen wollen, dann schießen sie ein Foto des Majdan Nesaleschnosti und laden es bei Instagram hoch. Döpfner jazzt die Informationswirtschaft zum Nonplusultra menschlicher Existenz hoch und zitiert als Beispiel den Überraschungsverlust im gesellschaftlichen Geplänkel. So weit, so gähn.

Doch Döpfner hat recht, wenn er die Datenmacht Googles als Schlüssel zur Durchdringung anderer Branchen beschreibt, etwa der Medizin. Die Axel Springer AG indes investiert nicht in Biometrie, Digitalkleidung und künstliche Organe aus dem 3D-Drucker. Die Springers finanzieren ihre Villen vorrangig mit dem Vertrieb von Nachrichtenrotz und Meinungsquark und »journalistischen Aktivitäten in den Unterhosen von Dieter Bohlen« (Gerhard Henschel), höchst entbehrliche Waren, die in zunehmendem Maße auf Googles Algorithmen und auf weitere Dienste, etwa Onlinebewegungstracker und E-Commerce-Anbieter, angewiesen sind.

Entsprechend laut muß Döpfner tönen, um mit seinem Brief in Brüssel Gehör zu finden, wo, wie der Vorstandschef einräumt, »Springer Teil einer europäischen Kartellklage gegen Google ist und mit dem Konzern über die Durchsetzung des deutschen Leistungsschutzrechts streitet, das den Inhaltediebstahl verbietet«. Daß Diebstahl wenig zu tun hat mit dem lockenden Zitat eines digitalen Textes – geschenkt. Das Leistungsschutzrecht hingegen ist im Kern ein Verwertungsschutzrecht, und die Verschärfung dieses Rechts hat das Geschäftsmodell der Verlage erhalten, wofür sie billigend die Kriminalisierung der Kunden in Kauf genommen haben. Döpfner inszeniert sich als Bewahrer bürgerlicher Privatsphäre, während seine Schmierblätter die Verhöhnung jener Rechte monetarisieren. Der Vorstandsvorsitzende beschwört »Freiheit« und »Europa«, denn bei den Geschäftspartnern Springer und Google handelt es sich gemäß dieser Lesart nicht allein um Contentproduzenten einerseits und Distributoren andererseits, sondern um Deutsche und Amerikaner, um brav schaffende Geschäftsleute hier und trickreiche Nerds dort.

»Wird die Europa-Politik einknicken oder aufwachen?«, fragt Döpfner mit Pappnasenpathos. »So wichtig waren die Institutionen in Brüssel noch nie. Zu entscheiden ist eine archaische Machtfrage. Gibt es die Chance für eine autonome digitale europäische Infrastruktur oder nicht? Es geht um Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Freiwillige Selbstunterwerfung kann nicht das letzte Wort der Alten Welt gewesen sein. Vielmehr könnte der Erfolgswillen der europäischen Digitalökonomie für die Europapolitik endlich zu dem werden, was die EU in den letzten Jahrzehnten so schmerzlich vermißt hat: ein emotionales Narrativ.« Mit anderen Worten: Europa hört auf mit dem läppischen Streit um Euro-Bonds und konzentriert sich auf die ideologische Abwehr der Google-Cowboys mit Hilfe einer eigenen Suchmaschine. Die Chinesen betreiben erfolgreich eine eigene Digitaldateninfrastruktur, das können wir auch! Dafür müssen laut Döpfner die Bürger mitziehen, also vorrangig die Leser der Postille von Döpfners Vollbart Kai Diekmann, müssen »entscheiden, ob wir wollen, was Sie (Eric Schmidt; P. K.) von uns verlangen – und welchen Preis wir selbst dafür zu zahlen bereit sind«.

Die europäische Kommission, die einerseits ein alle Lebensbereiche ökonomisierendes Freihandelsabkommen durchwinkt, handelt andererseits nicht so, wie es dem deutschen Verleger genehm ist, sondern »schlägt allen Ernstes vor, daß die infrastrukturbeherrschende Suchmaschine Google weiterhin Wettbewerber in der erfolgsentscheidenden Plazierung von Suchergebnissen diskriminieren darf«. Dabei ist die Marktmacht von Google gar nicht so beherrschend. Corinna Budras und Christian Siedenbiedel schreiben in der »FAZ«: »Der zuständige Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia zeigte sich mit einigen Zugeständnissen von Google zufrieden … Almunias Stoßrichtung ist klar: ›Meine Aufgabe besteht darin, den Wettbewerb im Interesse der Verbraucher und nicht der Konkurrenten zu schützen.‹« Google verfügt über keine marktbeherrschende Stellung, da Nutzer ohne großen Aufwand auf alternative Dienste ausweichen können. Die geringe Popularität von Google Plus, dem mit Getöse gestarteten Facebook-Konkurrenten, beweist den ephemeren Charakter von Online-Angeboten für Endkunden. Das weiß die Google-Führung, weshalb sie wie alle großen IT-Firmen in Robotik, Augmented Reality und andere Wirtschaftszweige investiert. Bei der geschäftlichen Verwertung der Daten verfestigt Googles herausragende Position allerdings die Macht des Datenprimus, der via Algorithmen Denken und Handeln von Menschen beeinflußt. Der Kritiker Evgeny Morozov beschreibt in einem Interview mit der »Technology Review« die Wirkung der Digitalisierung: »Die Bürger überwachen einfach, was und wieviel die Leute essen – mit den Sensoren in ihren Smartphones. Statt darüber nachzudenken, wie die Lebensmittelindustrie agiert, wieviel Zucker und Fett sie den Produkten zugibt oder wie sie ihre Werbung für Junkfood gezielt auf Jugendliche ausrichtet, ermutigen wir die Menschen, mit ihren Smartphones herumzuspielen.« Morozovs Sorge gilt dabei der Verhinderung von Reflexion darüber, was Terroranschläge motiviert und wie Arbeit und Verpflegung anders organisiert werden könnten.

Für Döpfner sind derartige Reflexionen wertlos, er würde sie vermutlich gern verhindern und stimmt überein mit dem Credo, das sein Kompagnon, Californian Dreamboy Diekmann, in der »Taz« verbreiten durfte: »Wenn ich meine Inhalte verschenke, macht eine Social-Media-Strategie nur Sinn, wenn ich auf Reichweite, Reichweite, Reichweite aus bin.« Die Tagesdosis Springer-Jauche kostet 70 Cent auf Papier und monatlich 4,99 Euro als digitaler Code, und wenn die Company des »Reality-Minings« (Shoshana Zuboff ), also Google, einen kleinen Obolus davon abzwackt, so investiert sie ihn, ohne Klassendünkel und Chauvinismus, in neue Techniken. Das »Tu nichts Böses«-Credo von Google ist kein Garant für irgendwas, doch von Springers »Unteilbares Deutschland«-Credo sind die Kalifornier weiter entfernt als Döpfner von einem Advokaten des Sozialismus.


 

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