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Humane Kapitalisten gegen digitale Maoisten: In die Debatte um die Macht der IT-Konzerne haben sich seltsame Begriffe eingeschlichen. Von Marit Hofmann

Verbinde dich mit Facebook, und zeige deinen Freunden, was du eingekauft hast.« Nach der Lektüre von Der Circle wird dir nach solchen Aufforderungen, die dir dein Computer entgegenschleudert, mulmig. Gleiches gilt, wenn du zufällig erfährst, daß an dem Strand, an dem du einen Urlaubstag verbringst, eine Webcam installiert ist. »Sharing is caring« – dieser Slogan ist in pervertierter Form Leitspruch der nach Gehirn- und Weltmarktherrschaft strebenden Hipsterdigitalsekte in Dave Eggers’ Roman. Wenn du andere nicht an deinen privatesten Erlebnissen teilhaben läßt, zitiert dich »die Gemeinschaft« zur Krisensitzung.

Das »1984 fürs Internetzeitalter« (»Zeit online«) ist derzeit willkommener Anlaß, abgestandene Feuilletondebatten zu reproduzieren. Dabei ist Eggers’ Dystopie näher an Aldous Huxleys Schöner neuer Welt als am offen autoritären Orwellschen Überwachungsstaat. Eggers’ Personal braucht nicht mal Soma oder andere Drogen, um sich bereitwillig einem gigantischen Kontroll- und Konsumsystem zu unterwerfen und sich rund um die Uhr per um den Hals baumelnder Kamera »transparent« zu machen. Nur übt hier nicht der Staat die Kontrolle aus, sondern der Circle, ein Megaunternehmen, das sich Google, Apple, Facebook und Co. einverleibt hat. Vieles ist schon Wirklichkeit von jener neuen Welt, die Eggers schön schaurig ausmalt. Während die ersten deutschen Firmen etwa ihre Mitarbeiter mit Schrittzählern ausstatten, mißt im Circle ein Armband prophylaktisch permanent sämtliche Gesundheitsdaten der Angestellten, damit der firmeneigene Arzt rechtzeitig eingreifen kann, bevor die Leistung suboptimal wird.

Der kalkulierte Bestseller mit Botschaft untermauert clever die kursierenden Untergangszenarien 2.0 mit einer wahrlich beklemmenden Zukunftsvision. Literarisch ist das, was der Gewährsmann des um unser Seelenheil besorgten Frank Schirrmacher selig liefert, dürftig: Der US-Autor hat seine anfängliche Verspieltheit (Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität) pädagogischer Massentauglichkeit und oberflächlicher Figurenzeichnung geopfert, du könntest glatt Smiles und Frowns ans Personal verteilen. Ein klares »Gefällt mir nicht« geht auch an die Protagonistin: Zieht sie doch am Ende den schlechten Sex mit einem Circle- Member, das die Community gleich im Anschluß daran »partizipieren« läßt, dem guten Sex mit dem Rebellen aus dem kreativen innersten Circle vor, dem das eigene Werk über den Kopf gewachsen ist und der ganz im Sinne des Autors mahnt: »Wir müssen alle das Recht haben zu verschwinden.«

In der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung « verteidigt Julia Encke den Roman gegen seine Kritiker mit dem Argument: »Wie kann es denn sein, daß ein ›schlechtes Buch‹ …so umfassend Aufmerksamkeit erregt?« Das ist erstens schon viel schlechteren Büchern gelungen. Zweitens ein etwas scheinheiliges Argument, ist es doch ein mediengemachter Hype und nicht zuletzt die »FAS« selbst, die dem »Roman unserer Epoche« – als Hommage an Schirrmacher – ein ganzes Feuilleton gewidmet hat.

Bemerkenswerter ist, daß sich in die Debatte um die Macht der IT-Konzerne antilinke Begriffe eingeschlichen haben. Einer der Circle-Gründer und Anführer der »Vierzigerbande«, wie sich die Entscheider in Anlehnung an die maoistische Viererbande nennen, ist Anhänger eines sogenannten Infokommunismus, einer Utopie, nach der »alle Informationen, ob persönlich oder nicht, allen bekannt sein sollten«. »Gepaart mit skrupellosen kapitalistischen Ambitionen « führe das, wie sein abtrünniger Geschäftspartner warnt, zum »totalitären Alptraum«.

Der Feministinnenalptraum Ralf Bönt liest aus dem Roman gar »die wirklich spannende These« heraus, »daß der Kapitalismus dem Kommunismus immer ähnlicher wird«. Der »Spiegel« beruft sich in seiner Rezension auf das Urteil des Webkritikers Jaron Lanier über IT-Ideologen: »Es ist im Kern eine Heilslehre, die mit dem Kommunismus vergleichbar ist, der als gute Idee begann, bevor alles in der Katastrophe und im Gulag endete.« Lanier war es auch, der den Kampfbegriff »digitaler Maoismus « für die »antidemokratische Datensammelwut « der Internettycoons geprägt hat.

Dabei sind Springers Attacken gegen Google ebenso wie die von Lanier und anderen vorgezauberten »Lösungsvorschläge«, man müsse den Monopolisten Konkurrenz machen oder den Nutzer an den Gewinnen beteiligen, den ganz und gar unkommunistischen Interessen des Silicon Valley nicht fern. Müssen die neuen Widerstandskämpfer das alte kommunistische Feindbild hervorkramen, um zu kaschieren, daß ihnen zur Abwehr einer Entwicklung, die Konsequenz des kapitalistischen Systems ist, wiederum nur kapitalistische Gegenmaßnahmen einfallen?

Eine davon präsentiert nun auch Hannes Grassegger stolz in seinem Minimanifest DasKapital bin ich (»Wird oft zusammen gekauft mit Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ.« Danke, Amazon!). Dem in jeder Hinsicht dünnen Büchlein ist ein Summary vorangestellt, das ganze Textbausteine aus dem Folgetext enthält – hält der Autor seine Leser bereits für Opfer des digitalen ADHS? Die »junge deutsche Stimme des Internetliberalismus« (Verlag) propagiert in nervenstrapazierendem Agitationsstil einen Ausweg aus der »selbstverschuldeten ›digitalen Leibeigenschaft‹« und verspricht, daß wir dabei sogar noch Geld verdienen. Hübsche Pointe: Grassegger beschuldigt wiederum den Antimaoisten Lanier, seine Idee, daß die Firmen die Nutzer für gepostete Inhalte bezahlen sollen, führe ebenfalls zu »digitalem Maoismus«: Ein »riesiger Store« würde die Geldflüsse überwachen, alle Daten zentral verwalten und »jegliche Idee des freien Marktes « untergraben.

Grasseggers als genial verkaufte Lösung ist aber nur eine winzige Variante: Du sollst deine Daten zunächst gar nicht hergeben, sondern »künstlich verknappen« und, statt dir von den bösen US-Firmen nach ihrem Gutdünken nachträglich Brosamen zuwerfen zu lassen, vorab mit den Konzernen, die von deinen Daten und Inhalten profitieren, deine finanzielle Beteiligung aushandeln. Unter der ganz unironischen Überschrift »Ich als Ware« beschwört der Ökonom und Journalist das Paradies des freien Marktes: »Unser Selbst ist unser Eigentum, und wir müssen uns die Freiheit nehmen, mit unserem Besitz zu handeln.« Auf die »digitale Leibeigenschaft « soll so ein »digitaler Humanismus« mit lauter glücklichen Ich-AGs folgen. Selbst ist der Mensch, der sich verkauft. Sei dein eigener Zuhälter, und du wirst sehen: Die neue Welt, sie ist schön.

 

Dave Eggers: Der Circle. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, 560 Seiten, 22,99 Euro

Hannes Grassegger: Das Kapital bin ich. Schluß mit der digitalen Leibeigenschaft! Kein & Aber, Zürich 2014, 80 Seiten, 7,90 Euro

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