Die Experimentierfreude gewisser Internetunternehmen kennt keine Grenzen. Von Fabian Lichter
Der Aufruhr war groß, als kürzlich bekannt wurde, daß Facebook im Zuge eines Experiments mit Forschern der New Yorker Cornell University die Newsfeeds von nahezu 700.000 Nutzern manipuliert hat. Über eine Woche habe man deren Startseiten so geändert, daß man aus den Posts befreundeter Nutzer positive bzw. negative Inhalte gefiltert hat, um dabei die Auswirkung auf das Verhalten der jeweiligen Empfänger zu untersuchen. Das Ergebnis: Ein emotional unterkühlter Newsfeed ließ die
Nutzer weit weniger positiv gestimmte Beiträge posten als die andere Gruppe, die vorwiegend positive Inhalte erhalten hatte. Obwohl User in den AGBs auch der wissenschaftlichen Nutzung ihrer Daten zustimmen, schien Facebook einigen diesmal eindeutig zu weit gegangen zu sein, da das Unternehmen hier im stillen bewußt versucht hat, auf das Befinden seiner Nutzer einzuwirken, und somit zumindest in Kauf nahm, durch das Eingreifen in den Newsfeed negative Gefühle hervorzurufen. Anschließend wurde auch über die Online-Partnerbörse OK-Cupid bekannt, daß diese mit ihren Kunden experimentiert hat. Christian Rudder, Mitgründer des Unternehmens, verkündete in einem Blogeintrag, solche Experimente seien schlicht notwendig, um gute von schlechten Ideen zu trennen, zumal man bei der Arbeit an derartigen Services auf keine anderweitigen Erfahrungswerte zurückgreifen könne. OK-Cupid habe, erklärte Rudder, Anfang 2013 zum Start der neuen App für ein paar Stunden die Nutzerbilder von den Profilen verschwinden lassen, um deren Stellenwert für das Kontaktverhalten unter den Nutzern zu untersuchen, was zum Ergebnis gehabt habe, daß sich die Anzahl der Antworten auf Messages zur ersten Kontaktaufnahme um 44 Prozent erhöhte. Mit Wiedererscheinen der Bilder seien die meisten dieser Kontakte schlagartig versiegt. Die Profilfotos seien also viel stärker ausschlaggebend für User als die restlichen Informationen. Auch wurden Matching-Quoten manipuliert, so daß sich Benutzer, die laut OK-Cupids Berechnungen weniger zueinander paßten, im Glauben, hohe Übereinstimmungswerte zu besitzen, tatsächlich engagierter unterhielten.
AGBs und ethische Konventionen mal außer Acht gelassen, stellt sich die Frage, was unheimlicher ist: der Experimentiertrieb gewisser Internetfirmen oder die Treue, mit der manch einer sich diesen trotz aller Fauxpas verschreibt. Inklusive der Bereitschaft, sich von einem Unternehmen vorrechnen zu lassen, mit wem es sich überhaupt lohnt, in Kontakt zu treten. Erstaunlich, wie episodenhaft sich Websurfer dann und wann doch an analoge Anachronismen wie Privatsphäre oder Autonomie erinnern. Vielleicht ließe sich das mit einer App genauer erforschen.
– Fabian Lichter –