Wissenschaftlerinnen tauschen sich im Netz darüber aus, wie Männer sie belehren wollen. Von Kendra Briken
Bullshit-Bingo hat sich in den neunziger Jahren symbiotisch mit neoliberalem Neusprech entwickelt. Die Idee blieb zunächst auf Treffen in Unternehmen (meetings) beschränkt. Die Regeln sind simpel: Es wird vorher eine festgelegte Anzahl an Begriffen aufgeschrieben. Sind alle Worte der eigenen Liste während des Meetings gefallen, wird »Bullshit!« gerufen. Bullshit-Bingo kann heute umstandslos bei jedem Fernsehtalk gespielt werden. Auch Interviews zum Thema Genderforschung sind bestens geeignet, zumal wenn echte Experten (»FAZ«-Redakteure, deutsche Professoren) zu Wort kommen. Ulrich Kutschera beispielsweise, seines Zeichens Ringelwurmforscher (Entdecker des Freiburger Bächle- Egels), C4-Professor für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Uni Kassel, war jüngst im RBB zu hören, und die Liste war schnell ausgestrichen: unwissenschaftlich, Ideologie, quasireligiös, feministische Sekte, Fakten zählen nicht, Genderisten sind wie Kreationisten. Transsexuelle sind »Designfehler der Natur«. Schließlich: »Hochqualifizierte Frauen sind nicht bereit dazu, jetzt einen unterprivilegierten Mann zu heiraten … Frauen suchen immer Männer, die gleich oder höher qualifiziert sind. Nur das Problem ist, wenn jetzt eben die höherdotierten Stellen von Quotenfrauen belegt sind, dann fehlen diese noch höher qualifizierten Männer. Das heißt, die hochqualifizierten Möchtegern-Alphaweibchen sterben alle kinderlos.« Bullshit!
Kritik kontert der deutsche Professor mit dem, was man gemeinhin dem Boulevard zuschreibt. Kutschera adelt es zur Fachliteratur, in der »immer wieder« festgestellt werde, dass »Männer über alle Kulturen hinweg deutlich jüngere, attraktive, fertile, nicht besonders wortgewandte Frauen bevorzugen. Männer sind quasi die Urviecher in uns, die Affen ... Männer wollen einfach eine nette Frau, mit der man nicht viel diskutieren muss; jung, attraktiv, gut kochen muss sie können, Kinder großziehen.« (Bullshit!)
Zwischen Fremdscham, Lachanfall und Brechreiz stellt sich die Frage: Was tun? In ihrem jüngst veröffentlichten Essayband Wenn Männer mir die Welt erklären weist die US-amerikanische Kulturhistorikerin Rebecca Solnit darauf hin, dass Frauen in solchen diskursiv zumeist aussichtslosen Situationen häufig Schweigen als Strategie wählen. Als Mansplaining wird das Phänomen im Internet von Frauen mit Frauen diskutiert (mansplained.tumblr.com). Die dort gesammelten Erfahrungsberichte zu dem als männlich konnotierten Redeverhalten dürften bei linkspolitisch Sozialisierten nur ein schwaches Kopfnicken auslösen. Dass ein Mann der Autorin ihr eigenes Buch zur Lektüre empfiehlt, wie es Solnit passiert ist, dass ein Mann der Neurologin die Funktionsweise des Gehirns oder der Genderforscherin das Geschlechterverhältnis erklärt? Dieses Phänomen wird von der so oft diskreditierten Genderforschung schon seit langem untersucht, sogar im ganz engen naturwissenschaftlichen Sinne. Projekte, Befunde, Artikel, mutmaßlich ganze Bibliotheken unterstreichen, dass es hier nicht um anekdotische Evidenz geht. Mit diesem Argument hingegen ist so gut wie nichts gewonnen. Wer mit Adam und Eva startet, hat einen Teil der dominanten Strukturen bereits akzeptiert.
Die herrschenden Verhältnisse als Sachzwang oder Naturgewalt zu beschreiben, ist ein lang erprobtes Verfahren zur Vertuschung von Machtverhältnissen, sozialer Ungleichheit und Interessenkonflikten. Mansplaining kann systematisch nicht geeignet sein, das von Solnit und anderen angesprochene Problem des eben nicht männlichen, sondern männlich konnotierten Redeverhaltens zu erfassen. Ein Redeverhalten, das eben nicht allein Frauen zum Schweigen bringt, sondern auch als hochproduktiv im Rahmen kapitalistischer Strukturen gilt. Unternehmen sind soft skills und Kommunikation heute vor allem genehm, weil sie die verschärften Ausbeutungsverhältnisse perfekt verschleiern. Karriere oder Marktmacht hingegen sind ohne aggressive Ausschaltung von Konkurrenz nicht zu haben. Hier den Umweg des Mansplaining zu nehmen, führt, Verzeihung, in eine Sackgasse. Es spielt konservativen Feministen in die Hände, denn es suggeriert ein binäres, an biologische Geschlechter gebundenes Verhalten. Es spielt damit auch Kutschera und Co. den Ball zu, vom Mansplaining zum Neandertaler ist es nicht weit. Empirische Ergebnisse lassen sich, siehe Kutschera, heutzutage für noch jede Meinung finden oder produzieren. Die starke Resonanz des Begriffs, sie liegt genau in dieser Möglichkeit, die Mansplaining bereit hält: sich in einen Individualfeminismus zu flüchten, der keine Kollektive, kaum etwas eigentlich Politisches kennt.
Die Autorin selbst schreibt, dass ihre eigene Geschichte bestenfalls geeignet sei, einen winzigen Ausschnitt des Geschlechterverhältnisses zu beleuchten. Eine Geschichte, die ein Problem reflektiert, das vor allem heterosexuelle, weiße Mittelschichtsfrauen angeht, die im Rahmen paternalistischer wie paternalisierender bürgerlicher Konventionen nicht immer laut »Bullshit!« rufen wollen (oder können). Ihr eigentliches Anliegen entfaltet Solnit über die Bandbreite ihrer Essaysammlung, in der sie sich aus der Komfortzone konservativer Feministinnen hinausbewegt. Gern würde man mit Herrn Kutschera mal diskutieren, ob häusliche Gewalt gegen Frauen, rape culture, Massenvergewaltigungen im Rahmen strategischer Kriegsführung auch schlicht Teil der männlichen Urviecherei sind. Und wenn ja, ob dann nicht, wie Solnit fragt, auch Männer ein Interesse daran haben sollten, sich aus dem Schlamassel herauszubewegen, wenn augenscheinlich, seiner »Argumentation« folgend, die Evolution hier etwas schlampig war? Solnit blickt optimistisch in die Zukunft, denn bereits heute seien der moderne Feminismus und all seine Weiterentwicklungen irreversibel in Gesellschaften verankert. In ihrer Lesart könnten die heutigen Urviecher bereits die letzten ihrer Art sein. Doch ihr Aussterben wird ohne solidarische, vielfältige und schmerzhafte Kämpfe gegen die herrschenden Verhältnisse nicht zu haben sein.
Rebecca Solnit: Wenn Männer mir die Welt erklären. Aus dem Englischen von Kathrin Razum und Bettina Münch. Hoffmann & Campe, Hamburg 2015, 176 Seiten, 16 Euro
Kendra Briken schrieb in konkret 9/15 über den Film »Die Angst wegschmeißen«