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IM Plate

Das Verhältnis von Medien und Staatsmacht ist komplexer, als es scheint. Nicht wenige Journalisten haben in der Bundeswehr gedient und finden ein- bis zweimal jährlich als Reserveoffiziere auch in Stäben zur Beurteilung der Feindlage, Nachrichtengewinnung und Aufklärung Verwendung. Vor wenigen Wochen erst machte der frühere SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke Schlagzeilen, den der deutsche Auslandsgeheimdienst BND erst in der »Spiegel«-Redaktion und dann im Springer-Verlag plaziert hatte. 2013 machte die Überwachung von mindestens sieben Journalisten durch den niedersächsischen Verfassungsschutz Schlagzeilen.

Solche Anwerbeversuche, Überwachungsprojekte oder Beschäftigungen von Informanten durch die verschiedenen Geheimdienste werden selten bekannt, aber doch oft genug, als dass man sie einfach als Pannen und Einzelfälle abtun könnte. Dass allerdings verdeckte Ermittlerinnen der Polizei unter falschem Namen in Redaktionen tätig werden, wie die vor kurzem enttarnte Hamburger LKA-Beamtin Iris Plate, die vor allem in der Hamburger Roten Flora aktiv war, aber eben auch zwischen 2003 und 2005 im Radiosender FSK (Freies Sender Kombinat), ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Dass eine Polizeibeamtin sich im Staatsauftrag als Journalistin profiliert hat, als Vertreterin der Exekutive also gleich noch die vierte Gewalt mit ausübte, ist zum einen ein besonderer Ausdruck der Missachtung von Pressefreiheit und Redaktionsgeheimnis, es ist zum anderen aber auch eine ruppige Attacke auf das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, die, wenn sie sogenannte freie Medien konsumiert, gerade nicht ans jeweilige Redaktionsformat angepasste Verlautbarungen von Polizeibeamtinnen konsumieren möchte. Wenn befürchtet werden muss, dass die Medien, gerade wenn sie in besonderem Maße unabhängig und kritisch erscheinen, auch durch verdeckte Ermittler geprägt werden, verändert Öffentlichkeit ihr Gesicht. Das, was die LKA-Beamtin hier getan hat, ist sicher kein Fall der in Artikel 5 Grundgesetz verbotenen Zensur, es hat aber gravierende Auswirkungen, weil sich Medien und die, die sich durch sie informieren wollen, nicht darauf einstellen und nicht dagegen wehren können.

Es ist irritierend, dass Journalisten und ihre Berufsverbände diesen Aspekt des Verdeckte-Ermittler-Skandals bislang nur verhalten aufgegriffen haben. Sollte die Hamburger Bürgerschaftsfraktion der Linken mit ihrem Vorschlag eines Untersuchungsausschusses durchkommen, wäre auf die publizistische Arbeit der LKA-Beamtin und auf deren Begleitung durch die Führungsoffiziere besonderes Augenmerk zu richten. Vielleicht steht am Ende dann wieder wie 2010 eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: das hatte damals eine Durchsuchung der Redaktionsräume des FSK, die 2003 – also in der Zeit der Tätigkeit von Frau Plate – stattgefunden hatte, als rechtswidrigen Verstoß gegen die Pressefreiheit gerügt.

Oliver Tolmein

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