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"Warum mögen Sie keine Frauen?"

Iris Ludwig

Wer aufgrund seiner Homosexualität verfolgt wird, kann in Deutschland Asyl beantragen. Wie die Prüfung solcher Anträge abläuft, erklärt Iris Ludwig, die in München als Anwältin für Asylrecht arbeitet.

 

Konkret: Unter welchen Voraussetzungen haben homosexuelle Menschen nach deutscher Rechtsprechung einen Anspruch auf Asyl?

Iris Ludwig: Es gibt den Asylgrund der politischen Verfolgung. Darunter fallen auch Menschen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Homosexuelle gelten als Teil einer sozialen Gruppe und haben einen Anspruch auf Asyl, wenn Homosexualität in ihrem Herkunftsland strafbar ist oder in anderer Weise verfolgt wird.

Wie läuft die Prüfung solcher Asylanträge ab?

Die Leute werden zunächst vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört. Dabei werden sie dann auch danach gefragt, warum sie ihr Heimatland verlassen haben. Dieses Interview dient als Basis der Entscheidung über ihren Asylantrag. Wenn das Bundesamt zu der Einschätzung kommt, dass dem Antragsteller nach einer möglichen Rückkehr in sein Heimatland Verfolgung droht, dann bekommt die Person gegebenenfalls eine Flüchtlingsanerkennung. Bei Nichtanerkennung besteht die Möglichkeit, die Sachlage in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen. Ansonsten droht die Abschiebung.

Wie hat man sich diese Interviews vorzustellen? Es geht ja im Falle der Verfolgung homosexueller Menschen nicht zuletzt darum einzuschätzen, ob die Antragsteller tatsächlich homosexuell sind.

Ich habe als Anwältin Einblick in die Anhörungsprotokolle des Bundesamts. Wenn man sich diese Dokumente ansieht, stößt man schon auf sehr bedenkliche Fragen und Argumentationen. Ein Beispiel: Ein Mandant aus Sierra Leone wurde gefragt, wann er denn gemerkt hätte, dass er homosexuell sei. Er erzählte dann, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt seinen Freund kennengelernt habe und sie nach zwei Jahren ein Paar geworden seien. Dann fragt das Bundesamt: »Das bedeutet also, dass Sie erst seit diesem Jahr homosexuell sind?« Das bejaht der Antragsteller. Darauf das Bundesamt: »Wie haben Sie denn nun gemerkt, dass Sie homosexuell sind?« Und später wird dem Antragsteller vorgehalten, dass er, obwohl er doch wisse, wie problematisch die Situation für Homosexuelle in Sierra Leone sei, seine Homosexualität öffentlich ausgelebt habe. Das Bundesamt sagt wörtlich: »Das passt doch irgendwie nicht zusammen. Insbesondere dann nicht, wenn Sie das auch noch mit einem weißen Mann tun, der schon allein wegen seiner Hautfarbe in Sierra Leone auffällt. Was meinen Sie dazu?« Lange Zeit war es tatsächlich ein anerkanntes Argument in Asylverfahren, dass es Homosexuellen zuzumuten sei, sich beim öffentlichen Zeigen ihrer sexuellen Orientierung in ihren Herkunftsländern zurückzuhalten, um so Repression und Verfolgung zu vermeiden. Der Europäische Gerichtshof hat dann eine Entscheidung getroffen, die dieses Argument für unzulässig erklärt hat. Ein weiteres Beispiel: Einer meiner Mandanten aus Uganda wurde gefragt: »In einer homosexuellen Beziehung gibt es häufig eine Rollenverteilung. Welcher Part war denn der Ihre?« Darauf der Antragsteller: »Ich habe die männliche Rolle gespielt.« Und das Bundesamt fragt zurück: »Warum mögen Sie denn keine Frauen?« Bestenfalls hat der Beamte, der dieses Interview führte, den Wissensstand eines etwas naiven Durchschnittsbürgers.

Oder er ist schlicht homophob.

Ja, und in einer Behörde tätig, die lebenswichtige Entscheidungen trifft. Man sollte sich auch klarmachen, dass in dieser Interviewsituation ein Übersetzer anwesend ist, der häufig aus dem Kulturkreis des Antragstellers stammt. Dass hier auf Seiten der Asylsuchenden Ängste bestehen, offen über ihre Homosexualität zu sprechen, darf man nicht vernachlässigen. Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel für die Befragungspraxis in diesen Anhörungen: Ein Beamter des Bundesamts fragt: »Seit wann wissen Sie denn, dass Sie bisexuell sind?« Darauf der Antragsteller: »Schon seit ich die erweiterte Schule besucht habe.« Damit gibt sich der Beamte aber nicht zufrieden: »Und wie viele Männerbeziehungen hatten Sie seither?« »Mehrere«, antwortet der Mann aus Nigeria. Daraufhin der Beamte unnachgiebig: »Wie viele?« Das ist schon ein regelrechtes Verhör. Im übrigen tut sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bis heute sehr schwer, Bisexualität in sein Kategoriensystem einzuordnen. Ich weiß aus der Praxis, dass es mehr Probleme bei Asylverfahren gibt, in denen die Antragsteller sagen, sie seien bisexuell. Da kommt dann von Seiten der Beamten beispielsweise Folgendes: »Ja, aber sie waren doch mit einer Frau verheiratet.«

Soll heißen: »Hätten Sie es nicht einfach dabei belassen können?«

Genau, in diese Richtung. Ich habe hier auch noch ein Zitat aus einem Ablehnungsbescheid des Bundesamts: »Der Sachvortrag des Antragstellers ist durchgehend unsubstantiiert, oberflächlich und vage, so dass nicht davon ausgegangen wird, dass der Antragsteller von tatsächlich Erlebtem berichtet. Zu seiner Beziehung mit dem Pfarrer befragt, antwortet der Antragsteller stets ausweichend und oberflächlich. Eine ausführlichere Darstellung der intimen Beziehung zum Pfarrer wäre aber gerade vom Antragsteller zu erwarten gewesen.« Man wirft diesem Antragsteller also vor, nicht offen über seine intime Beziehung zu sprechen, die in diesem Fall auch noch einen Pfarrer betrifft, was das Tabu und die Scham sicher noch verstärkt. Das ist schon eine sehr unreflektierte Begründung.

Der Europäische Gerichtshof hat kürzlich entschieden, dass den Asylbehörden in Verfahren mit homosexuellen Antragstellern Nachfragen erlaubt seien. Tests oder das Erbringen von »Beweisen« seien jedoch unzulässig. Was ändert sich mit dieser Entscheidung?

Ich hoffe, dass im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Diskussion darüber stattfindet, welche Fragen bei derartigen Anhörungen gestellt werden können und welche bloß Stereotype ausdrücken.

Aber es bleibt bei dem Prinzip, dass jemand glaubhaft seine sexuelle Orientierung vermitteln muss.

Ja, der Verfolgungsgrund muss glaubhaft gemacht werden. Asylsuchende, die beispielsweise angeben, aufgrund ihrer Religion verfolgt zu werden, müssen auch schon mal erklären, was es mit der »Dreifaltigkeit« auf sich habe. Aber es ist natürlich etwas anderes, die eigene sexuelle Orientierung offenlegen zu müssen.

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