Das Internet der Dinge, die Idee des technisierten Lebens, bringt selbstgefällige Geschäftsmodelle mit sich. Von Peter Kusenberg
Die Digitalisierung des Alltags läuft auf vollen Touren. In manchen Familien und Ersatzfamilien sitzen die Monaden um den Frühstückstisch und »reden« miteinander, indem sie, die Augen auf die Displays ihrer Smartphones gerichtet, Whatsapp-Nachrichten miteinander austauschen. Die mittels Smartphone, I-Watch und Digitalbrille ausgerüsteten Menschen laufen durch die analoge Welt und starren ins Leere, während sie ins Leere sprechen, denn das erbsgroße Mikrofon neben ihrem Ohrstöpsel ist unter den Haaren verborgen, wobei in der analogen Welt vornehmlich die digitalen Elemente von Interesse sind, die via Augmented Reality aufs Display gestreamt werden. Niemand nimmt Anstoß daran, wenn Firmen Apps entwickeln, mit denen der Nutzer seine eigenen Fäkalien gemäß Form und Konsistenz spezifiziert.
Doch der Appmarkt ist nicht unerschöpflich, genausowenig wie der Softwaremarkt für Desktopcomputer und Laptops. Zwar steigen die Umsätze: im Apple-eigenen Appstore auf etwa 14 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014. Doch die meisten Apps gehen in der Fülle des Angebots unter, den großen Reibach machen wenige Hundert Anbieter, vornehmlich mit Spielen. Viele Hersteller haben ihre Apps mangels Nachfrage aus dem Appstore entfernt; laut einer amerikanischen Marktstudie verschwand bislang etwa ein Fünftel der rund 1,8 Millionen I-Phone-Apps aus dem Angebot. Denn die Besitzer der digitalen Endgeräte verfügen, genau wie ihre analogen Vorfahren, über bloß 24stündige Tage, die maximale Smartphone-Nutzungszeit lässt sich nicht unendlich steigern.
Entsprechend der relativen Sättigung der Nachfrage nach Apps für Smartphones fokussieren sich mehr Entwickler auf den Markt für die Wearables genannten Geräte einerseits und auf Software für das Internet der Dinge andererseits. Bei Wearables handelt es sich um Pulsmesser, Schrittzähler und digitale Brillen, die der Nutzer am oder im Körper trägt. Die Geräte bedürfen einer entsprechenden Software, die den Puls misst, Schritte zählt und auf dem Brillendisplay die Distanz zum nächsten Bräunungsstudio einblendet. Apples I-Watch ist das prominenteste Beispiel im Wearables-Markt, mit ihren angeblich 18 Stunden Akkulaufzeit demonstriert die Apple-Uhr aufs Komischste die weitgehende Albernheit dieses Marktsegments.
Das Internet der Dinge wirkt seriöser, nicht zuletzt wegen seines immanenten Versprechens auf Bequemlichkeit und Sicherheit. Die Idee des technisierten Lebens speist sich aus Werken der Science-Fiction-Literatur und des Science-Fiction-Films, die seit dem frühen 20. Jahrhundert ein paradiesisches und arbeitsfreies Leben dank der Arbeitskraft des Roboters verheißen. Das Internet der Dinge verlagert einen Teil der mehr oder minder intelligenten Software von den Nutzercomputern in die Gegenstandscomputer: Öffentliche Mülleimer melden den Entsorgungsbetrieben via Funkchip, wann sie geleert werden müssen; die Rolläden im Eigenheim fahren in der Abenddämmerung nach unten; Zahnbürsten informieren über die Gründlichkeit der Zahnreinigung; Haustüren öffnen sich via Smartphonecode, intelligente Fahrräder melden den Zustand ihrer Einzelteile via Funk, die Spielkonsole startet auf Zuruf. Bodenreinigungsroboter fahren über den Teppich, den PVC-Boden und die Fensterscheiben der Wohnung, während der Besitzer im Büro weilt, um am Feierabend eine selbständig gereinigte Wohnung vorzufinden, was indes die nicht unbeträchtliche Reinigung der Roboter nach sich zieht. Siemens stattet Haushaltsgeräte mit Funkchips und Software aus, die Kontakt zum Smartphone des Besitzers halten. Auf diese Weise kann der Nutzer den Ofen auf dem Weg nach Hause einschalten, oder er erhält eine Nachricht, wann die Spülmaschine ihren Reinigungsauftrag erledigt hat. Der süddeutsche Krimskramsanbieter Pearl verkauft einen W-Lan-Wasserkocher, der das Wasser bis zu der Temperatur erhitzt, die der Besitzer via App auf dem Smartphone einstellt. Den Tee aufgießen muss der Mensch selbst, insofern entspricht dieser Wasserkocher in puncto Arbeitserleichterung und Bequemlichkeit der klassischen Exkremente-Bestimm-App.
Das Internet der Dinge führte während der neunziger und nuller Jahre ein Schattendasein. Rund 20 Jahre lang arbeiteten Hersteller daran, computerförmige Einheiten in Maschinen, Haushaltsgeräte und Alltagsgegenstände zu integrieren und massenmarkttauglich zu machen, wobei der intelligente Kühlschrank stets als das markanteste Beispiel für die Nutzlosigkeit dieses Marktes galt. Seit wenigen Jahren immerhin kann man unterschiedliche Maschinen mit der nötigen Intelligenz ausstatten, da die stark gesunkenen Kosten für Prozessoren und Arbeitsspeicher eine Serienproduktion ermöglichen. Die verträglichen Chippreise erlauben es einer Firma wie dem Schweizer Anbieter Digitalstrom, spezielle Lüsterklemmen in die Stromnetze von Häusern zu integrieren, um Lampen, Heizung und Türöff-ner miteinander zu vernetzen und via Smartphone zentral zu steuern. Dieses sogenannte Smart Home soll dabei helfen, Energie zu sparen – und gebiert neue Branchen, die sich zum Beispiel auf Sicherungskonzepte spezialisieren, um die angeblich so smarten
Homes vor Hackerangriffen zu schützen. Der digitale Mensch ist offenbar derart entkräftet, dass er keinen Schlüssel mehr im Schloss umzudrehen imstande ist und statt dessen in Kauf nimmt, irgendwann mit leerem Handyakku vor der verschlossenen Tür zu stehen und sein Leid nicht einmal der Social-Media-Welt kundtun zu können. Wegen der besinnungslosen Digitalmanie boomt die Branche; Digitalstrom meldet Jahr für Jahr Rekordumsätze. Der intelligente Kühlschrank hingegen bleibt weiterhin das markanteste Beispiel für den zweifelhaften Sinn des Internets der Dinge. Denn bis heute mag kaum jemand einen Kühlschrank kaufen, der automatisch via Internet Milch nachbestellt, sobald keine Milch mehr im Kühlschrank steht.
Die Falschheit des Versprechens auf Arbeitserleichterung und Robotisierung der Arbeitswelt wird offenbar, wenn selbst die Angehörigen der mittleren Klassen rund um die Uhr via Tablet, Smartphone und Smartwatch für Arbeitsaufträge erreichbar sind. Der Netzarbeiter wird zum Koordinator, während zahlreiche manuelle Arbeitsplätze durch die intelligenten Dinge vernichtet oder verlagert werden. Zudem blenden die Nutzer die fatale Umweltzerstörung qua Massenproduktion von Mikrochips und Computerteilen aus. Laut einem Bericht der BBC existiert nahe der chinesischen Stadt Baotou ein gigantischer See voll schwarzen Giftschleims, den ein britischer Besucher
als »Hölle auf Erden« bezeichnete. Der Abbau der dortigen Seltenen Erden verwandelt bewohnbare Welt in Wüste. Die zusätzliche Ausstattung von Geräten mit Chips beschleunigt diesen Prozess der Zerstörung von Lebensgrundlagen vor allem der Menschen in der Peripherie kapitalistischer Produktion. Vermutlich würde jeder, der diese Hölle zu besichtigen gezwungen ist, sein Smartphone in jenem Pfuhl versenken und, statt die Regenradarapp zu starten, einfach aus dem Fenster gucken, um das Wetter zu begutachten.
Doch Baotou in der Inneren Mongolei ist weit entfernt von Hamburg-Winterhude, und die hauptsächlichen Profiteure der Objektdigitalisierung bringt niemand in Zusammenhang mit dem schmutzigen Geschäft um Hardware und Hardware-Abfälle. Google, Facebook und Amazon orientierten sich nach jahrelanger Investition in Digitaltechnikfirmen zunehmend in Richtung traditioneller Geschäftsfelder, etwa der Pharmaindustrie und der Automobilbranche. Vor allem letztere erfährt aktuell eine digitale Aufrüstung, seitdem Google die Produktion selbständiger Automobile ankündigte. Das intelligente Auto verheißt zumindest den zahlungskräftigen Angehörigen der mittleren und höheren Klassen eine Fahrt, bei der der Computer den Menschen durch die Gegend chauffiert, während er drinnen sitzt und Sudokus auf dem Tablet-PC löst. Traditionelle Automobilhersteller setzen vornehmlich auf die digitale Aufrüstung ihrer Wagen: Das Innere wird mit Computern vollgestopft, Bordkameras filmen den Raum hinter dem Wagen, es piepst und eine Säuselstimme mahnt zum Gurtanlegen. Die Aufmerksamkeit des Fahrers wird entsprechend stark in Anspruch genommen von jenen Displays, die einen Teil der Windschutzscheibe verdecken. Statt den Fahrer besser über seine Umwelt in Kenntnis zu setzen, verlagern die Internetgeräte seine Aufmerksamkeit von der Außen- in die Innenwelt. Nicht verwunderlich ist es daher, dass die Zahl der Verkehrstoten, insbesondere der getöteten Kinder, Radfahrer und Fußgänger, in den vergangenen Jahren gestiegen ist.
Ein besonders perfides Beispiel für selbstgefällige Geschäftsmodelle im Kontext des Internets der Dinge ist der sogenannte Schutzranzen. Das Steinbeis-Institut für Digitale Innovationen in Berlin entwickelte eine App, die vorgeblich das Leben von Schulanfängern schützen soll. Auf der Cebit-Preview in Hamburg im Januar erklärte Direktor Walter Hildebrandt seine Erfindung: »Das Auto ist zum rollenden Büro geworden, der Autofahrer erhält während einer Fahrt ständig neue Anrufe, weshalb er vermindert auf den Verkehr achtet.« Auf Hildebrandts rhetorische Frage, was er gegen seine Unachtsamkeit tun könne, antwortete er nicht: »Smartphone ausschalten«, sondern: »Die Sichtbarkeit des Kindes muss erhöht werden.« Da – laut Hildebrandt – 40 Prozent aller Schulkinder über ein Smartphone verfügten, sei es geraten, die Kinder mit den Autofahrern zu vernetzen, eben durch jenen Schutzranzen. Die App befinde sich auf den Smartphones der Schulkinder und der Autofahrer. Der Autofahrer erhalte eine Warnmeldung, sobald sich ein Kind in seiner Nähe befinde. Also müssten nur alle Autofahrer und mindestens alle 700.000 Schulanfänger, wenn nicht alle 2,8 Millionen Grundschüler, mit der App ausgestattet werden, dann werden die Autofahrer gewarnt – wenn sie sich nicht gerade von Anrufen ablenken lassen. »Alle 18 Minuten wird ein Kind im deutschen Straßenverkehr verletzt, alle vier Tage eines getötet«, sagte Hildebrandt. Dass ein Verzicht auf die überflüssige Autofahrerei in Großstädten, das konsequente Unterlassen von Telefoniererei im Auto, verkehrsberuhigte Straßen, breitere Fuß- und Radwege das Kind mehr zu schützen vermögen als Smartphonedauerpiepserei im Fond des stressgeplagten Dauersurfers, mochte Hildebrandt nicht gelten lassen. Die ganze Unvernunft der Digitalbelobigung bündelt sich in einem Satz, den der Erfinder während eines Podiumsgesprächs äußerte: »Ich als deutscher Vater glaube, dass wir die Digitalisierung des Kindes hinkriegen.« Nach dem Internet der Dinge folgt also das Internet des Kindes. Dass ein verantwortungsvoller Wissenschaftler die Hirnfestplatte des Herrn Hildebrandt austauscht, darf leider niemand erwarten.
Peter Kusenberg sprach in konkret 1/15 mit dem Dokumentarfilmer Valentin Thurn