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Graccidents happen

Es gibt nicht Hässlicheres als Kofferwörter in der Alltagssprache, also Wörter wie nichtsdestotrotz oder Denglisch oder Demokratur oder: Grexit. Die Frechheit, zwei Wörtern, ohne Rücksicht auf Sinn und Morphematik, beliebige Laute zu entnehmen und sie zu einem neuen Wort zu verbinden, sollte als Straftatbestand bewertet und entsprechend geahndet werden. Wer nicht Heinrich Heine, Lewis Carroll oder James Joyce heißt, sollte es einfach sein lassen.

Carrolls Gedicht »Jabberwocky« bietet neben zahlreichen Sprachspielereien auch Kofferwörter (der Titel ist eines), die ihren Sinn aus dem Kontext einer Nonsens- und verkehrten Welt beziehen und schön sind. Eine semantische Bedeutung haben sie als Nonsens nicht. Karl Kraus hingegen waren Bedeutung und Gegenbedeutung immer wichtig. Dieser Meister des Sprachspiels hätte niemals dem Morphem griech oder greek zwei Laute entnommen (gr), um daraus einen Neologismus zu schmieden. Morpheme sind Sinnträger. Und wenn man den Sinn zerstört und einen Neologismus erklären muss, ist er tot. Und wer weiß schon, was ein Frexit, Spexit oder Grexit ist, wenn die freie Presse es ihm nicht erläutert.

Die amerikanischen Wörter brunch oder motel findet man nur deshalb nicht hässlich, weil man ihren Ursprung (breakfast + lunch; motor + hotel) bereits vergessen hat. Kofferwörter können durch Zufall entstehen, durch Versprecher oder Trunkenheit, sie können dann lustig sein. Nur sollten sie niemals in die Alltagssprache gezwängt werden. Glück hatte der berühmte Theoretiker des Liberalismus Rainer Brüderle, als er einige Male das schöne Wort Bussreplik von sich gab. So mancher dachte schon, da gehe es um deutsche Buße als Replik auf die militärischen Untaten der Deutschen in den letzten 160 Jahren (Sadowa und Verdun werden gerne vergessen!). Oder um deutsche Replikanten, die auf den neuesten Feldern der Ehre tätige Buße leisten. Pustekuchen! Gemeint war Bundesrepublik. (Warum Glück? Weil Brüderle ein dreisilbiges Wort geschafft hat und weil er und es vergessen sind.)

Kein Glück hatte der Ökonom Ebrahim Rahbari, der 2011, vermutlich im Vollrausch, die Haplologie Grexit herausgerülpst hat. Medien und Politik nahmen sich des Rülpsers an, und er ist nun (wie die Variation Grexident resp. Graccident oder auch Brexit für einen möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU) aus Sprache und Welt nicht mehr wegzudenken. Lange Zeit hatte ich Mitleid mit dem Ökonomen. Bis ich in der »Welt« las, dass Rahbari ein neues Wort kreiert hat. Das künftige Verhältnis von Griechenland und Euro-Staaten »bezeichnet er als Grimbo – eine Verschmelzung von Griechenland und Limbo als Ausdruck für etwas, das in der Schwebe ist«.

Peter Krupka

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