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Der Denkpanzer

Über den Politologen Herfried Münkler, den hierzulande sehr beliebten Advokaten der neuen militärischen Ratio. Von Kay Sokolowsky    

 

Es gibt zwei Kategorien von Intellektuellen: die kritischen und die integrierten. Zu welcher Sorte Herfried Münkler gehört, ist mit einem Blick in seine Vita schnell ermittelt: Als Jugendlicher, Ende der Sechziger, trat er den Jusos bei. Er bewegte sich wie die meisten Genossen seines Alters seither von halblinks nach stramm rechts, das heißt, in die Mitte der deutschen Gesellschaft. Nach dem ersten Lehramtsexamen (Deutsch und Sozialkunde) promovierte Münkler bei dem vorbildlich wendigen Iring Fetscher über Machiavelli. Die Macht und ihre optimale Ausübung blieb Münklers liebstes Thema. 1987 habilitierte er über die Staatsraison und sitzt zur Belohnung seit 1992 an der Humboldt-Universität Berlin auf dem Lehrstuhl für Theorie der Politik. 

An Fleiß und Ehrgeiz hat es ihm nie gemangelt. Stetig und breit fließt der Strom seiner Bücher, Aufsätze, Denkschriften. Münklers diverse Gastprofessuren, Herausgeberschaften und Beiratsposten wären keine schlechte Erklärung dafür, warum der akademische Nachwuchs keine vernünftigen Anstellungen mehr findet – wo eins hinkommt, der Münkler hockt bereits da. Er sitzt auch den Leitungskommissionen zur Feuerbachsowie zur Marx-Engels-Gesamtausgabe vor. Dass ein Integrierter wie Münkler zum ersten Treuhänder solcher Philosophen werden konnte, zeigt nicht nur an, für wie gefährlich der akademische Betrieb sie weiterhin (oder wieder) hält, sondern zugleich, mit welchem Eifer der Politologe Posten besetzt, die Prestige und Einfluss weit über den Tag hinaus verheißen, mag der Stuhl auch nicht für jeden Arsch geschaffen sein. Fraglos auf dem passenden Platz befindet sich Münkler als Mitglied im Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks). Hier darf er mithelfen, die künftigen Kriege Deutschlands zu planen und für die laufenden Einsätze Ausreden zu erfinden. Näher stand Münkler der Macht, die aus den Gewehrläufen kommt, nie. 

Die »Zeit« pries Münkler gelegentlich als »wandelnden Ein-Mann-Think-Tank«, was zwar ein Quatsch per definitionem, aber nicht mehr ganz so blödsinnig ist, wenn »Tank« mit Panzer übersetzt wird. Denn seit mehreren Jahren posiert Münkler als Advokat der militärischen Ratio. Im Buch Die neuen Kriege behauptete er 2002, die herkömmlichen »symmetrischen« Kriege zwischen Staaten seien durch »asymmetrische« abgelöst worden. Deren wesentliche Merkmale definiert Münkler als »Asymmetrisierung« (aha), »Entstaatlichung« und »Automatisierung kriegerischer Gewalt«. Wo einst ordentliche Armeen auf akkuraten Schlachtfeldern einander exekutierten, herrsche heute ein Durcheinander von Selbstmordattentätern, Sprengstoffdrohnen, Heckenschützen und Geheimkommandos. Wohl räumt Münkler en passant ein, dass an diesen »neuen« Kriegen gar nichts neu ist. Der Kampf von Partisanen gegen einen präpotenten Feind ist seit der Besatzung Spaniens durch die Truppen Napoleons als Strategie erprobt und in den zwei Jahrhunderten danach um zahlreiche taktische Mittel bereichert worden. 

Es bleibt in der Welt der modischen Wissenschaft freilich gleich, ob ein Phänomen zum ersten oder hundertsten Mal beobachtet wird; hier kommt‘s allein auf die Begriffe an. Sie sollen etwas erwiesen Übles so beschreiben, als habe es sich in eine neutrale Angelegenheit verwandelt. Die Rede vom »neuen, asymmetrischen Krieg« gaukelt vor, es handele sich beim organisierten Totschießen nicht um ein Verbrechen, sondern eine Art Geometrieaufgabe. Und wenn an den Kriegen in der Einen Welt irgendwas neu sein sollte außer der Waffentechnik, dann der Wille der Partisanen, lieber das eigene Land zu zerstören, die eigenen Leute umzubringen, bevor der Feind dies erledigen kann. Doch auch das ist nichts weiter als eine Reprise des deutschen »Endsieg«-Nihilismus. 

»Asymmetrie«, so alt sie sein mag, klingt in den Ohren der herrschenden Klasse und ihrer Handlanger zweifellos wie eine geschmeidige Paraphrase für das Scheitern der westlichen Allianz, die 2001 Afghanistan angriff. Die Schlacht wurde in Tagen gewonnen, der Krieg jedoch wollte kein Ende nehmen. Ein Gegner, der unfair kämpfe, unterstellt Münkler, könne fair nicht besiegt werden. Außerdem habe »transnationaler Terrorismus « den herkömmlichen Partisanenkampf abgelöst und so eine bislang unbekannte »Asymmetrie« in die Auseinandersetzung der Ordnungsmacht mit ihren unordentlichen Gegnern eingezeichnet. Münkler zieht, um die Behauptung zu retten, in seinem 2005 erschienenen Buch Imperien einen gewagten Vergleich: »Hier geht es um eine moderne Variante des Verwüstungskrieges. Sein Zweck soll durch die Verheerung gegnerischer Gebiete erreicht werden.« 

Von solcher Verheerung kann nicht einmal bei den Anschlägen des 11. September die Rede sein, so entsetzlich sie sich auswirkten. Weiträumige Verwüstungen richtet nicht der »transnationale Terrorismus« an, sondern der Terror im umkämpften Staat. Das weiß auch Münkler, und deshalb widerspricht er sich – wird schon keiner merken! – bereits im nächsten Absatz selbst: »Dabei ist ihr Angriffsziel nicht die physische Zerstörung von Dörfern und Städten oder die Verheerung ganzer Landstriche, sondern die labile psychische Verfassung der Bevölkerung in postheroischen Gesellschaften.« Diese Beliebigkeit der Argumentation zeichnet den modischen Wissenschaftler aus, und Wikipedia kann nur staunen, dass Die neuen Kriege und Imperien »als herausragend « gelten. 

Den Kenner wiederum erstaunt nicht, dass sich Münkler in den Schmarren vom »Postheroismus«, der vor einigen Jahren in die Welt gesetzt wurde, sofort verliebt hat. Wer wie dieser Denkpanzer darauf spekuliert, die deutsche Außenpolitik in eine einzige Liste »robuster Mandate« zu transformieren, der kommt nicht umhin, Kriegsbereitschaft zum Heldentum zu verklären und euphemistisch allen Friedliebenden Feigheit vor dem Feind vorzuwerfen. Der schneidige Professor, dem in seiner Heimat die Front so sehr fehlt, ist aber nicht bloß ein »Militarismus- Apologet«, wie der Historiker Klaus Frank ihn korrekt kritisiert. Münkler verfolgt ein höheres Ziel, und zwar das der hiesigen Bourgeoisie seit 1871: Deutschland soll der Hegemon Europas und eine Macht werden, die bei Bedarf richtig unangenehm werden kann. Wenigstens der zweite Wunsch ist durch die Krise der Euro-Zone und die deutsche Therapie mittlerweile in Erfüllung gegangen.  

 

Dezidiert hegemonophil 

Herfried Münkler, bemerkt der Soziologe Raul Zelik, »(souffliert) der Elite jene Beschreibung der Weltlage ..., die die Macht benötigt, um als solche zu bestehen und sich neu positionieren zu können«. Das tut einem eher schlauen als klugen, mehr instruierten als inspirierten Kopf zuviel Ehre. Münkler flüstert der Herrschaft nicht ein, sondern dient ihr einen Persilschein an. Dass sie sich von den Amis nichts mehr sagen lassen, die Russen als billige Rohstofflieferanten einsacken und aus den »EU-Partnern« (Merkel) Vasallen machen will, wusste die deutsche Elite gleich nach Abschluss des Zwei-plus- Vier-Vertrags 1990. Erst neun Jahre später, als beim Nato-Überfall auf Serbien deutsche Soldaten wieder einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führten, dämmerte Münkler, was er zum Beispiel in konkret seit dem Fall der Mauer in dutzenden Kolumnen und Artikeln hätte nachlesen können: Das wiederverklebte Deutschland setzt mit traditioneller Skrupellosigkeit und Bigotterie jene Dominanzpolitik fort, die Europa zweimal als Totenacker hinterließ. Statt nun, wie es sich für einen historisch beschlagenen Akademiker gehörte, vor einem weiteren Ausbruch deutscher Hybris zu warnen, ist Münkler selber ihr so verfallen, dass er ausschließlich Wiederholungsfehler bei der Umsetzung fürchtet.

Ein Fehler sei es gleichfalls, munkelt Münkler, sich vorab mit zuviel moralischem und pazifistischem Klimbim zu belasten, eine gewisse Härte müsse haben, wer unter den Großen mitmischen will. »Europas Zukunft wird darum ohne Anleihen beim Ordnungsmodell der Imperien nicht auskommen « – und unter den Meistern dieses Reichs kann er sich einzig Deutschland und, als nützlichen Idioten, Frankreich vorstellen; das perfide Albion hat Münkler abgeschrieben. Wie auch immer: »Ohne eine stärkere Hierarchie der EU-Staaten wird es keine gemeinsame Handlungsfähigkeit der Europäer nach außen geben.« Schreibt‘s hin, als fände die EU ihren Sinn, würde sie in Deutschland und Provinzen aufgeteilt. Dieser, wenn man so will, Gedanke lässt Münkler partout nicht mehr los.

Es gibt noch etwas Widerstand in der Berliner Republik gegen den dritten Ausbruch großdeutschen Chauvinismus. Hier glaubt der Dozent der Macht sich verpflichtet, von »Realitäten« zu predigen, die »nicht zu leugnen« seien, und die Leute für eine Politik zu begeistern, die sich an jenen »Realitäten « ausrichtet statt an irgendwelchen europäischen Emanzipationsträumereien. Darum schreibt und schwafelt der »asymmetrische Professor« (Luisa Hommerich) pausenlos über Kriege und »Machtkonstellationen «, nicht so gern hingegen über Opfer oder Menschlichkeit. Und allen, die sich ein Jahrhundert nach Beginn des Ersten Weltkriegs wie im Prolog eines Remakes fühlen, will Münkler das Restgewissen erleichtern, da es ohnehin nur stört. Die anderen waren nämlich genauso schlimm wie wir! Fast.

Münklers 2013 ebenso hastig wie großkotzig hingeklotzte Schwarte Der große Krieg konnte gegen Christopher Clarks Schlafwandler im Verkauf nicht anstinken, obwohl es an Geschichtsklitterung der Konkurrenz ebenbürtig ist. Angefangen – hier trennt die Parallelhistoriker Clark und Münkler kein Blatt Papier, nicht mal die Kriegserklärung der Achsenmacht Österreich-Ungarn an Serbien –, in »diesen tragikomischesten aller Präventivkriege« (Karl Kraus) hineingehetzt haben angeblich alle Konfliktparteien, die Bündnispolitik sei allerseits kurzsichtig auf Krieg orientiert gewesen und andererseits ein berühmtes Bonmot von Wilhelm des Zwoten Generalstabschef nicht so ernst zu nehmen. Münkler schreibt: »In diesem Sinn war auch die mehrfach bezeugte Formulierung des jüngeren Moltke bezüglich eines Krieges – ›Je eher, desto besser‹ – eine hypothetische und keine kategorische Aussage.« Richtig, als der Generaloberst formulierte, im Dezember 1912, war er satte achtzehn Monate jünger als in der Julikrise, und, genau, von Münkler würden sie das Datum des Zitats nie erfahren.

Auch sonst weiß er sich auszuschweigen und die hässlich anmutenden Seiten deutschen Expansionsstrebens, wo sie nicht zu leugnen sind, etwas netter auszuleuchten. Über die Greueltaten der kaiserlichen Armee im usurpierten Belgien berichtet Münkler recht ausführlich. Doch das Referat endet mit Zitaten von Nichtdeutschen, die den sechstausendfachen Mord an belgischen Zivilisten und die Schändung der Stadt Löwen als Propaganda der Entente abtaten. Besonders ausführlich kommt Sven Hedin zu Wort, über dessen innige Hitler-Verehrung der Denkpanzer kein weiteres verliert. Schließlich kannte Hedin 1914 sein Idol noch gar nicht und war sowieso bloß »dezidiert germanophil«.

Münkler, dieser Vielzuvielschreiber mit seinem phrasengeschwollenen, kein modisches Nullwort wie »Win-win-Situation« auslassenden und der stilistischen Sorgfalt wenig zugetanen Deutsch, scheint keine Zeit zu haben, das Geschwalle mal auf Konsistenz zu überprüfen. So kräht er auf Seite 620 die Sensation heraus, anno 1917 (auf dem Zenit der Ludendorffschen Militärdiktatur!) habe »die Parlamentisierung Deutschlands« begonnen, muss aber 93 runtergerumpelte Seiten später folgendes vermerken: »In dieser Situation (Juni 1918) zeigte sich einmal mehr das machtpolitische Versagen der Reichstagsmehrheit aus Sozialdemokraten, Zentrum und Fortschrittlichen.« Die Parlamentisierung war wohl schon wieder abgeblasen.

Aufgeblasener noch als Der große Krieg war 2009 Die Deutschen und ihre Mythen dahergekommen. Hier versucht Münkler den Nachweis zu führen, politische Mythen seien »die narrative Grundlage der symbolischen Ordnung eines Gemeinwesens«. Das Bild ist so falsch wie die These. Tatsächlich gehören diese Mythen zum Überbau der bürgerlichen Gesellschaft und werden erst aktiviert, wenn etwa der Koofmich seine materiellen Interessen mit nationalem Pathos aufbrezeln möchte. 600 graue Seiten lang schwätzt Münkler über den Rhein und die Nibelungen, Faust und Luther, den alten Fritz und die schöne Luise. Auf den verhängnisvollsten deutschen Mythos des 20. Jahrhunderts, die Dolchstoßlegende, verwendet er jedoch nur wenige, teils bis zur Albernheit kryptische Worte: »Die Geschichte der Deutschen bewegte sich im Bannkreis der Nibelungen als Präfiguration der jeweiligen Gegenwart ... Wie aber kam es zur Verschiebung vom Speer auf den Dolch?« Den beliebtesten Volksmythos nach 1945, den vom »kleinen Mann«, der nichts wusste, erwähnt Münkler nicht mal. Sonst könnte die Frivolität seines Resümees eventuell sogar dem hiesigen Feuilleton auffallen: »Je stärker der Grad an politischer Partizipation, desto größer das Erfordernis solcher Großerzählungen.« Selbstredend fiel nichts auf, und Münkler wurde für seine Bemühungen um die Wiederkehr mythisch verbrämter Politik umgehend mit dem Leipziger Buchpreis ausgestattet. Da bemerkten ihn auch die Talkshow-Funktionäre der Nation und holen ihn seither ins Studio, wann immer ein Mann gebraucht wird, der mehr als drei Bücher gelesen hat.

Wer sich vor der Zustimmung im Vaterland kaum retten kann, der sollte auch was zurückzahlen, muss Münkler sich gedacht haben, als er sein jüngstes Werk Macht in der Mitte verfasste. Er zieht Bilanz aus einem Jahrdutzend Thesenritterei, bringt den Mythenbedarf, die Erlösung von der Schuld am Großen Krieg und die Notwendigkeit eines deutschen Imperiums in schönster Symmetrie zusammen. Hier stimmt nichts, wenngleich mit Aplomb: Weil Deutschland durch die NS-Zeit »verwundbar« sei »wie kein anderer Staat in Europa« – uns macht echt keiner was vor! –, sei es auserkoren, über die EU zu herrschen. Denn: »(Ein) Hegemon, der um seine Verwundbarkeit weiß und sie auf Schritt und Tritt spürt, wird in der Regel auch nicht als Hegemon auftreten.« Das hat sich leider bei der Erpressung der Syriza-Regierung gerade nicht gezeigt; und »antideutsche Demonstrationen« als »Begleitmusik einer funktionierenden EU« zu deuten, kann auch bloß jemandem einfallen, der nurmehr zu ersehnen scheint, Chefideologe von Kaiserin Angela der Ersten zu werden.

Diesen Wissenschaftler à la mode kann nichts kratzen: Weder Kritik an seinen paradoxen Analysen noch die Aufregung um das »Münkler-Watchblog« (siehe konkret 7/15). Im ersten Fall hat er von den mehrheitlich systemtreuen Kollegen ebensowenig zu gewärtigen, geschweige abzuwehren, wie von einer Presse, deren Leitartikler Münkler schon zitieren, bevor er was gesagt hat. In der zweiten Angelegenheit genügte es, dass der Denkpanzer sich mit den jüdischen Professoren verglich, auf die der arische Studentenmob 1933 Hetzjagden veranstaltete. Keine Scham bei Nazi-Vergleichen! Das hat er von anderen Rechtsgewendeten seiner Generation gelernt. Sofort herrschte in den Qualitätsmedien Schweigen, und der Integrierte schwärmt wieder ungestört vom »wohlwollenden Hegemon« Deutschland. Nun wird‘s aber höchste Zeit für die Bundesverdienstkreuzigung, am besten mit Eichenlaub und Schwertern.  

 

Kay Sokolowsky empfahl in konkret 8/15 H.G. Wells Die Insel des Dr. Moreau

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