Elke Wittich über Internetfreiheit und das Blog „Netzpolitik“
Sterblich zu sein hat durchaus seine Vorteile – vor allem wenn man zu den sogenannten Netzexperten gehört und nicht miterleben muss, wie all die schönen selbstausgedachten und für viel Zeilengeld in großen Zeitungen publizierten Visionen über das Internet und seine Zukunft in, sagen wir, 100 Jahren zu Bestandteilen einer ziemlich peinlichen Ausstellung werden, in der zur Volksbelustigung die Zukunftsvorstellungen der Vorfahren präsentiert werden.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, dass von der gepriesenen Ausgangsidee einiger Leute, die das Internet als Hort des freien Wissens imaginierten, nicht viel übrigbleiben wird, reicht ein Blick auf die Orte, wo sich der frühe Netizen, ein aus Net und Citizen zusammengesetzter Begriff für den umfassend gebildeten Infobürger, heute gern Internetpöbel genannt, für gewöhnlich austobt, also auf Kommentarspalten, Twitter oder Foren. Dass dort die Empörung über die Landesverratsermittlungen gegen das Blog »Netzpolitik« groß sein würde, hätte selbst dem Verfassungsschutz klar sein müssen.
Das naturgemäß eher dröge Blog, dessen Hauptthemen – Privatsphäre und Überwachung sowie staatliche Eingriffe in die immer wieder gern beschworene Netzfreiheit – nicht sonderlich glamourös sind, glänzte im Alltagsgeschäft nicht eben durch spannende Hintergrundberichte, sondern durch solide Artikel über die genannten Themen. Internationale Aufmerksamkeit und die damit verbundene Spendenbereitschaft – sogar die »New York Times« berichtete über den Fall – tat den Machern von »Netzpolitik« im übrigen so gut, dass sie schließlich sogar verkündeten, auf die Anwesenheit des kremlnahen Senders RT Deutsch bei ihren Pressekonferenzen lieber verzichten zu wollen.
Hat sich was mit der Internetfreiheit – denn sofort war die Empörung unter Verschwörungstheoretikern, die das Blog zunächst verteidigt hatten, groß. Das ganze Ermittlungsverfahren gegen »Netzpolitik« sei ein abgekartetes Spiel von »denen da oben« gewesen, hieß es schließlich in einer langen und verwirrenden Erklärung der »Die Amis sind immer schuld. Und Israel sowieso«-Fraktion; die »Netzpolitik«-Macher seien irgendwie bei den Grünen aktiv und damit hochverdächtig, mit »den Mächtigen« zu kungeln.
Offenbar bedeutet Netzpolitik für die meisten User einfach nur die Freiheit, im Internet zu machen, was sie wollen. Und generell die Freiheit der Onlinemedien, das zu schreiben, was man selber eh meint und also gern hören möchte.
Elke Wittich