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Offene Wunde

Die Istanbul Biennale 2015 fällt trotz der angespannten politischen Lage in der Türkei zahm aus. Von Radek Krolczyk

Nimmt man die bisherigen Äußerungen der Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev ernst, wird die diesjährige Istanbul Biennale gleichermaßen politisch wie blödsinnig. »Grundlage ist der Gedanke, dass man die Probleme der fortgeschrittenen industriellen Gesellschaften nicht allein über die Reorganisation der Arbeit und die Umverteilung der Produktionsmittel lösen kann. Marxismus ist ein Kind des 19. Jahrhunderts und teilt mit dem Kapitalismus die Grundannahmen, dass Fortschritt und Wachstum eine gute Sache seien «, sagte sie gegenüber der Kunstzeitschrift »Monopol«. Erinnert man sich zudem an die von ihr kuratierte Documenta 13, ahnt man, worum es ab September in den Istanbuler Ausstellungshäusern gehen könnte: Ökologie und weibliche Innerlichkeit. Virulente Probleme wie der Islamismus tauchen bislang nicht auf. Angesichts von Kriegshandlungen im syrisch-türkischen Gebiet und blutiger Repression gegen Oppositionelle sollten auch türkische Kulturschaffende gar nicht anders können, als zu reagieren. Man könnte aber auch die Biennale für eine Befreiung vom Gebot der politischen Härte nutzen, bewusst als Rahmen für Verweigerung und Reflexion.

Geplant ist jedoch eine deutliche Abkehr von der Istanbul Biennale des Jahres 2013, die mutig versucht hat, die Radikalität der Kunst in die Gesellschaft hineinzutragen. Dass dieser Versuch gescheitert ist, hatte strukturelle wie tagespolitische Gründe: Die vergangene Istanbuler Kunstbiennale fiel in das Jahr der großen Proteste gegen den Abriss des Gezi-Parks. Das zufällige Zusammentreffen dieser Ereignisse hatte Folgen für das eine wie für das andere. Als säkular und zivilgesellschaftlich orientiertes Event spielt das Kunstgroßereignis, das seit 1987 alle zwei Jahre stattfindet, innerhalb der zusehends religiöser werdenden türkischen Gesellschaft eine wichtige politische Rolle. Und für genau jenes Jahr 2013 hatte die Kuratorin Fulya Erdemci eine besonders stark politisierte Biennale angekündigt. Vor allen Dingen sollte die Kunst den Schutzraum der Museen und Ausstellungshallen verlassen und sich in die Unsicherheit der öffentlichen Plätze begeben. Der Plan wurde wieder fallengelassen.

Das hing absurderweise mit den vorhergegangenen Gezi-Protesten und den gegen sie gerichteten Repressionen zusammen, obwohl sie vielleicht eine gute Grundlage hätten bieten können. Einerseits machte das verschärfte politische Klima den Plan zunichte, die Kuratoren bekamen Angst vor der Staatsgewalt. Andererseits brachten gerade die lauten und handgreiflichen Proteste das politische Selbstverständnis von Erdemci und ihrem Team durcheinander. Denn der Protest, der sich damals auf den Straßen rund um den Istanbuler Taksim-Platz formierte, war in einer besonderen Weise ästhetisch.

Der Gezi-Park ist ein recht hässliches Stückchen Grün inmitten der riesigen Stadt am Bosporus. Eine Brache, die vielleicht erst durch ihre Gefährdung so aussehen konnte, als wäre sie eine Oase. Dass an der Stelle des Parks nun ein Kaufhaus in Gestalt der in den dreißiger Jahren von Kemal Atatürk geschliffenen Topçu-Kaserne des Sultans entstehen sollte, war ein bildhafter Affront gegen die seit Jahrzehnten sich säkular entwickelnde Stadtgesellschaft. An der Frage nach dem Wiederaufbau der Sultanskaserne entscheidet sich nicht die Zukunft der AKP-Türkei, aber an ihr entzündeten sich die Proteste. Es könnte bloß steinzeitlich islamisch aussehen am Taksim, so wie es in Berlin am Lustgarten bald steinzeitlich preußisch aussehen wird.

So kam es, dass bereits Monate vor dem Beginn der politischen Biennale sich eine ganz eigene politische Ästhetik entwickelte und unheimlich starke, politisch aufgeladene Bilder entstanden: ganz real, verheerend, folgenreich und doch in erster Linie bildsymbolisch – ganz anders als die aktuelle armiert geführte Realpolitik. Welche politische Ästhetik sollte es in diesem Klima noch aufnehmen können mit dem Bild der jungen Frau im roten Kleid und mit Gasmaske? Was sollte das Istanbul Modern, das Museum für Kunst der Gegenwart, politisch bieten können nach dem stumm stehenden Mann auf dem Taksim?

Die Durchdringung gesellschaftlicher Verhältnisse mit ästhetischen Mitteln sieht natürlich anders aus. Aber im Handgemenge gibt es weder Ruhe noch Distanz. Und als die Proteste abgeflaut waren und der Tränengasnebel sich verzogen hatte, stand die Biennale ganz seltsam da, zwar engagiert, gefährdet und eine von den Guten, aber im Grunde wirkungslos, seltsam unvermittelt, alleine, still und fade.

Eine der Künstlerinnen, die jenseits der Biennale solcherart aggressive und kämpferische Bilder produzierten, ist Şükran Moral. Oft agiert sie unter Einsatz ihres Körpers in der Öffentlichkeit, bewirkt real nichts, schafft aber Bilder, die weh tun können, und kassiert ihrerseits Schläge. Zu den Istanbuler Biennalen wurde sie seit 1997 nicht mehr eingeladen, obwohl sie zu den bekanntesten und bedeutendsten türkischen Künstlerinnen gehört. Möglicherweise liegt sie mit ihrer Art des Kunstaktivismus schräg zu den Ansprüchen und Möglichkeiten solcher Biennalen. Dabei hat es sich die Schau zur Aufgabe gemacht, die türkische Szene international sichtbar zu machen. Gerade weibliche Kunstschaffende haben es in der Türkei schwerer als anderswo. Drohungen ist Moral gewohnt. Je bleierner die Situation, desto mehr ziehen sich ihre Unterstützer von ihr zurück, so ihre Erfahrung. Um etwas sicherer zu sein, lebt sie seit ein paar Jahren in Rom.

Im Vorfeld der Biennale 2013 fand man sie mitten im Handgemenge der Gezi-Proteste stehend auf einer Bank. Mit einer Rasierklinge ritzte sie sich für alle gut sichtbar etwas in den Bauch, das an ein großes A erinnert. Dieser Akt hat durchaus etwas Märtyrerhaftes; Morals Schnitte wirken jedoch in mehrerer Hinsicht schmerzhaft. Seit einer Weile wird in Istanbul öffentlich diskutiert, ob schwangere Frauen auf die Straße dürfen. Die islamischen Männer ekeln sich vor ihrem Anblick. Präsident Erdoğan hat vor einer Weile gefordert, Frauen dürften in der Öffentlichkeit nicht lachen. Die Performance evoziert Bilder von Schwangerschaft, Abtreibung, Menstruation. Moral zeigt ihre Wunden in der Öffentlichkeit als eine Art Schnittstelle zwischen sich und der Straße. Für diese Art der handgreiflichen Bildhaftigkeit braucht man keine Biennale.

 

Die 14. Istanbul Biennale läuft vom 5. September bis 1. November.

Radek Krolczyk hat vor kurzem die Ausstellung »Die Stille im Zentrum des Zyklons. Gerhard Marcks und sein Modell Trude Jalowetz « im Edwin-Scharff-Museum in Neu- Ulm kuratiert

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