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Nichts als die Wahrheit

Kay Sokolowsky über den Aufstand der Qualitätsmedien gegen die Schmutzkonkurrenz

Selbstverständlich lügt die Presse. Die biegsame Behandlung von Tatsachen ist ihr eingeschrieben wie die Verachtung der Sprache, die sie zu beherrschen meint. Sie lügt, indem sie behauptet, nie zu lügen, sie schwindelt, wenn sie sich über die Interessen erhaben glaubt, die sie vertritt. Würde die Presse alles richtig machen, müsste sie sich nicht ständig berichtigen. Die Presse ist ein Inbegriff von Bigotterie, seit es eine Presse gibt, und sie wird daran nichts ändern können, solange sie ein Geschäft bleibt wie die Produktion von Panzern und ihren Profit aus Reklame bezieht. Wer mit Nachrichten vor allem Geld verdienen will, der muss es mit der Wahrheit flexibel halten können. Der Dreck, in dem die Paparazzi wühlen, stammt aus der gleichen Materie wie die Seifenblasen, mit denen Leitartikler die Ideologie ihrer Lohnherren schöner aussehen lassen.

Es gibt keine Wahrheit im falschen Leben, keine Unbestechlichkeit in der Warenwelt, und wenn Journalisten so tun, als schwebten sie über dem Prinzip des Kapitalismus – alles ist käuflich – wie die Erzengel über der Erbsünde, belügen sie nicht nur ihre Kundschaft, sondern auch sich selbst. Möglicherweise verstört das »Lü-gen-pres-se!«-Gebrüll der von ihnen selbst großgeschriebenen Pegidazis und AfD-Faschisten sie sosehr, weil sie sich ertappt fühlen. Vielleicht aber auch sind die Branchenvertreter, die sich gegen die Denunziation wehren, insgeheim dankbar dafür, dass die »Lü-gen-pres-se!«-Geiferer in einer geistigen Sphäre hausen, die von allen guten Geistern verlassen ist, einer Wahnwelt, wo keine Wahrheit außer der eingebildeten gilt. Der Hass der Troglodyten adelt die Verhassten, mögen sie noch so kleine Lichter sein, zu Helden der Aufklärung. Pressekritik jedoch, die sich gegen ein verfehltes System richtet und nicht bloß Druckfehler sammelt, wird nun mit Verweis auf die »Lü-gen-pres-se!«-Schreier bequem zum Verstummen gebracht statt wie in früheren Zeiten mühsam totgeschwiegen. Norbert Schneider zum Beispiel, ein alt- und hochgedienter Funktionär des Betriebs, schreibt: »Karl Kraus befeuerte mit seinem Begriff Journaille ein allgemeines Ressentiment gegen Zeitungen.« Zwar hat den Begriff – was sich mühelos recherchieren lässt – nicht Kraus, sondern Alfred von Berger erfunden, und das Ressentiment, das der Herausgeber der »Fackel« befeuerte, war keineswegs ein allgemeines, sondern in seiner moralischen Unbedingtheit ganz und gar Kraus’ Eigentum. Aber woher soll ein ehemaliger Direktor einer Landesanstalt für Medien so was wissen, was soll es ihn scheren?

Schneiders Aufsatz über »das Innenleben und die Breitenwirkung einer Hetzvokabel« ist das zentrale Stück des Buchs Lügenpresse. Anatomie eines politischen Kampfbegriffs (Kiepenheuer & Witsch). Herausgegeben haben es Volker Lilienthal und Irene Neverla, Journalistikprofessoren in Hamburg, und zu Anatomen beriefen sie neben dem Kraus-Experten Schneider fast jeden, der für die Qualität des deutschen Journalismus steht. Giovanni di Lorenzo singt seinen Evergreen: »Nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass die deutschen Medien trotz aller Fehler und berechtigter Selbstkritik zu den besten und freiesten Medien der Welt gehören.« Um das zu belegen, preist er ein Mitglied der »Zeit«-Redaktion, »den investigativen Journalisten Holger Stark. Er war es, der … aufgedeckt hat, dass das Handy von Bundeskanzlerin Merkel durch die amerikanische NSA überwacht wurde.« Und da haben uns die miesen unfreien Medien der restlichen Welt bislang weismachen wollen, die Aufdeckung sei Edward Snowden zu verdanken.

Kai Gniffke, Herr über »Tagesschau« und »Tagesthemen«, verschont uns mit langweiligen Rechtfertigungen der Bildmanipulationen in seinen Sendungen. Das ist beziehungsweise gibt ja bloß Gerede: »Denn zum einen wird nur bei internen Diskussionen wirklich Tacheles geredet, und zum anderen wird öffentliche Selbstkritik von vielen Medienjournalisten eher skandalisiert als honoriert.« Mit dieser Einstellung schafft man bestimmt Vertrauen beim Publikum, das von zuviel Information sowieso überfordert ist. Gniffke vermutet, dass »wir vielleicht mit unserem menschlichen Hirn all das gerade nicht mehr richtig bewältigen können«. Daher also die Kopfschmerzen, die mir Caren Miosgas Moderationen bereiten.

Klaus Brinkbäumer, Boss des »Spiegel«, weiß, dass Trump nie Präsident geworden wäre, hätten die US-Medien nur früher damit begonnen, ihr »Russiagate«-Garn zu spinnen. Wer so was annimmt, der hat auch andere fixe Ideen: »Unsere Idee ist: investigativer politischer Journalismus, da anzufangen, wo andere aufhören; kombiniert mit Erzählung, also der Erklärung der Welt.« Was dann noch offenbleibt, übernehmen Peter Sloterdijk und Frank-Walter Steinmeier. Welterklärer Brinkbäumer empfiehlt abschließend, »zu seinen eigenen Fehlern zu stehen «, und beichtet die schlimmste Panne seiner Karriere: Als Jungspund beim Werbefunk habe er mal den Namen einer Interviewten vergessen. Solche schonungslose Offenheit kennzeichnet den Qualitätsjournalisten.

Lügenpresse ist wenig mehr als die Versammlung vieler beleidigter Leberwürste, die sich vom doofen Leser schlecht behandelt fühlen und die Deutungshoheit zurückverlangen, die das blöde Facebook ihnen genommen hat. Über die größten Probleme ihrer Branche schweigen sie, weil sie die gar nicht als Probleme erkennen – die Sorglosigkeit im Umgang mit der Sprache nämlich und die Akzeptanz des ökonomischen Zwangssystems, das auch der Presse die Regeln diktiert. Statt dessen klopfen sie sich selbst auf die Schulter, dass es staubt.

Claus Kleber etwa, Moderator des »Heute Journal«, legte kürzlich mit Rettet die Wahrheit (Ullstein) ein Buch vor, das zwar äußerst dünn, aber zum Platzen voll mit Eigenlob ist. Stolz erzählt er von Redakteuren, die für »ihre« Story schon mal 14 Stunden am Stück arbeiten und nicht aufgeben, bis sie »gute Töne« kriegen, die ins Konzept passen. Dass Kleber gleich daneben die »ärgerlichen Streiks von Bahn und Lufthansa und Ärzten« beklagt, wundert so wenig wie sein Hohelied auf ein »Nachrichtengeschäft«, in dem lauter »Profis« wie er am Werk seien, »die dafür sorgen, dass man nichts Wesentliches verpasst«.

Selbstverständlich lügt die Presse. Doch weil ihre Profis diese Wahrheit und die Gründe dafür weiterhin ignorieren, ist das Geschäft kaum zu retten. Schon gar nicht durch Bücher, die kein »Lü-gen-presse! «-Schreihals liest und in denen bloß steht, dass Journalisten die Welt nicht mehr verstehen und sie trotzdem erklären wollen.

Kay Sokolowsky  

 

 

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