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Die Biografie Albert Speer. Eine deutsche Karriere bringt Ungeheuerliches ans Licht. Von Gerhard Henschel

In der deutschen, von Hermann Weiß bearbeiteten Taschenbuchausgabe des Standardwerks Who’s Who in Nazi Germany von Robert Wistrich ist Albert Speer noch 1987 »als ein Mann von untadelhafter Ehre« vorgestellt worden. Wie man inzwischen weiß, hatte Speer aus seinem Etat als Rüstungsminister 13,7 Millionen Reichsmark für den Ausbau des Vernichtungslagers Auschwitz- Birkenau bewilligt. In den Akten der SS wurde dieses Bauvorhaben als »Sonderprogramm Prof. Speer« bezeichnet. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher behalf er sich mit der Ausrede, dass er von dem millionenfachen Mord an den Juden leider gar nichts mitbekommen habe. Oder allenfalls Gerüchte, denen er als unpolitischer Funktionär jedoch nicht nachgegangen sei, zu seinem Kummer, wie er jetzt zugeben müsse, denn er fühle sich verantwortlich für dieses Versäumnis, obwohl er keine persönliche Schuld auf sich geladen habe …

So zog Speer seinen Kopf aus der Schlinge und kam als Komplize von Adolf Hitler und Heinrich Himmler mit 20 Jahren Haft davon. Fast noch toller trieb er es in den Jahren nach seiner Entlassung. Er schrieb seine Memoiren, präsentierte sich darin abermals als reine Unschuld vom Lande, erzielte einen Welterfolg, spendierte dem Verleger Wolf Jobst Siedler einen edlen neuen Schreibtisch und empfahl seinem einstigen Untergebenen und Mitwisser Rudolf Wolter, die Unterlagen verschwinden zu lassen, aus denen hervorging, dass Speer auf die Räumung von »Judenwohnungen « gedrungen hatte, um die Bauten für die »Welthauptstadt Germania« errichten zu können.

Der Lektor Joachim Fest hatte Speers Erinnerungen 1969 mit einem eleganten Stil versehen, ohne zu bedenken, dass er damit eine Geschichtsquelle verfälschte und unleserlich machte. Man weiß bis heute nicht, welche Sätze in Speers Autobiografie von Speer stammen und welche von Fest. Auch die Spandauer Tagebücher, ein anderer Bestseller von Speer, sind manipuliert. In allen Einzelheiten kann man das jetzt in Magnus Brechtkens solider Biografie Albert Speer. Eine deutsche Karriere (Siedler) nachlesen, die Ungeheuerliches ans Licht bringt.

Nach Auskunft des langjährigen Siedler- Cheflektors Thomas Karlauf hat es regelmäßig einen »Wissenswettbewerb« zwischen Siedler und Fest über Hitler und Speer gegeben. »Dabei sei reichlich Alkohol geflossen, Fest habe in der Regel am Schluss die Oberhand gewonnen, worauf ebenso regelmäßig Siedler einen Ring von seinem Finger gezogen habe mit den Worten: ›Den hat er aber mir geschenkt‹ – der Ring war ein Geschenk von Adolf Hitler an Albert Speer mit innen eingravierter Widmung; Speer hatte diesen Ring an Siedler weiter geschenkt« – ist das zu fassen? Halten wir es fest: Hitler hat Speer einen Ring mit einer eingravierten Widmung geschenkt, Speer hat diesen Ring an seinen Verleger Siedler weiterverschenkt, und Siedler hat ihn sich angesteckt und in sentimentalen Stunden damit renommiert, anstatt ihn wegzuschmeißen oder einzuschmelzen.

Brechtken erzählt davon nur in einer Fußnote. Im Vergleich mit Speers Verbrechen handelt es sich ja auch bloß um eine Lappalie, aber sie wirft ein gespenstisches Licht auf die sogenannte Vergangenheitsbewältigung. Vielen alten Nazis kamen Speers Lügen gelegen: Man konnte, wie es schien, im »Dritten Reich« einen hohen Rang bekleidet haben und trotzdem gänzlich unschuldig geblieben sein. Doch wer hätte gedacht, dass der prominentengeile Verleger, der dieses Märchen unters Volk brachte, einen Ring von Adolf Hitler am Finger trug und auch noch stolz darauf war? In einer Satire hätte das zu plump gewirkt. Was mag aus diesem Ring geworden sein? Trägt Wolf Jobst Siedler ihn noch immer am Finger? In seinem Grab?

Gerhard Henschel

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