Interview mit Volker Beck über Antiziganismus beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung
konkret: Ende August, beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung, hat ein Bundespolizist einen Vortrag gehalten. Titel: »Vorsicht Langfinger. Wie Taschendiebe tricksen und wie Sie ihnen erfolgreich die Tour vermiesen können«. Der Redner beschimpfte Roma als »Verbrecherclans « und »organisierte kriminelle Großfamilien «. Daraufhin haben Sie einen Brief an Innenminister Thomas de Maizière geschrieben. Warum?
Volker Beck: Der Vortrag ging davon aus, dass man generell Sinti und Roma bestimmte Kriminalitätsformen zuschreibt. Das war, wenn der Vorgang so ablief wie in der Presse und vom Zentralrat geschildert, stigmatisierend. So etwas muss man erstens aufklären, und zweitens muss man Maßnahmen ergreifen, damit sich so was nicht wiederholt.
Haben Sie eine Reaktion erhalten?
Man hat mir die gemeinsame Presseerklärung von Bundespolizei und Zentralrat zugeschickt, aber das ist keine Antwort auf meine Fragen. Ich warte immer noch auf eine Aufklärung des Sachverhalts. Ich weiß auch, dass man in der Leitung des Innenministeriums besorgt ist wegen des Vorgangs.
In einer Kleinen Anfrage haben Sie kritisiert, dass Roma in Deutschland nur ungenügend in ihren Minderheitenrechten geschützt werden. Was war die Antwort?
Im wesentlichen, dass man entweder über die konkrete Sachlage nichts Genaues weiß oder dass die Länder dafür zuständig sind. Dieser Vorfall, wenn er sich so zugetragen hat, zeigt, wie die Kampagne gegen Sinti und Roma aus Bulgarien und Rumänien, die wir 2014 erlebt haben: Deutschland hat ein Problem mit Antiziganismus, es gibt Vorurteile. Die tragen wir vermutlich alle als kulturelles Gepäck mit uns herum.
Was muss man dagegen tun?
Durch Aufklärung einerseits die Vorurteile abbauen und durch Integrationsmaßnahmen andererseits die Benachteiligung der Roma angehen. Gegenwärtig ist die Situation so, vor allem für die nichtdeutschen Roma, dass man diese Bevölkerungsgruppe hin und her jagt, ohne dass man den Zirkel von sozialer Benachteiligung, Diskriminierung, Ausgrenzung bei Bildung und Sozialleistungen durchbricht. Die Diskussion über die europäischen Roma in Deutschland konzentriert sich auf Rückführungs- und Abschiebemaßnahmen.
Für Serbien, für Bulgarien, für Rumänien, für Tschechien, die Slowakei, Slowenien muss man sagen: Die Situation von manchen Gruppen der Roma ist nicht anders als mit dem Wort »elend« zu beschreiben. Europa hat da eine Verantwortung, die Roma sind ein europäisches Volk, das nirgendwo Chancen erhält und zu seinem Recht kommt, seit Jahrhunderten. Und wir Deutschen haben eine besondere Verantwortung angesichts des Völkermords im Nationalsozialismus, dem Hunderttausende Menschen aus der Gruppe der Roma zum Opfer gefallen sind.
Das Innenministerium verweist auf eine Umfrage, nach der sich die geschätzt 70.000 deutschen Sinti und Roma selbst für gut integriert halten. Wie denken Sie darüber?
Ich kann da nicht widersprechen, ich habe keine anderen Erkenntnisse, aber ich weiß auch, dass der Preis der guten Integration oftmals ist, dass diese Familien ihre Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti und Roma verleugnen.
Warum wehrt sich die Bundesregierung so hartnäckig gegen weitere Maßnahmen, die den Sinti und Roma helfen könnten?
In Deutschland hat man, anders als in anderen Rechtskulturen, eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegen die Diskriminierungsproblematik. Man betrachtet den Hinweis auf Diskriminierung in bestimmten Bereichen oder gegen bestimmte Gruppen immer als Vorwurf, gegen den man sich wehren muss. Dabei müsste man sagen: Okay, wir haben da ein Problem, lasst uns daran arbeiten. Unsere Verfassung hat eine klare Perspektive, die Menschen sind verschieden, aber gleich an Würde und Rechten, und wo das nicht verwirklicht ist, werden wir darum kämpfen, dass das in Zukunft besser verwirklicht wird. Diese Haltung müssen wir uns endlich aneignen.
500.000 Sinti und Roma sind während des Nationalsozialismus ermordet worden, doch statt die Opfer zu entschädigen, hat die junge Bundesrepublik die Diskriminierung der Sinti und Roma fortgesetzt.
Die Deutschen haben politisch etwas wiedergutzumachen. Zwar haben wir Menschen aus dieser Gruppe entschädigt, aber spät und erst nach rechtlichen Auseinandersetzungen und historischer Aufarbeitung. In den fünfziger Jahren gab es schreckliche höchstrichterliche Urteile, die den Sinti und Roma quasi eine Mitschuld an ihrer Verfolgung zugeschrieben haben. Ich habe selber fast zwei Jahrzehnte dem hessischen Beirat für NS-Verfolgte der Landesregierung vorgesessen. Da habe ich gesehen, wie in Gesundheitsakten gerade bei dieser Gruppe hantiert wurde, um zu leugnen, dass bestimmte Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit tatsächlich verfolgungsbedingt waren. Das gehört zu den unguten Kapiteln unserer Entschädigungsbemühungen: Verfolgten wurden riesige bürokratische Hürden in den Weg gestellt. Und eine Gruppe, die darunter wirklich in großer Zahl gelitten hat, waren die Sinti und Roma.
Nach der »Mitte-Studie« von 2016 haben 57,8 Prozent der Deutschen ein Problem damit, wenn Sinti und Roma in ihrer Nähe leben, 58,5 Prozent glauben, dass Sinti und Roma zu Kriminalität neigen. Die Werte von 2011 lagen weit darunter. Wie erklären Sie sich das Erstarken des Antiziganismus?
Zum einen ist es eine Reaktion auf Zuwanderung von Roma, ursprünglich durch die Balkankriege und später durch die Öffnung der EU nach Osteuropa. Da kamen Menschen in einer größeren Zahl, die sichtbar auch mit ihrer Armut waren. Armut kann immer auch Angst auslösen. Wir hatten in einigen Städten schreckliche Unterbringungssituationen für die geflohenen oder zugewanderten Roma. Da haben die Kommunen die Aufgabe, mit den Menschen zu arbeiten und mögliche soziale Konflikte zu lösen, bevor man die verbreiteten Vorurteilsstrukturen nährt und die Roma es dann ausbaden müssen.
Aber auch Politiker und die Medien haben ihren Beitrag zur Bestätigung von Vorurteilen geleistet.
Natürlich. Wenn ein Rom eine Straftat begeht, ist das immer eine Meldung. Wenn aber ein Rom Opfer einer Straftat wird, ist das oft keine Meldung wert. Und so entsteht ein verzerrtes Bild. Gerade die damalige Kampagne gegen die Armutszuwanderung – »Deutschland ist nicht das Sozialamt Europas « –, was die CSU in schöner Eintracht mit rechtsextremen Parteien plakatiert hat, hat die Situation verschärft.
Interview: Fritzi Busch