Zur Ideologie deutsch-iranischer Kulturpolitik anlässlich der in Berlin geplanten Ausstellung der »Teheran-Sammlung«.
In den vergangenen Tagen wurde die Ausstellung abgesagt. Es handelt sich bei dem folgenden Beitrag um eine aktualisierte Fassung des Artikels von Ina Krebs. Bei Redaktionsschluss der Printausgabe war der Ausgang des Projekts ungewiss.
Im Zeichen des »kulturellen Dialogs« zwischen Deutschland und dem Iran wollte die Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin »Die Teheran-Sammlung« präsentieren. 60 Gemälde der Sammlung des Teheraner Museums für Zeitgenössische Kunst sollten ab Januar zu sehen sein. Nun ist die Ausstellung abgesagt worden, weil der Iran, so der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, bislang immer noch keine Ausfuhrgenehmigung für die Kunstwerke erteilt habe.
Das Zustandekommen der Sammlung mag erstaunen. In der Ankündigung hieß es, diese verfüge über »die größten Bestände westlicher Kunst des 20. Jahrhunderts außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten«. Daneben sind Werke iranischer Künstler/innen, insbesondere der 1960er und 1970er Jahre, vertreten.
Die Kaiserin Farah Diba Pahlavi, Frau des zweiten Schahs der Pahlavi-Dynastie, hatte die Gemälde zusammengetragen, die 1977 in die Sammlung des neugegründeten Tehran Museum of Contemporary Art (TMOCA) eingingen. Mit der Islamischen Revolution im Iran 1979, bei der die Schah-Dynastie durch massenhafte Proteste verschiedener gesellschaftlicher Oppositionsgruppen gestürzt wurde und sich islamistische Kräfte durchzusetzen vermochten, wurde das Museum geschlossen, und die Werke »verschwanden aus der Öffentlichkeit« – so die euphemistische Sprachregelung der Organisatoren der Ausstellung. Tatsächlich beschlagnahmten die islamistischen Sittenwächter des schiitischen Regimes die Sammlung und zerstörten einige Werke, darunter Andy Warhols Porträt der Sammlerin Farah Diba Pahlavi. Den Rest schlossen sie über 40 Jahre im Depot des Museums ein.
Seit 1979 herrscht der Islamismus im Iran auf Staatsebene: Die Regierung unterdrückt eine politische, künstlerische und zivilgesellschaftliche Opposition massiv und schaltet sie aus, sie verfolgt und ermordet Homosexuelle – wie alle, die gegen den Scharia-Sittenkodex verstoßen –, liberale Persönlichkeitsrechte sind faktisch nicht gegeben. Daran hat bislang auch kein Wechsel in der personellen Führung etwas geändert. Unter dem amtierenden Präsidenten Hassan Rohani, von westlichen Medien als moderat gehandelt, nahmen solche Strafverfolgungen und Exekutionen sogar zu.
Dass die »Teheran-Sammlung« überhaupt in Berlin zu sehen sein sollte und aus welchen Werken sie besteht, verblüfft angesichts der Herkunftsländer der Künstler: Die USA hat Ajatollah Khamenei etwa noch im Juni 2016 als »großen Satan« bezeichnet. Mit Jackson Pollock, Mark Rothko, Andy Warhol, Max Ernst, Pablo Picasso und Francis Bacon sollen die erfolgreichsten westlichen Künstler internationalen Ranges in der Ausstellung vertreten sein. Sie stehen für unterschiedliche künstlerische Positionen – der eine malt figürlich, der andere abstrakt, expressiv oder artifiziell-ironisch. Mit dieser vom dogmatischen Realismus abgegrenzten Vielfalt stehen sie für die westliche Kunst der Nachkriegszeit. Auch daher mag ihre Präsenz in der Sammlung verwundern, denn die nach 1979 offiziell geduldete Kunst im Iran ist streng gegenständlich, rigide, orthodox, unsinnlich und hat die ideologischen Werte und Vorstellungen des Islamismus zu verkörpern. Expressivität, Exzentrik, Nacktheit und Individualität, ob in der einheimischen oder der westlichen Kunst, haben keinen Platz in der Öffentlichkeit des Iran.
Die ursprünglich für die Ausstellung vorgesehenen Bilder iranischer Künstler/innen zeichnen sich erstaunlicherweise ebenfalls durch einen abstrakten Stil aus. Sie knüpfen damit aber nicht zwangsläufig an eine westliche Kunsttradition an: Ornamentik, die sich auch als abstrakt kennzeichnen ließe, ist nicht zuletzt aufgrund des religiösen Bilderverbots in der Geschichte der Kunst islamisch geprägter Länder weitverbreitet. Tatsache ist, dass die Werke, die in Berlin zu sehen sein sollen – in welcher Genealogie sie auch stehen mögen –, noch heute in der Öffentlichkeit des Iran nicht geduldet sind. Literatur, Musik und bildende Kunst muss das dortige Ministerium für Kultur genehmigen, sonst ist ihre Verbreitung oder gar der Lohnerwerb durch sie nicht möglich. Dafür sorgen Razzien und Kontrollen der Sittenwächter. Die Schöpfer/innen nichtkonformer Kunst sind von Verfolgung, Haft und Ermordung bedroht. Ein Großteil flüchtet aus dem Iran und hat selbst im Exil um das eigene Leben zu fürchten.
Dass nicht kurzerhand alle diese Werke zerstört wurden, liegt wohl an deren Marktwert, dessen sich auch die Elite im Iran bewusst sein dürfte. Dieser wird derzeit auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt. Auf deutscher Seite ist neben dem materiellen auch der ideelle Wert der Sammlung von Interesse. Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, scheint vor der Qualität der Bilder auf die Knie zu fallen. Er freut sich über den hervorragenden »atelierfrischen« Zustand der Bilder, die zwangsläufig im Iran nie der Öffentlichkeit zugänglich und damit Tageslicht oder anderen Einflüssen ausgesetzt waren. Es handelt sich jedoch mitnichten um einen der von der Kunstöffentlichkeit gern gefeierten Sensationsfunde. Die Werke waren nicht etwa verschollen, sondern bewusst unter Verschluss gehalten worden. Ihr Zustand verdankt sich dem islamistischen, menschenfeindlichen Weltbild der Machthaber, denen weiterhin unzählige Menschen zum Opfer fallen.
Ausstellungen dieser Größenordnung werden mit einer Flut von Superlativen angekündigt, um Aufmerksamkeit für das Spektakel zu generieren. So rühmte sich die Berliner Nationalgalerie vor der Absage der Ausstellung, als erste Teile der Teheraner Sammlung im Ausland präsentieren zu dürfen. Zudem sei man um den Austausch mit den iranischen Kollegen bemüht. Derartige Schauen bringen beiden Institutionen Renommee. Im Jahr 2000 wurde das Teheraner Museum wiedereröffnet und sucht seitdem den Anschluss an die internationale Kunstsphäre.
Die deutschen Kooperationspartner – dazu zählten das Goethe-Institut in Zusammenarbeit mit der Berlinale, dem Festival for Adventurous Music and Art, der Freien Universität Berlin und anderen – standen entschlossen hinter ihrem Projekt. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat es als seine Herzensangelegenheit vorangetrieben. Für die Ausführung zeichnet die dem Kulturstaatsministerium unterstehende Stiftung Preußischer Kulturbesitz verantwortlich, während die Initiative auf Max Hollein zurückgeht, den ehemaligen Direktor der drei großen Frankfurter Ausstellungshäuser, darunter das renommierte Städel-Museum. Zusammen mit Majid Mollanoroozi, dem Direktor des Teheraner Museums, entwickelte er die Idee einer gemeinsamen Ausstellung der iranischen Sammlung im westlichen Ausland. Mollanoroozis sonstiges kulturpolitisches Engagement hat zuletzt der Oppositionelle Kazem Moussavi, Herausgeber des »Iran Appeasement Monitor«, offengelegt: Zusammen mit den Organisatoren des von Mahmud Ahmadinedschad ausgerufenen antisemitischen Holocaust-Karikaturenwettbewerbs überreichte er dieses Jahr auf einer mit Hakenkreuzen behangenen Bühne den prämierten Holocaust-Leugnern ihre Urkunde. Zwar wurde Mollanoroozi daraufhin als Ehrengast der Vernissage wieder ausgeladen, das Vorhaben der Ausstellung blieb davon jedoch unberührt.
Für eine Verschiebung der Ausstellung, die eigentlich bereits am 4. Dezember 2016 eröffnet werden sollte, sorgte nach offiziellen Angaben die neueste Umgestaltung des Kabinetts durch Rohani: Der für die Unterzeichnung der Leihverträge verantwortliche Minister für Kultur, Ali Jannati, wurde geschasst. Auch eine kleine Vorschau im Museo nazionale della arti del XXI secolo (Maxxi) in Rom fand nicht statt.
Das Konzept der Ausstellung sollte darauf beruhen, beide künstlerischen Positionen – gemeint sind hier westliche und iranische Gemälde – gegenüberzustellen: »So soll der künstlerische Dialog, der im Zentrum der Sammlung steht, in der Berliner Ausstellung sichtbar werden.« Der Ausdruck »künstlerischer Dialog« ist ein beliebter Topos, wenn es darum geht, mit Kunst politische Ziele zu verfolgen: Der Iran will sich als liberal und weltoffen inszenieren, und die westliche Öffentlichkeit beteiligt sich spätestens seit dem Atomabkommen in Wien 2014 an dieser Scharade. Der Maßstab, was als liberal und offen gilt, orientiert sich an der Rhetorik der hiesigen Staatsräson.
Was lässt sich tatsächlich über künstlerische Positionen erfahren, wenn die Auswahl das Teheraner Ministerium für Kultur getroffen hat, die im Iran für Zensur zuständige Behörde? Zudem lässt sich mit Gewissheit sagen, dass sie die Kunstwerke mit Kalkül ausgewählt hat: In dieser fadenscheinigen Inszenierung soll sie eine Nähe zum westlichen Kooperationspartner suggerieren. Das geschieht am einfachsten über formale Ähnlichkeit. Der Vorteil der abstrakten Kunst liegt in ihrer Unbestimmtheit. Reine Farbe kann, beachtet man den Entstehungskontext nicht, Protest und Verweigerung ausdrücken oder einfach dekorative Farbfläche sein. Ein Manko, das der nichtgegenständlichen Kunst von jeher anhaftet. Sie kann so zur Projektionsfläche werden, die hier formale Ähnlichkeit mit kultureller und weltanschaulicher Nähe verbinden soll. So wird ein bestimmtes Bild nicht allein der iranischen Kunst, sondern des Iran an sich konstruiert, was wiederum der Legitimation der diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit diesem Unrechtsstaat dient.
Dass Kultur und Politik solche Bündnisse eingehen, ist kein Novum. Mit der »Weltsprache Abstraktion«, einem von Werner Haftmann 1954 im Kontext der zweiten Documenta geprägten Begriff, hat es gerade in Bezug auf Deutschland eine historisch besondere Bewandtnis: Zur Zeit des Kalten Krieges fand er zur kulturellen und ideologischen Abgrenzung als Pendant zum sozialistischen Realismus Verwendung. Aus westlicher Perspektive stand die Abstraktion für Freiheit, künstlerisch wie weltanschaulich, wohingegen Figuration und der sozialistische Realismus im besonderen als uneingeschränkt dogmatisch und propagandistisch galten. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs wollte man die weltanschauliche wie lebensweltliche Realität gegenständlich illustrieren, statt sie als Ausdruck westlicher Dekadenz für die arbeitende Bevölkerung unverständlich in abstrakte Formen zu kleiden. Die Annäherung und die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Ost und West wurden in den achtziger Jahren ebenfalls kulturell begleitet. BRD und DDR stellten in Ausstellungen gleichsam Positionen gegenüber, wie 1986 in der gleichnamigen Schau in Ost-Berlin, und betteten die so formulierten gemeinsamen Werte in die Geschichtsschreibung ein. Es galt dabei die Losung: Wer abstrakt malt, teilt die Werte des Westens. Das mag auch die hiesige Begeisterung für die abstrakte iranische Kunst erklären.
Bei derartigen Unterfangen werden allzu häufig die ausgewählten Werke aus ihrem jeweiligen Entstehungskontext genommen. Was den Maler motivierte, welche biografischen, gesellschaftlichen und philosophischen Aspekte die Hintergründe des Bildes erhellen mögen und in welchem Verhältnis die Werke zu anderen stehen, bleibt zweitrangig, wenn nicht sogar unerheblich. Sie haben der Konstruktion von Identität und Geschichte zu dienen. Diese Narrative geben nicht nur affirmativ politische, kulturelle und gesellschaftliche Auffassungen wieder, sondern sie vermitteln diese an die Öffentlichkeit und sind damit unmittelbar konstitutiv für die Bildung von Meinung und Bewusstsein.
Die sozialen Verbesserungen, die sich mit den wirtschaftlichen Verträgen für die Bevölkerung im Iran ergäben, etwa die medizinische Versorgung, zieht die Bundesregierung häufig heran, um die humanitäre Intention der Beziehung zum Iran sowie die Wirksamkeit derselben zu bekräftigen. Dabei hat die iranische Regierung selbst die desaströsen sozialen Verhältnisse zu verantworten. In ihrer Rhetorik weisen die Machthaber die Schuld an den katastrophalen Zuständen nach wie vor allein dem westlichen Ausland zu, während sie die positiven Effekte als ihre eigene Wohltat darstellen und zugleich erbarmungslos gegen Andersdenkende, -lebende und -liebende vorgehen.
Die Appeasementpolitik gegenüber dem Iran spielt den für Repression, Verfolgung und Mord Verantwortlichen zusätzlich in die Hände, die damit die Realität verleugnen und das mit internationaler Hilfe bekräftigen können. Die deutschen Initiatoren wie Steinmeier können ihr Engagement auf der anderen Seite als Beitrag zu einer Öffnung des Iran deklarieren und die Millionenbeträge an Exporten und Wirtschaftsverträgen in ein edles Gewand kleiden. So sagte Parzinger im Deutschlandradio Kultur: »Ich glaube schon, dass das ein Zeichen ist, dass im Iran liberalere Kräfte jetzt schon Möglichkeiten haben, solche Formen der Zusammenarbeit zu gestalten … Das Tryptichon von Bacon, da sind homoerotische Szenen drauf und, und, und. Das ist ja ’ne Zumutung eigentlich für die Hardliner im Iran, und insofern ist das schon ein ganz wichtiges Zeichen. « Damit schreibt der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Mär vom »Reformer« Rohani fort und findet es »als Zeichen nicht zu unterschätzen, dass in Teheran Kunst aus den Kellern geholt« werden sollte, während in anderen Ländern Islamisten Kunst zerstören.
So saßen die Kooperationspartner der Rhetorik des iranischen Regimes auf. Dies hat ebenso Kalkül, denn wer einen Deal mit dem Terror eingehen will, muss ihn nach außen, wenn auch nur in Relation zu anderen Schlächtern, als gemäßigt und um Reformen bemüht darstellen. Der geplante Besuch des iranischen Präsidenten Rohani in Deutschland, den (Exil-)Iraner/innen bereits ebenfalls heftig kritisieren, könnte ein paar positive Schlagzeilen gebrauchen.
Wenn das Ausland westliche und moderne Kunst aus dem Iran präsentieren will, die dort nach wie vor nicht gezeigt werden darf und deren Sammlerin vor den Mullahs ins Exil floh, dann ist das nicht Weltoffenheit, sondern Verklärung.
Ina Krebs gehört zum Leipziger Bündnis gegen die Iran-Delegation