Replik auf Bernhard Torschs „Ein Inselwitz“ (konkret 12/16).
Von Floris Biskamp
Während sich Sexismus und Rassismus bestens vertragen, geraten das Engagement gegen Sexismus und das Engagement gegen Rassismus regelmäßig in Konflikt. Dies gilt auch für die Debatte um die Erklärung des alternativen Leipziger Kulturzentrums Conne Island zu sexuellen Übergriffen bei den dortigen Tanzveranstaltungen.
Auf der einen Seite steht antisexistische Politik: Wie viele andere linke Läden möchte das Conne Island ein Ort sein, an dem Frauen und Queers feiern können, ohne feindseligem oder sexuell übergriffigem Verhalten ausgesetzt zu sein. Erreicht werden soll dies durch Diskussionen über Awareness und durch Verhaltensregeln, die deutlich enger sind als die im deutschen Strafgesetzbuch vorgesehenen. Auch wenn manche solche Politik als »infantil« oder gar »lustfeindlich« belächeln, bleibt sie auch in der linken Szene notwendig – und zwar ganz unabhängig von jeder »Flüchtlingskrise«.
Auf der anderen Seite steht antirassistische Politik: Wenn ein linkes Zentrum sich in der aktuellen Situation entscheidet, nicht nur »Refugees Welcome«-Aufkleber an Klowände zu pappen, sondern Geflüchtete persönlich einzubeziehen und ihnen durch einen stark verminderten Eintrittspreis eine Teilhabe am Nachtleben zu ermöglichen, ist das gelebte Solidarität und antirassistische Praxis – eine Praxis, die im Conne Island nach wie vor von Geflüchteten genutzt wird und aufgrund derer sich politische und persönliche Kontakte ergeben.
In Konflikt geraten sind beide Politiken, weil die antirassistische Politik des Einladens dem Conne Island zufolge zu einem eklatanten Anstieg sexuell übergriffigen Verhaltens geführt und die antisexistische Politik somit unterminiert hat. Weil es sich dabei nicht bloß um ein Fehlverhalten weniger Einzelpersonen gehandelt habe, das man durch Rauswürfe und Hausverbote hätte handhaben können, betrachtet man es als ein reflexionsbedürftiges Problem der eigenen politischen Praxis. Weil man darüber hinaus wisse, dass ähnliche Probleme auch in anderen linken Zentren existieren, und weil man sich solidarisch mit den Opfern der Übergriffe zeigen wolle, entschied man, an die (linke) Öffentlichkeit zu treten – und nun wurde das Dilemma sichtbar.
Das Bild sexuell aggressiver anderer, vor denen »unsere« Frauen geschützt werden müssen, gehört zum rassistischen Standardrepertoire und ist spätestens seit den »Silvesterereignissen von Köln« auch ein dominantes Narrativ in der »Flüchtlingskrise«. Wer in einer solchen Situation Probleme wie die des Conne Island öffentlich thematisiert, stärkt effektiv den rassistischen Diskurs – egal, ob man sich dieses Diskurses bewusst ist, egal, ob man diesen Effekt beabsichtigt, egal, wie vorsichtig und differenziert man formuliert, und egal, wie viele explizite Abgrenzungen man vornimmt. Es dürfte nicht zuletzt an dieser nicht zu vermeidenden Anschlussfähigkeit an rassistische Haltungen gelegen haben, dass die Erklärung des linken Zentrums so breit rezipiert wurde – wie Conne-Island-Mitbetreiberin Susanne Fischer betont, sehr viel breiter, als man im Vorfeld erwartet hätte.
Daher hat Bernhard Torsch nicht ganz unrecht, wenn er in konkret 12/16 schreibt, der Conne-Island-Text sei »eine Posaune«, die »das Orchester der Rassisten« verstärke. Unrecht hat er letztlich aber doch, weil er auch meint, diese Posaune sei »ohne Not« ergriffen worden. Denn damit ignoriert er die guten antisexistischen Gründe für einen Gang an die Öffentlichkeit.
Man kann das Dilemma von Antirassismus und Antisexismus anerkennen und den Text des Conne Island dennoch scharf kritisieren. Ich habe bei der Recherche zu diesem Artikel Kontakt zu zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig aufgenommen, die sich in feministischer, queerer, antirassistischer oder sonstwie linker Politik, in Flüchtlingsarbeit und -selbstorganisation oder in der Organisation von Kulturveranstaltungen engagieren.
Einige Schlaglichter: Die Antifa Klein-Paris übt deutliche, aber »solidarische Kritik « an den teils »homogenisierenden« Formulierungen der Conne-Island-Erklärung. Sie moniert insbesondere das »Fehlen einer Reflexion auf gesellschaftliche Verhältnisse abseits eines essentialistisch gewendeten Kulturbegriffs«, wie etwa auf die »Verhältnisse in den Unterkünften« der Geflüchteten. Eine in der Arbeit mit Geflüchteten tätige Aktivistin sieht im Conne-Island-Text dagegen ein »mutiges« Statement, das »endlich « Probleme anspreche, die sie aus der eigenen Praxis gut kenne. Johannes Hauer von der Gruppe Translib findet die Entscheidung des Conne Island, mit der Reflexion der eigenen Praxis an die Öffentlichkeit zu treten, »richtig« und »das Papier dem Inhalt nach im Kern vernünftig«, kritisiert aber die Stellen, die sich auf den »kulturellen Hintergrund « oder den »Migrationshintergrund« der Täter beziehen. Wieder andere antirassistische Aktivistinnen vertreten den Standpunkt, es sei wichtig, sexuelle Übergriffe zu problematisieren, ein spezifisch auf Geflüchtete bezogenes öffentliches Statement hätte man aber trotz aller Probleme lieber vermeiden sollen. Im Conne Island selbst steht man zwar auch nach allen positiven und negativen Reaktionen noch zum Gang an die Öffentlichkeit, würde aber Fischer zufolge heute »einige Formulierungen« des Papiers »schärfen oder anders wählen«.
In Torschs Artikel dagegen wird das Dilemma zwischen Antirassismus und Antisexismus einfach beiseitegeschoben und einseitig antirassistisch aufgelöst. Nicht nur, dass er sexuelle Übergriffe bagatellisiert, er schlägt auch einen Ton an, der seinen Text zu einem geschmacklosen Herrenwitz macht. Der Tiefpunkt dieses Witzes ist erreicht, wenn der Autor meint, »dass man den ›jungen Männern mit Migrationshintergrund‹ nur gutes Gelingen dabei wünschen mag, diese Inseln selbstgerechter Saturiertheit zu verwüsten«. Wohlgemerkt: Er spricht immer noch über sexuelle Übergriffe; er spricht immer noch über ein linkes Zentrum in einer Region, in der an nicht wenigen Orten rechtsextreme Hegemonie herrscht.
Am Ende aber geht es nicht darum, dass Bernhard Torsch und Floris Biskamp in konkret um die Deutungshoheit über antirassistische und antisexistische Politik in einem Leipziger Kulturzentrum kämpfen. Wünschenswert wäre statt dessen eine Debatte, in der diejenigen Gruppen, um die es geht, besser gehört werden als irgendwelche politischen Vereinnahmungen und Polemiken. Zu hören wären dann diejenigen, die sich aufgrund vermehrter Übergriffe in entsprechenden Locations unwohl fühlen beziehungsweise dort gar nicht mehr hingehen; zu hören wären diejenigen, die von den rassistischen Diskursen, in die sich das Conne-Island-Statement ungewollt einpasst, stigmatisiert werden, sowie diejenigen, die als Geflüchtete nach Leipzig gekommen sind, das Conne Island besuchen und sich nun ohne jedes Fehlverhalten einem öffentlichen Verdacht ausgesetzt sehen. Zu hören wären diejenigen, die unter solchen Bedingungen Partys organisieren oder Politik betreiben und eine Mitverantwortung spüren, wenn es zu Übergriffen kommt. Zu hören wären am deutlichsten diejenigen, die zu mehr als einer dieser Gruppen zählen.
Floris Biskamp ist Politikwissenschaftler und Soziologe an der Universität Kassel; zuletzt erschien sein Buch Orientalismus und demokratische Öffentlichkeit (Transcript, 2016)