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Was ist dran an der Offensive neurechter Ideologen? Von Felix Klopotek

Es geht ums Geld. Ganz einfach. Noch am Abend der Bundestagswahl bloggte Antaios-Verleger Götz Kubitschek auf der Seite seiner Zeitschrift »Sezession« einen Beitrag, der auf folgende Pointe hinausläuft: Auch für uns (gemeint ist die neurechte Szene, F.K.) bricht eine andere Zeit an: erneute Resonanzraumerweiterung; berufliche Auffangnetze für manchen, der sich vorwagte und keine der 200 Genderprofessuren abgreifen konnte – dafür jetzt aber den Posten eines Beraters, eines Büroleiters, eines wissenschaftlichen Mitarbeiters angeboten bekommt. Man wird Texter, Computerspezialisten, Filmleute, Sicherheitspersonal, Experten benötigen, es wird sehr viele sehr gut bezahlte Stellen geben, und mancher wird sein Leben als Lehrstuhlhure mit prekärem Vier-Jahres-Vertrag aufgeben und in gesittete geistige Verhältnisse wechseln können.

Man hätte sich bei einem Gesinnungstäter wie Kubitschek alles vorstellen können: Triumphgeheul oder eine bedächtige Warnung, nach dem überwältigenden AfD-Erfolg das Heil nicht in parlamentarischer Arbeit zu suchen. Aber diese unverhohlene Freude darüber, dass im Umkreis der AfD-Bundestagsfraktion für sein Milieu bald das große Abgreifen beginnt? Dieses Lechzen nach Staatsknete, wofür man doch den »rotgrün versifften« Kulturbetrieb in den letzten Jahren so leidenschaftlich gehasst hat? Ein erschütternd banales Eingeständnis, das aber verständlich wird vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte des deutschen Konservatismus und jenes Moments, an dem die Bombe scharfgemacht wurde.  Aber der Reihe nach.

Die Geschichte des deutschen Konservatismus seit 1990 ist eine einzige Kette des Versagens und der Niederlagen. Nehmen wir die neurechte Szene und ihr Widerstandspathos beim Wort und bleiben in ihrer Diktion, muss man konstatieren: Es gibt seit dem Mauerfall keine gesellschaftliche Debatte, in der eine Rechte nennenswerten, also sichtbaren und irgendwie satisfaktionsfähigen Widerstand gegen den von ihr so verachteten liberalen/linksliberalen/rotgrünen/kulturmarxistischen Mainstream artikuliert hätte. Zwar träumte man Anfang der neunziger  Jahre von einer neopreußischen Republik, aber die Geschichtspolitik dieser Kreise verstrickte sich heillos in revanchistischer und revisionistischer Literatur – man denke an den glücklosen Cheflektor von Ullstein und Propyläen Rainer Zitelmann, der mit seiner Verlagspolitik und seiner späteren Redakteurstätigkeit für die »Welt« zwischen 1992 und 1995 zwar viel toxischen Staub aufwirbelte, aber doch sang- und klanglos vom Kulturbetrieb wieder abserviert wurde. Anstatt also die neunziger Jahre mit ihrem Hass auf   Flüchtlinge und der Totaldiskreditierung des Sozialismus als ihre Gegenwart, die sie gestalten könnten, zu verstehen, kam bei den »Nationalliberalen« und Preußen-Fans doch nur wieder rückwärtsgewandtes Zeug heraus und endete in weltabgewandtem Sektierertum. Zitelmann, heute übrigens in der FDP aktiv, wählte einen anderen Weg und wurde wenig später Immobilienexperte und Investmentberater. Das brachte ihm viel Spott ein, ist aber mehr als nur eine skurrile Fußnote.

Ob Verfassungsdebatte, die nie stattfand, die Abwertung ostdeutscher Lebenswelten, zu der den Rechten, die heute übrigens das Bildungssystem der DDR über den grünen Klee loben, nichts einfiel, die Beteiligung am Krieg gegen Serbien 1999, die vordergründige Nichtbeteiligung am Irak-Krieg 2003, die Agenda 2010: Nirgendwo war eine eigenständige, gar widerständige konservative oder »nationalkonservative« Position zu vernehmen.

Das ist durchaus folgerichtig: Denn seine Eigenständigkeit – und damit seinen selbsteingeredeten Ruf, nonkonformistisch zu sein – gewann der historische Konservatismus nur in Abhängigkeit vom Zeitgeist, der bürgerlich-fortschrittlich, sozial nivellierend und – nicht auszudenken! – proletarisch pöbelhaft daherkam. In dem Moment, wo der Pöbel unterworfen ist und der Neoliberalismus eine Elite hervorbringt, die aggressiver auftritt, als sich das Nietzsche jemals hätte wünschen können, ist auch der Konservatismus als Selbstbild einer rückwärtsgewandten Elite, die sich mit der Orientierung an überzeitlichen Werten gegen den sich emporarbeitenden Pöbel abgrenzen will, erledigt. Denn auch die Sehnsucht des Konservativen nach einem Ursprung – nach dem Zeitpunkt, zu dem noch feste Werte (Familie, Vaterland, Kirche, ständische Ordnung, schließlich die Nation) gegolten haben – ist paradox. Dieser Zeitpunkt ist nicht zu fixieren. Wären diese Werte wirklich so fest (»heilig«), wie konnten sie sich jemals wandeln? Der Wertezerfall, den der Konservatismus paradoxerweise permanent konstatieren muss, ist eine Abirrung der Gattung, hervorgebracht durch Außenseiter und Nichtassimilierte. Hier liegt der Übergang zur innerstaatlichen Feinderklärung vor, der Konservative seit jeher Vorschub geleistet haben.

Aber natürlich liegt es auch nahe, diese Werte als Funktion der Machtpolitik der jeweils herrschenden Klasse zu verstehen. Es war Frank Schirrmacher (»FAZ«), der eine vor allem ihn selbst erschütternde Bilanz des Konservatismus zog und im Sommer 2011 in seinem vielleicht letzten stilprägenden Essay verkündete: »Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat.« Widerstand gegen eine repressive Finanzpolitik und einen weltweit soziale Mindeststandards auflösenden Neoliberalismus war von rechts nicht mehr zu erwarten, schrieb der melancholische Konservative.

Aber wie sich das für einen Intellektuellen gehört: Er hinkt der Entwicklung hinterher. Exakt ein Jahr zuvor, am 30. August 2010, war Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab erschienen. Das war der Moment des Scharfmachers: Denn Sarrazin verknüpfte ungerührt und also ohne »nationalkonservativen« Überbau finanzpolitische Überlegungen mit biologistischen Fragestellungen:    a) türkische und arabische Einwanderer- familien kosten uns überdurchschnittlich viel Geld (in Form von Transferleistungen und Ausbildungskosten), b) sie bringen niemals das Geld wieder rein, das wir für sie ausgegeben haben, weil sie weniger intelligent sind, also kaum Chancen haben, gut- bezahlte Jobs zu ergattern, also den Standort Deutschland voranzubringen. Rassismus und Geld wurden bei Sarrazin enggeführt – und zwar in einer zynischen Durchsichtigkeit, die in der jüngeren Geschichte des konservativen-nationalistischen Diskurses unbekannt war. Aus dieser Perspektive wirkt der Schwenk, den Zitelmann vom revisionistischen Historiker zum Finanzjongleur machte (Setze dir größere Ziele! Die Erfolgsgeheimnisse der Sieger, so ein Buchtitel Zitelmanns von 2011), gar nicht so kurios. 

Der Fortgang der Geschichte ist bekannt: Sarrazin wurde zum Bestsellerautor – und er wurde weder aus der SPD ausgeschlossen noch von den Medien fallengelassen. Bis heute gehört er zum Establishment, man könnte fast meinen: Die Bourgeoisie lässt ihn nicht fallen, denn wer weiß, wozu die Option »Sarrazin« noch gut ist. AfD-Leute werden heutzutage wegen vergleichsweise kleiner Ausfälle von der demokratischen Öffentlichkeit gebrandmarkt. Während Sarrazin das zeitgemäße rassistische Leitbild formulierte, werden die, die nur einen Schritt weitergehen, umso heftiger stigmatisiert. Hier- in erweist sich die ganze Bigotterie dieser Öffentlichkeit.

Sarrazin stiftete mit seinem Bestseller ein Modell, das bis heute gültig ist. Man achte darauf, wie häufig in rechten, konservativen, nationallibertären oder identitären Blogs und Pamphleten von Geld die Rede ist: Da geht es um die GEZ-Gebühren und um den Krampf der alljährlichen Steuererklärung, natürlich um die Steuergelder, die für die Flüchtlinge draufgehen, aber auch um die, die in Antifa-Projekte und Gender-Lehrstühle fließen, um die Europäische Zentralbank, die den Markt mit billigem Geld flutet (Zinsen futsch!), und die Südländer, die es sich mit dem billigen Geld gutgehen lassen, vor allem und immer wieder geht es um die (Steuer-)Bürokratie, die den Mittelstand drangsaliert und auspresst.

Die Sorge ums Geld stand am Anfang der AfD-Gründung (2013), die zunächst eine Anti-Euro-Partei war, und sie ist das zentrale Thema in Akif Pirinçcis Deutschland von Sinnen (2014), dem zweiten Bestseller der Szene. Das zieht sich durch bis zu Kubitscheks unfreiwillig-freiwilligem Statement, jetzt auch mal ran an die Töpfe zu wollen.
Tritt man einen Schritt zurück, scheint die Lage unübersichtlich: Würde man all diejenigen, die man zu den Protagonisten dieser Szenerie zählen kann – Akif Piriniçci, Bernd Lucke, die Autoren der Achse des Guten, Jürgen Elsässer, Peter Sloterdijk, Thi-   lo Sarrazin, Jan Fleischhauer, Götz Kubitschek –, in einen Raum sperren, sie hätten gemeinsamen Gesprächsstoff für vielleicht fünf Minuten. Danach würde ein großes Hauen und Stechen einsetzen. Es ist die klassische Slapsticksituation: A kann mit B, B kann mit C, A aber nicht mit C. Diese rechte »Elite« – die libertären Islamhasser und die nationalkonservativen Elitenversteher, die verbitterten Sozialdemokraten mit ihrem Hass auf Hartz-IV-Empfänger und die Steuerboykottisten, die Politikberater und die    Politikverächter, die Putin-Sympathisan- ten und die Atlantiker – bildet keinen organischen Zusammenhang oder auch nur eine Koalition. Muss sie aber auch gar nicht.

Denn alle sind sich in einem Punkt einig: in der Abgrenzung nach unten, gegen den Pöbel, der ihnen als Ansammlung von Sozialschmarotzern, Lumpenproletariern, Modernisierungsverlierern, Leistungsverweigerern, Steuerverprassern gilt. Und in der Abgrenzung gegen alle positiv integrierenden Sozialsysteme: gegen den steuerbasierten Sozialstaat, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gegen sozialliberale Inklusionspolitik. Seine unmittelbar politische Dynamik gewann die Abgrenzung mit dem kurzzeitigen Aussetzen des deutschen Grenzregimes im Herbst 2015. Das Feindbild »Flüchtling« stiftet erst jene Koalition, in der sich »Elite« und Mob zusammenfinden.

In der Wahnvorstellung, man sei von Einwanderern und Minderheiten und ihrem Anspruchsdenken umstellt, permanent den Manipulationen der Lügenpresse ausgesetzt, während man in Wahrheit doch die schweigende Mehrheit repräsentiere, zeigt sich eine tiefe Verunsicherung des Bürgertums. Das neoliberale Armutsprogramm der letzten Jahrzehnte bedroht auch den Mittelstand. Wer einmal in Armut abrutscht, kommt schwer wieder raus. Der Imperativ, sich permanent zu beweisen, seine Leistungsbereitschaft zu steigern, ständig an seiner Selbstoptimierung zu arbeiten, richtet sich nicht nur an die einfachen Lohnabhängigen und Prekären, sondern schlägt auf die Bürger zurück. Die neuen Konservativen versprechen eine Wiederbefestigung der Identität – ohne allzuviel ändern zu müssen, das Leitbild des unbedingten Individualismus wird schließlich nicht in Frage gestellt. Schuld haben die anderen, die als schwächere nur im Rudel »uns, die Leistungsträger«, bedrohen können.

Aufgabe der Linken sollte es sein, sich nicht länger vom Popanz einer angeblichen identitären (Jugend-)Bewegung blenden zu lassen oder die Szene um den Antaios-Verlag als besonders gefährlich zu isolieren, sondern den Gesamtzusammenhang dieser elitären Feinderklärung zu attackieren.

Felix Klopotek schrieb in konkret10/17 über Gerd Koenens Buch Die Farbe Rot 

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