Oliver Tolmein über den Ausgang des aktuellen NPD-Verbotsverfahrens
Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat keine Zweifel: Die NPD will die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen und einen am ethnischen Prinzip der Volksgemeinschaft ausgerichteten autoritären Nationalstaat durchsetzen. Zudem ist sie antisemitisch und insgesamt mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt. Das aber finden die Karlsruher Richter nicht weiter beunruhigend. Sie stellen fest: »Es fehlt an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.«
Das ist rechtlich bemerkenswert, denn Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes, die rechtliche Grundlage für ein Parteiverbot, regelt nicht, dass nur (potentiell) erfolgreiche verfassungsfeindliche Partei verboten werden können. Verlangt wird dort, dass die Partei »darauf ausgeht«, die FDGO zu beseitigen. Selbst die einschränkende verfassungsrechtliche Kommentierung verlangt hier allenfalls eine »qualifizierte Vorbereitungshandlung einer versuchten Verfassungsstörung«, nicht auch noch deren Erfolg. Auch konservativere Kommentierungen fordern zwar ein »objektives Element der Intensität der Zielverfolgung«: »Ein Tätigwerden, etwa gar die Erfüllung entsprechender Straftatbestände (z.B. § 81 StGB) oder gar ein Erfolg ist nicht erforderlich.« Dem BVG hat es im KPD-Verbotsverfahren 1956 genügt, dass zur verfassungsfeindlichen Zielsetzung »eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung (hinzukommt)«.
Die politische Botschaft dieser Änderung der Rechtsprechung ist fatal: Wenn selbst eine dem Nationalsozialismus wesensverwandte, eindeutig verfassungsfeindliche Partei nur verboten werden kann, wenn sie dauerhaft nennenswerten Erfolg hat, also in Parlamenten vertreten und tatsächlich in der Lage ist, zum Beispiel eine »Atmosphäre der Angst« zu erzeugen, welche die politische Teilhabe von Bevölkerungsgruppen einschränkt, dürfte es für ein Verbotsverfahren zu spät sein. Das BVG versteht zudem auch die Dynamik politischer Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozesse nicht. Auch wenn einer politischen Partei die Aktivitäten von »Freien Kameradschaften« nicht eins zu eins zugerechnet werden können, muss doch realisiert und in die rechtliche Bewertung einbezogen werden, wie hier eine absichtsvolle Arbeitsteilung verschieden verfasster Gruppen stattfindet. Das liberal gemeinte Signal des BVGs ist für die Angehörigen der Gruppen, die die NPD mit einigem Engagement und jedenfalls nicht erfolglos ins Visier genommen hat, und nicht nur für sie, ein schriller Missklang. Das NPD-Verbot hätte das Ressentiment gegen sie zwar nicht beendet, aber doch wenigstens gezeigt, dass es nicht hingenommen wird. Jetzt heißt es: Geht doch noch. Geht’s noch?!
Oliver Tolmein