Bundeswehrveteranen glorifizieren ihre Kriegserlebnisse.
Von Peer Heinelt
Die neuen Kriegsveteranen der Bundeswehr haben es wahrlich nicht leicht. Da ließ man sie in Jugoslawien und Afghanistan für deutsche Interessen morden, aber niemand hat ihnen gesagt, wo der Besuchereingang des 2009 eingeweihten Ehrenmals für die Gefallenen der Truppe am Berliner Dienstsitz des Bundesverteidigungsministeriums zu finden ist. »Als ich das erste Mal das Ehrendenkmal der Bundeswehr besuchen wollte, bin ich dreimal dran vorbeigefahren «, beschwerte sich unlängst der ehemalige Soldat Ralf Bartzsch gegenüber dem NDR. Bartzsch, besser bekannt unter seinem Spitznamen »Muerte«, gehört einem »Military Motorcycle Club« namens Recondo Vets an und organisiert regelmäßig Wallfahrten zur Heldengedenkstätte im Hof des Berliner Bendlerblocks. Sich zu orientieren, fällt ihm allerdings offenbar ein bisschen schwer.
Das verwundert insofern, als sich die Recondo Vets damit brüsten, dass ein Teil ihrer Mitglieder (»Members«) in Spezialeinheiten der deutschen Streitkräfte wie der Division Spezielle Operationen (DSO) gedient hat. Zu den Aufgaben der DSO, die aktuell unter der Bezeichnung Division Schnelle Kräfte (DSK) firmiert und unter anderem das Kommando Spezialkräfte (KSK) umfasst, zählen nach eigenen Angaben sowohl die Bekämpfung von »Terroristen, Guerillas oder Partisanen« als auch die Durchführung von Kommandoaktionen »hinter den feindlichen Linien«. Der Name des Clubs und dessen Motto (»Live to spend it«) wiederum gehen auf den US-amerikanischen Söldner Frank Camper zurück, der während der achtziger Jahre im US-Bundesstaat Alabama eine Schule für bezahlte antikommunistische Totschläger unterhielt. Die Einrichtung firmierte unter der Bezeichnung »Recondo« – ein aus den Begriffen Reconnaissance (Ausspähung) und Commando (Kommandosoldat/-truppe) zusammengesetztes Kunstwort.
Wenig verwunderlich ist vor diesem Hintergrund indes, dass so manche der motorradbegeisterten Bundeswehrveteranen laut einer Selbstdarstellung als Söldner für »Private Military Companies« arbeiten – sofern sie nicht bei den Spezialeinsatzkommandos der hiesigen Polizei untergekommen sind. Entsprechend stellt sich das Freizeitangebot des Clubs dar; verpesten die Kameraden mit ihren schweren Maschinen nicht gerade die Luft, treffen sie sich zum Scharfschützen- oder Kampftauchertraining. Wie »Muerte« in der Kommentarspalte des Internetblogs »Augen geradeaus!« anmerkte, verstehe es »sich wohl von selbst«, dass »gestandene Männer mit jahrelanger Kampfeinsatzerfahrung« nach ihrer Dienstzeit »keine Häkel-, Töpfer- oder Backkurse besuchen«, sondern lieber an »Weiterbildungsmaßnahmen« teilnehmen.
Ebenso versteht es sich offenbar von selbst, dass die Recondo Vets einschlägige militärische Traditionen pflegen: Auf ihrer Website findet sich ein direkter Link zur Legión Española, einer Eliteeinheit des spanischen Staates, die in den letzten Jahren unter anderem im Kosovo, im Irak und in Afghanistan zum Einsatz gekommen ist. Während des Spanischen Bürgerkriegs stand die Truppe treu zu Generalissimus Franco und massakrierte gemeinsam mit ihren deutschen Kameraden von der Legion Condor reihenweise Antifaschisten. Ihr damaliger Wahlspruch lautete: »¡Viva la muerte!« – »Es lebe der Tod!«
Dass die Vertreter des Bundesverteidigungsministeriums bis dato den Kontakt zu den »Recondo Vets« eher gemieden haben, dürfte allerdings weniger deren politischer Haltung als deren öffentlichen Auftritten in Biker-Kutten und Phantasieuniformen geschuldet sein – zumal weitere Veteranenvereinigungen um die Gunst der hiesigen Offiziellen buhlen. Da wäre etwa der Bund Deutscher Einsatzveteranen (BDV), der sich schon durch die Namensgebung an regierungsamtlichen Definitionen orientiert. Danach gelten alle Soldaten der Bundeswehr, die seit der Gründung der Truppe »ehrenhaft aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sind«, als »Veteranen «; »Einsatzveteran« hingegen darf sich nur nennen, wer im Ausland deutsche Interessen verteidigt hat. Um Leute dieses Schlages geht es dem BDV, der sich laut einer Selbstdarstellung als »Hilfsorganisation« für kriegsversehrte und traumatisierte Bundeswehrangehörige begreift. Über seine Funktion für die staatliche Militärpolitik und -propaganda ist sich der als »gemeinnützig « anerkannte Verein durchaus im klaren: Die »besondere Fürsorge im letzten Abschnitt des ›militärischen Lebens‹« trage nicht nur zur »Steigerung der Wertschätzung der Bundeswehr in der Gesellschaft« bei, sondern erhöhe darüber hinaus die »Attraktivität des Soldatenberufes für den Nachwuchs «, heißt es.
Die Fürsorge des BDV für seine körperlich oder seelisch mitgenommenen Mitglieder manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass er sie zur Teilnahme an sogenannten Hindernisläufen motiviert. Diese firmieren unter der Bezeichnung »Strong Viking« (»Starker Wikinger«) und werden von einem kommerziellen Anbieter ausgerichtet; die Läufer müssen Bäume schleppen, über Hügel kraxeln oder durch Wasser und Schlamm waten respektive kriechen. Wie der BDV mitteilt, würden die angeschlagenen Veteranen auf diese Weise »wieder zu aktiver Teilnahme am sozialen Leben bewegt«: »Kameradschaft, Teamgeist, Kampfgeist erwachen während des Laufs. Am Ende läuft ein Team ins Ziel, das sich weiter vernetzt. Man bleibt miteinander in Kontakt und gibt sich auch im Alltag gegenseitig Unterstützung und wenn nötig Halt. Die Begeisterung, sich einer großen Herausforderung gestellt und diese erfolgreich bewältigt zu haben, überträgt sich nicht selten in den oftmals tristen Alltag der einsatzgeschädigten Kameraden.«
Wenn die Vertreter des BDV nicht gerade an Veranstaltungen vom Typ »Strong Viking« teilnehmen oder vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages als Sachverständige in Fragen der Veteranenversorgung auftreten, machen sie gerne selbst ein wenig Propaganda für das Kriegshandwerk. So stand der BDV im vergangenen Jahr Pate bei der Herausgabe des Buches Die unsichtbaren Veteranen, das etliche Erlebnisberichte aus den Operationsgebieten der Bundeswehr beinhaltet. Unter anderem zeigt sich hier Oberleutnant Marcus Grotian »froh« darüber, in Afghanistan die »Todesangst « überwunden und den »nötigen Mut« zum Kampf gefunden zu haben. Passend dazu schreibt Oberst a. D. Rainer Buske, er sei nach seiner Rückkehr aus Kundus zwar »traumatisiert« gewesen, betrachte seinen »Afghanistan-Einsatz« im Jahr 2008 dennoch als die »schönste Führungsverantwortung «, die er »jemals bekleidet« habe. Ganz so äußert sich auch Oberst Norbert Hähnlein, der 2010 am Hindukusch einheimische Soldaten ausgebildet hat und heute als General der Heeresaufklärungstruppe fungiert: »Für mich waren die sechs Monate in Afghanistan ein Höhepunkt in meiner Laufbahn. Ich habe mich nur selten zuvor so als Soldat gefühlt mit Stolz auf die Leistungen des Teams und den eigenen Beitrag.«
Die Liebe zum Krieg spricht auch aus den im Buch enthaltenen wissenschaftlichen Aufsätzen. Anja Seiffert, die 2013 im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) eine Untersuchung über die Befindlichkeiten deutscher »Afghanistan-Rückkehrer « durchgeführt hat, etwa weiß zu berichten: »Nicht gerade wenige der für die Studie befragten Einsatzrückkehrer schildern … positive Veränderungen insbesondere der eigenen Person. Dazu gehören … ein gesteigertes Selbstbewusstsein (68 Prozent), eine höhere Wertschätzung des Lebens (56 Prozent) oder eine gewachsene psychische Belastbarkeit (41 Prozent).« Zudem schienen ihr »Soldatenpartnerschaften nach Auslandseinsätzen sogar stabiler zu sein … als in der Durchschnittsbevölkerung«.
Anschließend erklärt Oberstarzt a. D. Karl-Heinz Biesold, bis 2012 leitender Psychiater am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, die »dem Einsatz vorausgehenden, vorbereitenden und dem Einsatz folgenden nachbereitenden Maßnahmen« würden »von den Soldaten überwiegend als positiv, angemessen und zielführend beurteilt«. Über das besagte Ziel lässt Biesold dabei keine Zweifel aufkommen: Seiner Aussage nach geht es darum, »die Bereitschaft zur Teilnahme an einem neuen Einsatz zu fördern«.
Folgt man den Herausgebern des Bandes, den ehemaligen Afghanistan-Kämpfern Marcel Bohnert und Björn Schreiber, zeitigen nicht zuletzt die von Biesold und Kollegen durchgeführten »Maßnahmen« durchschlagende Erfolge: »Trotz aller Strapazen und Lasten vermissen viele Veteranen die Zeit ihrer Einsätze, in denen sie sich lebendig, in einer engen Gemeinschaft aufgehoben und einem sinnvollen Auftrag verpflichtet fühlten. Mehr noch: Viele wünschen sich in die Situationen zurück, wären sogar bereit, ihr Leben erneut zu riskieren.« Gerügt wird dagegen die mangelnde »gesellschaftliche Anerkennung« von Veteranen. Während etwa in den USA Kriegsheimkehrer eine Vielzahl von Privilegien genössen und regelmäßig öffentlich geehrt würden, hätten die Deutschen nach wie vor ein »distanzierte(s) und oft unbehagliche(s) Verhältnis« zu »ihrem Militär«, heißt es.
Diese Auffassung vertritt auch der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), der in seinem Epilog zum Buch einen »unbefangenen Umgang mit dem Veteranenbegriff« anmahnt. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes müsse dies endlich möglich sein, erklärt der Politiker – schließlich seien im Unterschied zur Nachkriegszeit nunmehr weder »Opfer von Krieg und Diktatur« auffallend präsent, noch hätten die heutigen »militärischen Führungspersönlichkeiten« einen »Wehrmachtshintergrund«. Ähnlich hatte sich schon anno 2012 der damalige Verteidigungs- und heutige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) geäußert und eine Neuauflage des offiziellen Heldengedenkens in Form eines alljährlich zu begehenden »Veteranentags« gefordert.
Seit 2014 veranstaltet der BDV einen solchen in Eigenregie; für dieses Jahr wurde die einst von Antifaschisten geprägte Parole »Gegen das Vergessen« ausgegeben. Am 26. Mai ist unter anderem eine »Mahnwache« vor dem Berliner Reichstagsgebäude zur Erinnerung an die Gefallenen der Bundeswehr geplant. Tags darauf soll in Absprache mit dem Einsatzführungskommando der deutschen Streitkräfte bei Potsdam ein »Marsch der Stille« stattfinden. Auf dem zugehörigen Werbeplakat findet sich neben dem Programm der sinnfällige Hinweis »Kein Ort für Neonazis«.
Das muss man nun wirklich dazusagen: Das Logo des BDV zeigt ein zu zwei Dritteln von goldenem Eichenlaub umkränztes, in den Farben Schwarz-Weiß-Rot gehaltenes V; das Motto der Organisation lautet »Treu gedient – Treue verdient« und erinnert damit nicht nur entfernt an den Wahlspruch der Fallschirmjäger der Nazi-Wehrmacht, der auch von der Waffen-SS goutiert wurde. Damals hieß es »Treue um Treue«.
Peer Heinelt schrieb in konkret 1/17 über Straßenumbenennungen in Freiburg