Im gründlich gentrifizierten Berliner Bezirk Prenzlauer Berg wirkt alles wie lebendig begraben.
Wie passend, dass jetzt ein "Kulturmanager" Intendant der Volksbühne wird.
Von Thomas Blum
Von 2002 bis 2011 lief in Berlin alles rund: Die SPD machte, gemeinsam mit der Linkspartei, CDU-Politik, baute die Stadt frohgemut und in rasendem Tempo zum Abenteuerzoo für Touristen und zur Gratisspielwiese für sogenannte Investoren um und ließ mit einem Achselzucken jeden noch so winzigen Flecken in der Innenstadt, auf dem sich bis dahin noch menschliches Leben abspielte, mit Bürotürmen und Konzernbauten zuplanieren. Nebenbei erreicht die Höhe der »ortsüblichen Vergleichsmiete« bald das Niveau von New York und London.
Der Bezirk Prenzlauer Berg, bis vor 20 Jahren noch eine blühende, im besten Sinne chaotische urbane Landschaft, sieht heute aus wie ein schwäbisches Provinznest, in dem sich die Inhaberin der Ayurveda-Teeboutique und der Betreiber der Agentur für Nachhaltigkeit nach der »Tagesschau« gute Nacht sagen. Sieht man einmal von der Volksbühne ab, einer letzten Bastion gegen die Totalgentrifizierung, wirkt alles wie lebendig begraben. Ein großer Erfolg des rotroten Senats.
Auch heute eilt man von Erfolg zu Erfolg. Letztes Jahr entschied der derzeit regierende Bürgermeister von Berlin, ein Michael Müller (SPD), dessen Politik sich genauso anfühlt, wie sein Name klingt, dass um der »Hauptstadtkultur« willen, die man so nannte, weil man einen schönen Euphemismus für »Berlin-Reklame« benötigte, ein großer Zampano hermüsse, der noch die letzten Reste kultureller Widerborstigkeit aus der Stadt hinausfegt.
Dem von allen so genannten belgischen »Kulturmanager« Chris Dercon sollte die Volksbühne übergeben werden, damit er dort und in anderen großzügig bemessenen Räumlichkeiten zeigen kann, wie man mit ordentlich Mummenschanz Berlin endgültig zum austauschbar öden und »international renommierten Kulturstandort« umbaut. »Das Berlin der Nacht« kennt Dercon nicht, wie er selbst bekennt, »weil er vor elf Uhr abends schlafen geht« (»Berliner Zeitung«). Gleichzeitig nennt eine seiner engsten Mitarbeiterinnen Berlin »zutiefst provinziell«.
In einem Brief schrieb der damalige Vorsitzende der Berliner Linkspartei, Klaus Lederer, im Sommer vergangenen Jahres: »Die Linke wird sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass die Volksbühne als Sprechtheater mit festem Ensemble und Repertoirebetrieb in der besten Tradition von Piscator, Besson und Castorf erhalten wird.« Mit Dercon etabliere man einen »neoliberalen Kunstbetrieb mit globaler Jetset-Attitüde« (Lederer), die mit ihm ausgehandelten Verträge müssten überprüft werden. Doch Ende Februar musste Lederer, mittlerweile Kultursenator, nun kleinlaut bekennen: »Das Land Berlin steht in einem Vertragsverhältnis zu Chris Dercon, an das ich mich als Kultursenator halten werde.«
Von dem verhassten »Kulturmanager« ist zu erwarten, dass er das zutiefst provinzielle Berlin ordentlich durcheventisieren und das dummstolze Kulturhauptstadtgetröte zu neuen, ungeahnten Höhen führen wird. »Wenn’s nicht funktioniert, kann man aus dem Haus immer noch eine Badeanstalt machen«, sagte Frank Castorf, der scheidende Volksbühnen-Intendant. Wenigstens er scheint verstanden zu haben, wie linke sozialdemokratische Kulturpolitik funktioniert.
Thomas Blum