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»Scheißkanaken!«

Florian Sendtner über den Abschluss der Ermittlungen zum Münchner Amoklauf

Was antwortet man einem jungen Mann, der auf einem Parkdeck mit einer Glock 17 herumfuchtelt und dabei Scheißtürken! schreit? Der indigene Münchner Baggerführer auf seinem Balkon musste da am 22. Juli 2016 keine Zehntelsekunde überlegen: Scheißkanaken!, brüllte er zurück. Der Baggerführer war unbewaffnet, doch er traf den bewaffneten David S. mit traumwandlerischer Sicherheit mitten ins Herz. Ich bin Deutscher!, hatte David S. eben noch beteuert. Doch der Baggerführer als Vertreter des deutschen Volkes wies ihn ab: Da kann einer dreimal in München geboren sein, da kann er die Türken noch so glühend hassen, ja, er kann soeben neun Personen, die er für Türken hielt, erschossen haben – wenn seine Eltern aus dem Iran stammen, dann gilt: Kanake bleibt Kanake!

Der bizarre Dialog zwischen den beiden Münchnern war als Handyvideo auf Youtube der Renner des letzten Sommers. Nun hat die Staatsanwaltschaft München I die Ermittlungen zum Münchner Amoklauf abgeschlossen. Über 1.000 Videos wurden gesichtet, über 2.000 Zeugen befragt, das Ergebnis ist eindeutig: Es ist nicht davon auszugehen, dass die Tat politisch motiviert war.  Ja, okay, in einem Nebensatz ist davon die Rede, David S. sei
insbesondere von den Anschlägen, die Anders Breivik 2011 in Norwegen verübt hatte, fasziniert gewesen. Aber was heißt das schon, das war ja auch so ein unpolitisches Massaker. Blöder Zufall, dass von den 77 Toten 69 eingeschriebene Sozialdemokraten waren. Und dass der Münchner Amoklauf akkurat am fünften Jahrestag von Oslo und Utoya stattfand, dass David S. sogar die gleiche Tageszeit wählte, um nur ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen – die Staatsanwaltschaft München I ließ sich davon nicht beeindrucken. Genausowenig wie davon, dass David S. mit Adolf Hitler sympathisierte und mordsstolz darauf war, am gleichen Tag wie der Führer Geburtstag zu haben. Mei, wer wäre das nicht!

Man muss das verstehen. Das Land Bayern und die Stadt München arbeiten einem Jubiläum zu, das 2019 ansteht: hundert Jahre Verleugnung politischer Morde! Seit am 21. Februar 1919 der Kurt in der Promenadestraße ausrutschte, wie Ludwig Thoma die Ermordung des Sozialisten Kurt Eisner im Miesbacher Anzeiger anzuzeigen beliebte, über die Fememorde der zwanziger Jahre, die unglücklich in Dachau, Flossenburg und den Gestapo-Kellern zu Tode Gekommenen, über das Oktoberfestattentat 1980 bis zu den Münchner NSU-Morden 2001 und 2005 – es ist nun mal bayerischer Brauch, Morde von Rechtsterroristen als Unglücksfalle oder Privatangelegenheiten abzutun. Da will man sich jetzt nicht auf den letzten Metern von einem dahergelaufenen Perser aus dem Konzept bringen lassen.

Florian Sendtner

 

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