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»Wer gehört zu uns?«

»Metapolitische« Strategien sind derzeit nicht nur bei Rechten en vogue. Von Felix Klopotek    

 

Auf sonnenhelle Momente des Aufbruchs folgt ein langer Winter der Niedertracht: So könnte man ein gesellschaftliches Naturgesetz aus der Geschichte der Herrschaft formulieren. Die Phasen der Konterrevolution, der Repression, der Involution, die zuverlässig auf die Revolutionen seit der glorreichen Französischen folgten, waren stets ungleich länger, blutiger und vielleicht auch nachhaltiger als die Revolutionen selbst.

Aber man muss nicht immer gleich die Revolution herbeizitieren, das Gesetz bewährt sich auch bei kleineren Erschütterungen. Der kurze »Sommer der Migration« vor zwei Jahren wird spätestens seit den Kölner Silvester-Tumulten in der Öffentlichkeit systematisch abgewertet, neue »Angstbilder«, ein Euphemismus für Feindbild, wurden geschaffen: der unbegleitete männliche Flüchtling; wer sich im September 2015 solidarisch und hilfsbereit zeigte, wird als wirklichkeitsfremder Gutmensch abgestempelt, das Ereignis selbst, de facto nur wenige Wochen, als Resultat tiefgreifender medialer und politischer Manipulation durch »Lügenpresse« und »Volksverräter« dargestellt.

Strategisch flankiert diese mediale und diskursive Reaktion eine Politik, die längst schon wieder zu Abschottung und Zynismus übergegangen ist. Aber dieser – im Wortsinne – reaktionäre Diskurs ist mehr als nur Begleitmusik: Er zielt auf die Wiederaufrichtung metapolitischer Bestimmungen. Die sind nämlich im »Sommer der Migration« außer Kraft gesetzt worden.

Zwei, drei Schritte zurück: Metapolitik ist eigentlich ein rechter Kampfbegriff (auf Alain Badious Unternehmen einer linken Metapolitik wird im folgenden nicht eingegangen). Strenggenommen ist es kein Begriff, dazu schillert das Wort zu sehr, ist sein Gebrauch zu uneindeutig, man müsste eher von einem Opportunismus sprechen. Im rechten, neofaschistischen Verständnis meint Metapolitik zunächst »vorpolitische Räume«, also Kultur im weitesten Sinne; diese Räume gelte es zu infiltrieren, zu durchdringen im Sinne einer Kulturrevolution von rechts und mehr noch einer Bündnispolitik, die auf die Hegemonie neofaschistischer Bewegungen abzielt. Weil man sich im Vorpolitischen bewegt, kann und soll man geschickt auf politische Sprache verzichten, die verdächtige Rede vom Führer, von Imperialismus, Krieg und Ausmerzung der zu innerstaatlichen Feinden erklärten Personen und Gruppen entfällt zugunsten der vermeintlich neutralen von Identität, Heimat oder dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Autoren des Blogs von Götz Kubitscheks neurechter Zeitschrift »Sezession« demonstrieren in einem hübschen Sammelsurium, wieweit man völkischen Phrasen die Würde überzeitlicher Ausdrücke verleihen kann.

Konsequent docken die Vordenker der Metapolitik, Alain de Benoist oder Thor von Waldstein, an Überlegungen des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci aus den zwanziger und dreißiger Jahren an, der eine auf das Proletariat bezogene »reine« Klassenpolitik blockiert sah und statt dessen für eine Bündnispolitik heterogener Klassen und Schichten auf nationaler Ebene plädierte und damit – entgegen seinen Absichten – die marxistische Theorie aushöhlte und einem nationalen Bolschewismus Vorschub leistete. So gesehen wäre Metapolitik ein rein strategischer Begriff, auf den man sich als politischer Aktivist beziehen kann oder eben nicht: Man weicht in die vorpolitischen Räume aus, wenn es opportun ist. Aber so dürftig soll Metapolitik nun auch wieder nicht verstanden werden: Von ihr ist ebenso die Rede, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, die für jedes politische Handeln unhintergehbar sind, also überzeitliche, universalgesellschaftliche Härten. Man kann sie nur erkennen und nach ihnen bewusst sein Handeln ausrichten. Tut man das nicht, ist man dem Untergang geweiht, denn die metapolitischen Bestimmungen gelten auch, wenn man sie in seinem Handeln nicht bewusst reflektiert, sie schlagen dann hinterrücks zu. Man muss nicht länger um den heißen Brei herumreden: Die grundlegende metapolitische Bestimmung ist die Freund-Feind-Bestimmung Carl Schmitts. Metapolitik ist negativer Universalismus: Die Menschheit mag nichts einen – außer der Notwendigkeit, sich permanent nach dem Schema »Wer gehört zu unserer Gruppe und wer nicht« von sich selbst abzugrenzen.

Die Grenzöffnung im September 2015 war aus rechter Sicht eine metapolitische Seinsvergessenheit: Nur weil wir freundlich zu den Fremden sind, heißt das nicht, dass in dieser Situation die Freund-Feind-Bestimmung aufgehoben ist – die Quittung haben wir ja dann zwei Monate später an Silvester erhalten! Wenn wir uns nicht wehren, werden wir erobert!

Mit der Gediegenheit überzeitlicher Begriffe ist es freilich nicht weit her, Schmitt selbst ist das beste Beispiel: Vor einem durchgestalteten Rechtssystem hat sich der rechte Staatsrechtler gedrückt und seine legendären Pamphlete stets anlassbezogen formuliert. Während Hegel, der letzte große bürgerliche Rechtssystematiker, ein »evangelischer Versöhnler« war und seine Rechtsphilosophie als Klassenkompromiss konzipierte: als Darstellung der Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Versöhnung in der konstitutionellen Monarchie, ist Schmitt der »katholische Verschärfer«, der nicht mehr die historische Perspektive sieht, die widerstreitenden Tendenzen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft zu integrieren, sondern den Antagonismus in einem Freund-Feind-Schema fixiert. Schmitt lässt den Begriff der gesellschaftlichen Totalität fallen – dass Hegel so sehr auf das Absolute drängt, meint ja politisch, dass ein Horizont existiert, innerhalb dessen sich alle gesellschaftlichen Konflikte artikulieren und schließlich zur Versöhnung kommen – und ersetzt ihn durch den Kampf. Dieser Kampf ist die Antwort auf den Klassenkampf des Proletariats.

Jürgen Seifert (1928–2005), der große linke Politologe und Jurist aus Hannover, hat in seiner Schmitt-Kritik (»Theoretiker der Gegenrevolution«, 1985 in der »Kritischen Justiz« erschienen, ist online zu finden) instruktiv darauf hingewiesen, dass Schmitts Kampfbegriffe plausibel werden, meint: ihres überzeitlichen »katholischen« Gewandes entkleidet, wenn man sie konkret auf die antisozialistischen, antimarxistischen Positionen bezieht, die Schmitt in der Weimarer Republik einnahm und aus denen schließlich sein offener Faschismus folgte. Sein berühmtester Satz »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet« ist dementsprechend nicht als Definition zu verstehen, sondern als Handlungsanweisung (für den Reichspräsidenten und gegen die Gewerkschaften und Arbeiterparteien).

Die Annahme, das Freund-Feind-Verhältnis sei das politisch grundlegende, impliziert eine radikale Reduktion menschlicher Beziehungen und eine Aushöhlung des Sozialen, das eben nicht durch Freund-Feind-Dichotomien geprägt ist, sondern durch eine Vielfalt der Kooperationsformen – der Marxismus stellt deshalb die Emanzipation (von) der Arbeit in den Mittelpunkt und nicht den Totschlag eines existentiellen Feindes. Sich wie Schmitt zu dieser Reduktion und Aushöhlung zu bekennen, wenn man so will: zu dieser Selbstverstümmelung, die sich rasch als eine antifeministische und antisemitische entpuppt, ist nur möglich, wenn man sich auf den Standpunkt der herrschenden Ordnung stellt, die sich um jeden Preis gegen ihre Aufhebung, die aus dieser Perspektive nur feindlich gedacht werden kann, stemmt. Schmitts Positionen thronen mitnichten über dem tagespolitischen Gezänk: Diese Metapolitik ist ein Fake, aber ein blutiger. Mit Schmitt tritt der bürgerliche Politikdiskurs in das Stadium des Zynismus ein.

Das erweist sich erneut in der Auseinandersetzung um den »Sommer der Migration «: Er hat die ach so eherne Metapolitik tatsächlich außer Kraft gesetzt, weite Teile der Zivilgesellschaft haben, entgegen allen Erwartungen, hilfsbereit und solidarisch gegenüber Flüchtlingen und Migranten gehandelt. Dass der rassistische Konsens der BRD aufgebrochen werden kann, schien für einige Wochen greifbar. Die Einhegung sozialer Aktionen durch Metapolitik – wie sie angeblich naturnotwendig ist beziehungsweise zu sein hat – gab es de facto nicht. Noch mal Seifert gegen Schmitt: »Die reale Kraft einer sozialen Emanzipationsbewegung liegt gerade nicht in der von den wirklichen Lebensumständen abgehobenen Ebene des Politischen, sondern in der Vielzahl der Veränderungen in den konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen … Solche gesellschaftlichen Wandlungsprozesse erfassen zwar auch die politische Kultur und die politischen Institutionen; aber Politik und die ihr zugehörigen verdinglichten Grenzlinien stehen nicht im Vordergrund.« Die Faszination, die von einem Metapolitiker wie Carl Schmitt ausgeht und von der noch die Kubitscheks dieser Welt zu profitieren hoffen, besteht in der Annahme, dass er zu tiefen Einsichten gelangt sei, an die sich zum Beispiel kein Marxist herangetraut hätte. Nicht wenige Linke phantasieren von einem revolutionär gewendeten Schmittianismus. Aber tiefsinnig wollte Schmitt gar nicht sein, sondern sich dem Pöbel und den Juden entgegenstellen. Den Gefallen, Metapolitik für einen auch nur ansatzweise gediegenen und neutralen Begriff zu halten, sollte man den Rechten nicht tun.

 

Felix Klopotek hat 2016 zusammen mit Peter Scheiffele Zonen der Selbstoptimierung. Berichte aus der Leistungsgesellschaft (Matthes & Seitz) herausgegeben

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