Veronika Kracher über »Joker« von Todd Phillips
Regie: Todd Phillips; mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro; USA/Kanada 2019 (Warner Bros.); 122 Minuten; seit 10. Oktober im Kino
Ich würde gerne über »Joker« ausschließlich als Film schreiben. Er ist technisch solide, soll ein wenig eine Hommage an Martin Scorsese sein, vor allem Robert De Niro als Talkshow-Host ist eine nette Referenz auf »The King of Comedy«. Der Soundtrack ist mitreißend und Joaquin Phoenix’ Darstellung des Arthur Fleck, der davon träumt, Stand-up-Comedian zu werden, und zum Joker wird, schlicht brillant.
Es ist jedoch unmöglich, über »Joker« ausschließlich als Batman-Film, der noch düsterer sein will als Christopher Nolans Trilogie, zu schreiben. Denn die Figur des Jokers ist inzwischen in Tausenden von Memes zum Maskottchen von Alt-Right geworden, und Incels haben sogar damit gedroht, während Kinovorführungen des Films um sich zu schießen – 2012 ermordete ein Mann in Colorado während der Premiere von »The Dark Knight Returns« zwölf Menschen. Regisseur Todd Phillips, der Männerklamauk wie »Hangover« verantwortet, jammert derweil darüber, dass die politisch korrekte »Woke Culture« Comedy ruiniert habe, weshalb er sich mit »Joker« dem Drama zugewandt habe.
Doch Filme reproduzieren nun mal Ideologie und rufen im Publikum bestimmte Emotionen hervor. Wir kommen nicht an der Frage vorbei, wieso gerade der Joker zum Idol einer Online-Armada gekränkter junger Männer aufgestiegen ist und unzählige Bildchen mit Sprüchen wie »Wenn der nette Typ zu oft abgelehnt wird, zeigt der Teufel sein Gesicht« ziert und wie die Kulturindustrie dieses Bild bedient.
Die Figur verkörpert das wahnhafte Böse, den ultimativen, beliebig zuschlagenden Terror, den Nihilisten, für den der Tod anderer nichts ist als ein Jux. In Phillips’ Film ist der Joker ein von klein auf misshandelter psychisch Kranker, der zusammen mit seiner labilen Mutter in einem heruntergekommenen Apartment lebt und als Agentur-Clown arbeitet. Er führt Tagebuch, in das er Bilder nackter Frauen klebt und selbstmitleidige Lamentos schreibt, die direkt aus einem Incel-Forum stammen könnten.
Zu Beginn der »potentially toxic« (»Indiewire«) Comicverfilmung wird Arthur verprügelt. Er verliert seinen Job. Das Umfeld reagiert irritiert und angeekelt auf seine Krankheit: Er lacht immer, selbst wenn ihm mitnichten danach zumute ist. Seine Sozialberatung und seine Medikation werden gestrichen; Schuld daran ist Batmans Vater Thomas Wayne. Man soll Mitleid mit dem Joker haben, und dank Phoenix, dessen abgemagerter, zuckender, tanzender Körper im Mittelpunkt des Films steht, hat man das auch. Als ihn drei Yuppies in der U-Bahn belästigen, erschießt er sie: sein Moment der Selbstermächtigung. Kurze Zeit später rennen Leute mit Clownsmasken und Schildern, auf denen »Kill the Rich« und »Thomas Wayne = Fascist« steht, durch Gotham City – Proteste, die so inhaltsleer sind wie der Film selbst.
Irgendwo hat der sich nicht ernstgenommen fühlende Mann, der seine Nachbarin stalkt, doch recht, suggeriert der Film. Denn die ungleiche Verteilung von Reichtum ist nicht gut. Aber bitte nicht die Verhältnisse umwerfen! Das wäre zu radikal. Der Joker sucht das Heil in der Vernichtung anderer, und es scheint irgendwie legitim, sich für erfahrene Kränkungen mit Gewalt zu rächen. Habt Verständnis für die wütenden weißen Männer, die mit erschreckender Regelmäßigkeit um sich schießen, schreit uns Phillips entgegen. Es ist nicht verwunderlich, dass der Film schon jetzt das Must-See wütender junger Männer ist. Hätte Phillips doch lieber »Hangover 4« gedreht.
Veronika Kracher