Eine Katastrophengeschichte: Rückblick auf die Leistungen der Treuhandanstalt.
Von Johannes Creutzer
Die wenigsten von denen, die 1989 auf der bröckelnden Mauer hockten und ihre Freudentränen angesichts von Reise- und Konsumfreiheit in westdeutsche Fernsehkameras schütteten, verschwendeten auch nur einen Gedanken an Eigentumsverhältnisse. Auf der anderen Seite der Grenze aber, da, wo die Menschen wussten, worum es im Kapitalismus geht, nutzten viele, kaum dass die Grenzen offen waren, ihre Chance: Jene Westbürger, die die DDR enteignet und ihre Betriebe oder Höfe zu Volkseigentum vergemeinschaftet hatte, machten sich in Scharen auf, um nach ihrem verlorenen Grund und Boden zu schauen. Einige forderten umgehend von der neuen Allparteienregierung der DDR, die als sogenannte Regierung der nationalen Verantwortung von Hans Modrow geführt wurde, ihr vorgebliches Eigentum zurück.
Modrow und andere, etwa die Bürgerbewegung »Demokratie Jetzt«, hofften, nun endlich in der DDR einen »demokratischen Sozialismus« einführen zu können, und dafür musste das volkseigene Vermögen zusammengehalten werden. Außerdem war eine glatte Rückgabe des enteigneten Besitzes gar nicht möglich: Einfamilienhäuser gehörten längst neuen Besitzern (Privateigentum gab es auch in der DDR), und auf einigen enteigneten Ackerflächen waren längst ganze Plattenbausiedlungen entstanden – genossenschaftlich billig vermietet und mit nach DDR-Recht vererbbarem Mietverhältnis.
»Demokratie Jetzt« schlug eine »Treuhandgesellschaft zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR« vor. Dabei sollten Anteilsscheine an alle DDR-Bürger ausgegeben werden, womit diese quasi zu Aktionären von einzelnen Betrieben (nach freier Wahl) würden. Ähnliche sogenannte Coupon-Privatisierungen wurden später unter anderem in Polen und der Tschechoslowakei durchgeführt – unterschiedlich erfolgreich. Die Regierung Modrow gründete im März 1990 nach ebendiesem Vorbild eine Treuhandanstalt mit Peter Moreth als erstem Präsidenten.
Doch die erste Volkskammerwahl gute zwei Wochen später demonstrierte den Vertretern eines demokratischen Sozialismus die Risiken der Demokratie: Der Volkswille wollte die CDU, die machte Lothar de Maizière zum Ministerpräsidenten und setzte den Kurs auf Wiedervereinigung, natürlich Richtung Westen. Die Verhandlungen waren kurz, denn wer zahlt, bestimmt auch, und die deutsche Einheit war von Anfang an eine westdeutsche Übernahme.
Eines musste de Maizière vor der Wiedervereinigung allerdings erledigen: die Neuausrichtung der bereits bestehenden Treuhand. Nicht mehr Wahrung, sondern Privatisierung des Volkseigentums sollte nun das Ziel sein. Dazu beschloss die Volkskammer im Juni 1990 das »Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens«, nach dem der Treuhand direkt rund 8.500 volkseigene Betriebe (VEB) und damit etwa vier Millionen Beschäftigte unterstellt wurden. Peter Moreth sprach sich noch einmal für das Coupon-Modell aus, erhielt aber statt dessen die Kündigung. Der ehemalige Präsident der Deutschen Bahn, Rainer Maria Gohlke aus Westdeutschland, trat seine Nachfolge an. Ihm folgten weitere Westdeutsche in alle Führungspositionen der Treuhandanstalt, obwohl die zu diesem Zeitpunkt immer noch eine Institution der DDR war. Die Besetzung wichtiger Positionen mit »Experten für Marktwirtschaft« war Teil des Fahrplans der Wiedervereinigung, wie ihn Bundeskanzler Helmut Kohl und Finanzminister Theo Waigel vorgaben.
Die Einführung der westdeutschen D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 war nicht nur verfrüht, sondern auch absehbar verfehlt. Vermögen der DDR-Bürger wurde bis zu bestimmten Höchstwerten (gestaffelt nach Altersklassen, maximal 2.000 Mark bei Kindern, 4.000 Mark bei Erwachsenen und 6.000 Mark für Rentner) 1:1 umgetauscht, alles darüber liegende und sämtliche Schulden im Verhältnis 2:1. Löhne, Mieten und alle anderen wiederkehrenden Zahlungen verwandelten sich 1:1 in D-Mark, was einer Aufwertung der Ostmark um mindestens den Faktor drei entsprach. Ohne Vorbereitung mussten die VEB nun ihre Beschäftigten in D-Mark bezahlen, wodurch sich die Lohnstückkosten für westexportorientierte VEB wiederum mindestens verdreifachten und der Export in die sozialistischen Brüderländer gänzlich zum Erliegen kam, denn die konnten 1990 nicht in Westdevisen zahlen.
Absehbar, aber anscheinend für die Politik überraschend, brachen die heimischen Absatzmärkte zusammen: zum einen, weil die DDR-Bürger mit ihrer langersehnten D-Mark Westprodukte kaufen wollten, und zum anderen, weil überall in der DDR westdeutsche Supermarktketten Filialen eröffneten, die bereits Verträge mit ihren Zulieferern aus dem Westen und kein Interesse an Kooperationen mit den Ostbetrieben hatten.
Die ostdeutsche Wirtschaft schwächelte nicht erst nach dem Mauerfall: Die Vollbeschäftigung während der SED-Herrschaft war kein Indikator für die wirtschaftliche Kompetenz der regierenden Genossen, sondern ideologische Notwendigkeit, die, zumindest teilweise, nur durch die Simulation von Arbeit zu gewährleisten war. Folglich war die Produktivität der VEB deutlich niedriger als die der kapitalistischen Unternehmen, zu deren Konkurrenten sie nun wurden. Nur etwa ein Drittel der ostdeutschen Betriebe arbeitete 1989 rentabel, der überwiegende Bestand des Volkseigentums war veraltet, die DDR spätestens seit Anfang der achtziger Jahre so gut wie bankrott; ihr blieb nur, weiterhin Fortschritts- und Produktivitätspropaganda zu betreiben. Dass die DDR ausgerechnet darin überzeugende Arbeit leistete und westdeutsche Privatisierer effizient hinters Licht führte, ist mindestens zweifelhaft. Die Wirtschafts- und Währungsunion war wohl eher der Preis, den Kohl und die Seinen zu zahlen bereit waren, für Absatzmärkte, ostdeutsches CDU-Wahlvieh und den ewigwährenden Titel »Kanzler der Einheit«.
Es ist kaum möglich, den Wert des Volkseigentums vor der Privatisierung zu schätzen. Zahlen zwischen 150 und 650 Milliarden DM machten die Runde, darin enthalten sind neben den VEB auch ungefähr 2,4 Millionen Hektar land- und forstwirtschaftliche Flächen. Sicher ist nur, dass am Ende ein Minus vor der Zahl stand. Nichts Genaues, was nicht offensichtlich geschönt ist, wird veröffentlicht, aber Robert Kurz ging schon in konkret 12/92 von einer negativen Summe im Billionenbereich aus.
Wie konnte es soweit kommen? Als der nicht sonderliche Erfolg der Währungsunion absehbar wurde, musste Gohlke seinen Treuhand-Chefsessel noch im Sommer 1990 räumen, zugunsten des »Managers des Jahres 1983«, dem als großen Sanierer bekannten Detlev Rohwedder. Dessen Führung brachte zwar die Treuhand kein bisschen voran, ihm selbst aber die Auszeichnung »Manager des Jahres 1990«. Letztlich ist es kaum verwunderlich, dass niemand die geschätzten Werte für die ehemaligen VEB zahlen wollte: Der lautstark angekündigte Ausverkauf einer ganzen Volkswirtschaft – schön in Scheibchen geschnitten, aber unter Zeitdruck – führt nun mal zu Preisverfall dank Angebotsüberschuss. So regelt das der Markt.
Am 3. Oktober 1990 fand der Rentabilitätsverlust der ehemaligen VEB durch die hohen D-Mark-Lohnkosten sein jähes Ende: Mit der DDR endeten die Bestandsgarantien der Arbeitsplätze, die Ostdeutschen kamen in den Genuss einer besonderen kapitalistischen Wohltat: Entlassungen und Arbeitslosigkeit.
Nur wenige ostdeutsche Betriebe fanden schnell Käufer. Diese kamen aus dem Westen und wollten nur Filetstücke oder tätigten strategische Käufe, um mögliche Konkurrenten auszuschalten. Kleiner ist feiner und macht den Betriebsräten das Leben schwer, dachte die Treuhand und zerstückelte die 8.500 VEB in über 14.000 westmundgerechte Betriebe.
Rohwedder machte seinem Titel zwar bei wenigen aussichtsreichen Betrieben durchaus Ehre, konnte sich aber nicht dazu durchringen, Betriebe auch an Ostdeutsche zu verkaufen. Denn woher sollte ein unterdrückter Ostdeutscher das Geld haben, Betriebe zu erwerben? Das konnten nur ehemalige Nutznießer der SED-Herrschaft sein. Er hegte zudem den Verdacht, dass die vormalig Herrschenden in den letzten Tagen der DDR in einigen Betrieben ehemaliges Vermögen der SED oder des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) parkten, um es sich bei der Privatisierung ebendieser Betriebe wieder anzueignen. Neben dem Hass der überflüssig gewordenen Werktätigen zog Rohwedder sich so auch den der ehemaligen Eliten zu.
Statt der Auszeichnung zum Arschloch des Jahres 1991 erhielten er und seine Treuhand am Karfreitag 1991 die Rechnung in Form eines Sprengstoffanschlags auf eine Berliner Zweigstelle der Treuhand. Der Diebstahl von Akten legte den Verdacht nahe, dass er von ehemaligen MfS-Mitarbeitern verübt wurde. Ein Bekennerschreiben der zuvor noch nicht in Erscheinung getretenen Gruppe »Thomas Müntzers wilder Haufen«, das explizit Verbindungen zum MfS verneint, wies in eine andere Richtung. Am folgenden Ostermontag wurde Rohwedder in seiner Düsseldorfer Villa erschossen. Ob der Schütze, wie es ein Bekennerschreiben am Tatort behauptete, Mitglied der RAF war oder, wie seine Witwe und viele andere glauben, ehemaliger Mitarbeiter des MfS mit Scharfschützenausbildung, konnte nie offiziell aufgeklärt werden.
Nach Rohwedders Ermordung übernahm Birgit Breuel, ehemalige Wirtschaftsministerin Niedersachsens, die Leitung der Treuhand und leitete die große Serie der Liquidationen und Privatisierungen ein. Bis 1992 hatten mehr als die Hälfte der von der Treuhand übernommenen Beschäftigten ihre Arbeit verloren. Die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland betrug zu diesem Zeitpunkt 14,2 Prozent. Ohne Rohwedders Bedenken standen die ehemaligen VEB nun jedem Deutschen, ob Ost oder West, zum Kauf, häufig für die symbolische eine D-Mark, zur Verfügung. Fördermittel in Millionenhöhe gab es dazu, die zogen windige Geschäftemacher, Hochstapler sowie Trickbetrüger magnetisch an.
In einem der aufsehenerregendsten Fälle wurde der ehemalige VEB Wärmeanlagenbau Berlin (WBB) für eine Million DM an eine Schweizer Briefkastenfirma verkauft, obwohl der tatsächliche WBB-Wert mindestens 70 Millionen DM (allein schon an Grundstücken) betrug. Der Käufer entzog der ehemaligen WBB durch Aushöhlung und Verkauf ihrer Grundstücke 150 Millionen DM, mit denen er sich in die USA abgesetzte. Die WBB meldete mit 100 Millionen DM Schulden Konkurs an. Der Flüchtige wurde 2009 zwar ausgeliefert, das Verfahren wegen Verjährung jedoch eingestellt.
Anderer Fall, ähnliches Muster: Gegen den Widerstand von Gewerkschaften und Landespolitik kaufte die Vulkan AG aus Bremen die Werften Mecklenburg-Vorpommerns auf. Mecklenburg-Vorpommerns damaliger Ministerpräsident Alfred Gomolka ging von Anfang an davon aus, dass die Vulkan AG nur ihre Konkurrenz im Osten ausschalten wollte, aber die Bremer gingen noch einen Schritt weiter: Sie steckten circa 700 Millionen DM Fördergelder der EU, die für die ostdeutschen Werften bestimmt waren, in die Sanierung des bremischen Stammbetriebs.
Auch innerhalb der Treuhandanstalt gab es interessante Vorfälle. Verschiedene Westunternehmen schickten »Experten« zur Treuhand, die dann sicherstellten, dass ihre Unternehmen die leckersten Brocken aus dem ehemaligen Volksvermögen bekommen, und zwar zum niedrigsten Preis. Denn den bestimmten diese Abgesandten mit ihrer Expertise selbst. Solches Vorgehen war zum größten Teil nicht strafbar und wurde auch nicht verfolgt, um »der Komplexität und Einmaligkeit der Aufgaben« gerecht zu werden. Insgesamt verursachte die sogenannte Vereinigungskriminalität, die auch verschwundenes Vermögen von SED und MfS einschließt, Schäden von offiziell rund 26 Milliarden DM, wobei die realen Zahlen deutlich höher liegen dürften.
Positive Beispiele für die Privatisierung durch die Treuhandanstalt gibt es wenige (und nur innerhalb eines westdeutschen, kapitalistischen D-Mark-Transformationsrahmens). Eines davon ist die Rotkäppchen-Sektkellerei. Zwar brach auch diesem Marktführer der DDR nach der Währungsunion, als das feierliche Anstoßen auf die Wende längst vorbei war, der Umsatz ein; die Treuhand war schon kurz davor, den Betrieb an irgendeinen westdeutschen Konkurrenten zu verkaufen. Doch die Belegschaft wehrte sich und konnte letztlich Sanierungen und einen sogenannten Management-Buy-out durchsetzen. Vier leitende Mitarbeiter übernahmen den Betrieb, und heute ist Rotkäppchen wieder Markführer – jetzt in ganz Deutschland.
Im »Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands« tauchte eine mögliche Beteiligung der DDR-Bürger an den Erlösen aus der Privatisierung ihres Volkseigentums zwar noch auf, aber nur als »Kann«-Formulierung, und bei der blieb es auch. Im Dezember 1994 erklärte die Treuhandanstalt ihre Arbeit offiziell für beendet. Die Behörde gibt es zwar immer noch, aber seit Januar 1995 heißt sie »Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben« und kümmert sich nur noch um Restposten, wie beispielsweise privatisierte Betriebe, die vertragsbedingt nach einem Konkurs in den Staatsbesitz zurückfallen. Der große Erfolg, als den Brigit Breuel Ende 1994 die Bilanz der Treuhand verkaufte, ist eine ostdeutsche Katastrophe: 53 Prozent der Betriebe (nach der Zerstückelung großer VEB) privatisiert, zwei Prozent an Kommunen übergeben (z.B. Kindergärten), 13 Prozent zurück an vormalig Enteignete und 32 Prozent direkt geschlossen. Von den anfangs vier Millionen Arbeitsplätzen blieben offiziell 1,5 Millionen übrig – vermutlich noch weniger, da im Einheitstrara auf eine einheitliche Erfassung von Entlassungen bei bereits privatisierten Betrieben verzichtet wurde.
Von den privatisierten Betrieben gingen nur fünf Prozent an ehemalige DDR-Bürger, hingegen rund 80 Prozent an Unternehmen oder Investoren aus Westdeutschland. Das wirkt bis heute nach. Von den 500 größten Unternehmen Deutschlands haben nur 36 ihren Stammsitz in Ostdeutschland. Entsprechend niedrig sind die Steuereinnahmen der ostdeutschen im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern. Gerade deshalb ist der – im Westen so verhasste – Solidaritätszuschlag so wichtig für Ostdeutschland. Nun wird er wohl Ende 2020 abgeschafft.
Johannes Creutzer schrieb in konkret 10/19 über die (Un-)Möglichkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens