Warum Hans Joachim Mendig von Hessenfilm gehen musste und es weitergeht wie gehabt.
Von Lars Henrik Gass
Der den Stein des Anstoßes darstellte, versetzte den letzten Stoß. Am Tag der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrats der Hessenfilm und Medien GmbH am 24. September, die mit der Abberufung des Geschäftsführers Hans Joachim Mendig endete, äußerte sich AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen, der sich nach eigener Aussage vom 25. Juli auf Instagram mit Mendig sowie dem PR-Berater Moritz Hunzinger zum »angeregten und konstruktiven politischen Gedankenaustausch« getroffen hatte, doch noch zur Causa: »Im Juli traf ich mich auf Einladung von Moritz Hunzinger mit ihm und dem mit ihm befreundeten Hans Joachim Mendig in einem Frankfurter Restaurant zum Mittagessen … Später habe ich von diesem Treffen (nach zuvor eingeholter, ausdrücklicher Zustimmung der beiden Herren) ein Foto von diesem Treffen auf meinem Instagram-Account gepostet.« Damit war’s vorbei mit dem privaten Charakter einer Unterredung.
Dass der Mann von seinem Posten musste, war schneller klar, als sich diejenigen, die mit der im Internet verbreiteten Erklärung vom 15. September den unaufhaltsamen Prozess der Demission in Gang gebracht haben, ausgemalt hatten. Sehr schnell verstanden auch die politischen Entscheidungsträger, dass sie angesichts von Hunderten, teils nam-haften Unterschriften der Erklärung, die Mendigs Rücktritt forderte, keine Wahl hatten. Auch dem Mann selbst war es klar, der sich bis zum Ende nicht zur Sache erklärt hat, dessen hartnäckiges Schweigen am Anfang Arroganz der Macht, die auf diesen Posten offenbar notwendige Qualifikation, gewesen sein mag, dann Sturheit, schließlich die Gewissheit, dass für ihn die Schlacht verloren war, also mit keinem Wort hier noch etwas zu gewinnen war, außer einen Rauswurf mit Bezügen, der bei einem freiwilligen Rückzug oder einer relativierenden Erklärung, die eine einstimmige Abberufung wahrscheinlich verhindert hätte, verspielt gewesen wären. Bis zu dieser Causa hatte kaum einer den Geschäftsführer der Hessenfilm gekannt oder von der Existenz einer hessischen Filmförderung gewusst, außer denen, die von diesen auf Gedeih und Verderb abhängig sind.
Der Fraktionsvorsitzende der hessischen AfD, Robert Lambrou, hielt wie seine Parteigenossen noch nach Mendigs Abberufung am Märchen vom rein privaten Charakter des Treffens fest. Auch Kommentatoren großer Tageszeitungen sprangen Men-dig bei und bezeichneten ihn als »Opfer«(politischer »Instrumentalisierung« durch Meuthen sowie »alter Rechnungen« des politischen Gegners), während Meuthen selbst von »Stasi-Methoden der Zersetzung« sprach. Erst Dolchstoßlegenden machen Opfer. Hunzinger erweist in seinem Leserkommentar auf »Taz online« vom 19. September dem Freund einen Bärendienst: »Die (linke) Kritik an diesem Treffen ist natürlich völlig überzogen – und überwiegend erschreckend undemokratisch. Der Zuspruch allerdings ist enorm … Nicht auszudenken, er hätte sich mit dem seit Jahrzehnten belasteten Gysi oder mit Wagenknecht getroffen.«
Auch Hunzinger steht rechts von einem wertkonservativen Spektrum. Auf der Facebook-Seite seines CDU-Parteifreunds Matthias Zimmer schrieb er kürzlich: »Mit Kohl gäbe es diese scheußliche Masseneinwanderung von Wilden hierzulande nicht.« Das war zwar kurz ein Aufreger, sorgte bislang aber für kein Parteiausschlussverfahren. Mendig und Hunzinger verbringen ihre Freizeit offenbar häufiger öffentlich. »Bild« meldete 2014 unter der Überschrift »Vom Hunzinger zum Panzinger!«: »PR-Professor Dr. h.c. Moritz Hunzinger (55) im Militär-Rausch – 8 Tage mit seinem guten Freund Hans Joachim Mendig auf dem Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide. Hunzinger nahm dort an der diesjährigen Wehrübung für zivile Führungskräfte im Ausbildungszentrum der Panzertruppen teil.« Und war begeistert: »Super Kameradschaft … Jochen und ich wurden zum Oberleutnant der Panzertruppe d. R. ernannt. Eine herrliche Erfahrung.«
Auch das Foto mit Meuthen ist ein politisches Statement. Politisch wurde das dem Anschein nach Private durch die Verwendung auf Instagram, die alle Akteure billigten und beförderten. Schwer vorstellbar, dass Mendig sich hier im Streitgespräch befand oder dass er den Wertmaßstäben dieser Leute nicht so nahesteht, wie das Foto und sein Schweigen nahelegen.
Das Recht auf freie Meinungsartikula-tion ist die Plattform, auf der auch Vertreter der AfD antidemokratische und irrationale Meinungen auftischen und von der sie gleichzeitig behaupten, sie verbiete die Verbreitung solcher Einlassungen. Ziel des rechten Diskurses ist es, sich selbst als Opfer zu inszenieren, also Aufklärung ins Leere laufen zu lassen.
Gleichwohl erhält die AfD in den Medien mehr Aufmerksamkeit, als ihrem neuerdings parlamentarischen Status gebührt. Das ZDF hat das Video vom gescheiterten Interview mit dem thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke selbstherrlich ins Netz gestellt und damit die Agenda der AfD bestätigt, dass Demokratie scheitere, weil sie die irrationalen Kräfte nicht integrieren kann und zugleich den hanebüchenen Einlassungen breiten Raum gewährt. Gerade das Fernsehen hat eine anspruchsvolle Berichterstattung über Gesellschaft und Kultur zunehmend skandalistischen Effekten geopfert und genau jene gesellschaftliche Teilhabe an fortgeschrittenem demokratischen Bewusstsein beschädigt, die irrationale Tendenzen erfolgreich bekämpfen könnte.
Erst die kulturpolitische Entwicklung der letzten 20 Jahre, die von der Abwicklung der unabhängigen Filmförderung in Deutschland eingeleitet wurde und eine Diktatur des Mittelmaßes übrigließ, hat ein System mitproduziert, das Leute wie Mendig in Leitungspositionen spülen konnte: Durchregierer, Sanierer und Technokraten, die Filmförderung als Mittel zum Zweck ansehen. Die Abwicklung der Filmkultur liegt genau auf Linie der AfD, deren kulturpolitischer Sprecher, Marc Jongen, zur Bilanz des Deutschen Filmförderfonds 2017 so Stellung nahm: »So manche geförderte Filmproduktion krankt an einer Überdosis politisch korrekter Gesellschaftskritik, um die das Publikum lieber einen Bogen macht.« Zentraler Anspruch deutscher Filmförderung müsse es sein, dass die Filme nicht nur »politisch korrekte« Jurys befriedigen. Vonnöten sei eine »ideologische Entschlackungskur«. Es könne nicht angehen, dass ein als »Experimentalfilm getarnter Kryptoporno« den Goldenen Bären gewinne, und das »mit deutschem Steuergeld«, so Jongen an anderer Stelle.
Mittlerweile wurde, ohne dass dies je besondere Aufmerksamkeit erfahren hätte, die Filmförderung der Länder überall Strukturen übergeben, die von quotengetriebenen Fernsehsendern dominiert sind, die wiederum umstandslos die Geschäftsführer ebenjener Filmförderinstitutionen inthronisieren (Mendig war ehemals Programmverantwortlicher beim Hessischen Rundfunk). Diese müssen zweierlei liefern: Zahlen und politische Repräsentationsmöglichkeiten. Hier geht es eher um kurzfristige Legitimation als um langfristige Investition. So wurde aus Kulturförderung, die Filmförderung einmal war und sein sollte, Repräsentationskultur und Wirtschaftsförderung.
Das ist in Hessen nicht anders. Sowohl die Kleine Anfrage der SPD im Landtag als auch die betreffende Antwort der Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn (Grüne), vom 2. Juli, sehen den Auftrag von Hessenfilm darin, vermehrt Pro-duktionen »nach Hessen zu holen«, also in »Standortmarketing«. Auf die Gründung einer zentralen Filmfördereinrichtung in Hessen und damit auf die Abwicklung der kulturellen Filmförderung hatten sich CDU und Grüne schon mit dem Koalitionsvertrag im Dezember 2013 geeinigt. Der Zweck von Filmförderung war aber nicht, den Markt zu ersetzen, sondern künstlerische Qualität gegenüber dem Markt zu behaupten. »Wirtschaftlich« wurde der deutsche Film mit der Abwicklung von Filmkultur jedenfalls nicht.
Die Personalie Mendig war von Anfang an umstritten. Nach Ansicht des damals verantwortlichen Ministers Boris Rhein (CDU) qualifizierte Mendig seine Verantwortung für Fernsehserien wie »SK Kölsch« oder »Die Kommissarin« und Kinoproduktionen wie »Emil und die Detektive«. Ausschlaggebend für die Entscheidung für Mendig sei aber laut der Initiative Hessenfilm, bestehend aus den Verbänden AG Dok, Film- und Kinobüro Hessen, Vereinigung der Hessischen Filmwirtschaft und Filmhaus Frankfurt, »die ministerielle Mehrheit, insbesondere Herr Minister Boris Rhein mit seiner dritten und entscheidenden Stimme« gewesen. Es habe »keine gemeinsame Diskussion um die Qualität der Kandidaten und keine Abstimmung« stattgefunden. Die Behauptung des hessischen Wissenschaftsministeriums, die Berufung sei »einvernehmlich« geschehen, sei unzutreffend. Die Vermutungen persönlicher Beweggründe wollten nicht verstummen und waren auch Gegenstand einer Kleinen Anfrage der Linken im Juli 2015: »Kann aus-
geschlossen werden, dass etwaige persönliche Verbindungen des Kultusministers Boris Rhein bei der Auswahlentscheidung eine Rolle spielten?« Antwort: »Ja, es gibt keine persönlichen Verbindungen des Ministers für Wissenschaft und Kunst zum Bewerber M.« Rhein war übrigens in seiner Zeit als Vorsitzender des Rechtsausschusses des Hessischen Landtages in der sogenannten Flow-Tex-Affäre der Anwalt Hunzingers, der dem ehemaligen baden-württembergischen Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) eine Parteispende hatte zukommen lassen. Das Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt.
Dass Mendig nicht zu halten war, liegt auf der Hand. Die Vertrautheit mit einem Politiker und einem PR-Berater vom rechten Rand störte den Photocall auf dem roten Teppich. Mit so einem konnte man sich nicht mehr zeigen. Im Sog der Solidaritätskette wollte kaum einer auf der falschen Seite zurückstehen. Die Mobilisierung gibt Anlass zur Hoffnung, zugleich hat sie vom Problem, das behoben werden müsste und im System liegt, abgelenkt. Die Erklärung vom 15. September hat auch dafür gesorgt, dass alles weitergehen kann wie gehabt in einem System, in dem übermäßiges Kunstverständnis schädlich und Mitschwimmen im Strom der Filmförderverwaltung nötig ist. Für die Forderung, eine wirklich unabhängige kulturelle Filmförderung in den Bundesländern einzusetzen, die ihre Kulturhoheit gegen-über dem Bund ausüben muss, damit zum Beispiel aus den weit über elf Millionen Euro, die allein Hessen für die Förderung einsetzt, bessere, mutigere und vielleicht auch erfolgreichere Filme entstehen, wäre kaum eine Sammlungsbewegung zu organisieren gewesen.
Lars Henrik Gass ist Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen und gehört zu den Initiatoren der Erklärung vom 15. September