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Die Papperlapapp-Papers

Football Leaks, Cum-Ex- und Implant-Files: 2018 feierten sich wieder einmal diverse Investigativabteilungen der Medien für ihre Enthüllungen – zu Unrecht.

Von Kay Sokolowsky

Journalismus, das steckt schon im Wort, ist ein Tagesgeschäft. Fast nichts von dem, was Journalisten schreiben, überdauert die Nacht, und es gibt weiterhin Fischhändler, die ihre Ware in die Zeitung von gestern wickeln. Mit dem Internet hat sich die Mindesthaltbarkeit einer Meldung noch verkürzt: Eine Aufmachernachricht, die nicht oft genug angeklickt wird, verschwindet schneller in der Online-Gruft eines News-Portals, als sie geschrieben wurde. Einem Publikum ausgesetzt, dessen Aufmerksamkeitsspanne Facebook und Twitter auf ein Augenzwinkern reduziert haben, mussten die Redaktionen die Schlagzahl, mit der sie Schlagzeilen raushauen, exzessiv erhöhen. So sorgen die Redakteure selbst dafür, dass Geschichten, die es verdient hätten, gelesen zu werden, in einem Meer aus Belanglosigkeiten, Klatsch und Gerüchten versinken. Schier verzweifelt füttern sie einen unersättlichen Moloch, der ihnen zum Dank für all die Mühe anschließend bloß mitteilt, er habe sie satt.

Gegen die ökonomische und moralische Krise des Pressewesens, so wurde und wird es beschworen, helfe allein Besinnung auf die hehren Werte des Gewerbes – Unbestechlichkeit, Objektivität, Recherche und Faktentreue. Die Kundschaft, die einem nicht mehr über den Weg traut beziehungsweise wegläuft, sei nur zurückzugewinnen, wenn sie den Journalismus wieder als »vierte Gewalt« wahrnehme, als das Korrektiv der anderen, der echten Gewalten. Nichts weniger als die Wahrheit gelte es zu retten im Kampf gegen die »Lügenpresse«-Schreihälse; nur »Qualitätsmedien« mit »Qualitätsjournalisten« stünden zwischen Demokratie und Barbarei.

All den Sonntagsreden folgten ausnahmsweise Taten. Jede Redaktion, die etwas auf sich hielt, gründete ein Ressort für Investigation, und natürlich fiel keinem der Verantwortlichen auf, dass sie sich selbst damit ein Armutszeugnis ausstellten. Investigativ, das heißt, untersuchend, nachforschend, sollte nämlich jeder Bericht sein, in dem es um mehr als das Wetter von heute oder die Fußballergebnisse von gestern geht. Für solche Gründlichkeit mangelt es allerdings an Zeit, Personal und Ressourcen. Die Kompetenz, die in der neuen Abteilung »gebündelt« werden soll, verweist zugleich auf den Mangel, der im Rest des Hauses herrscht.

Weil auch bei den Investigativen Geld und fähige Leute knapp sind, haben viele dieser Ressorts sich inzwischen mit Rivalen verbündet und Netzwerken angeschlossen, die über berufliche Eifersucht und staatliche Grenzen hinweg herausfinden wollen, was im Verborgenen passiert. Die auffälligste Organisation dieser Art in Deutschland ist der Rechercheverbund NDR, WDR und »Süddeutsche Zeitung«. Im Februar 2014 gegründet und vom ehemaligen »Spiegel«-Chef Georg Mascolo repräsentiert, soll die Kooperative den beteiligten Ressorts ihre Autonomie belassen: Es handele sich, teilt der NDR auf seiner Website mit, »um eine freiwillige, anlass- und themenbezogene Zusammenarbeit. NDR, WDR und ›SZ‹ behalten jeweils die volle finanzielle, redaktionelle und personelle Verantwortung, gemeinsame Etats gibt es nicht.«

Das Bündnis der öffentlich-rechtlichen Anstalten mit einer Tageszeitung in Privatbesitz haben Teile der Konkurrenz skeptisch beäugt. Der Verband Privater Rundfunk- und Telemedien (VPRT) beklagte eine »intransparente, unzulässige Quersubventionierung« der »SZ« durch Gelder aus dem Rundfunkbeitrag. Hier sei ein »Zitierkartell« entstanden, das der »Süddeutschen« einen »geldwerten Werbeeffekt« verschaffe. Im März 2015 reichte der VPRT eine Rechtsaufsichtsbeschwerde gegen den Rechercheverbund ein, die allerdings nur eine Folge hatte: Der WDR passte seine Kooperationsrichtlinien kurzerhand den Erfordernissen des Rechercheverbunds an.

Die Zeitungsverleger hingegen verhielten sich erstaunlich still. Nur Jakob Augstein, Eigentümer des »Freitag«, äußerte seine »Sorge vor einer Infektion des freien Pressewesens mit Mechanismen des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks«. Das mochte freilich daran gelegen haben, dass der Seuchenexperte kurz zuvor abgeblitzt war, als er mit seinem Blatt im Bunde der vierte werden wollte. Kollaborationen der Verlage mit den Anstalten des öffentlichen Rechts sind seit vielen Jahren etabliert – weshalb zum Beispiel das größte Drecksblatt Europas mit seiner Spendenrevue »Ein Herz für Kinder« einen festen Sendeplatz beim ZDF hat –, und auf die rasant schwindende Bedeutung der etablierten Medien wissen die Verantwortlichen sowieso keine klügere Reaktion als ein Zusammenrücken Arsch an Arsch.

Dass damit ebenjenen Kräften in die Hände gespielt wird, die über »Systemmedien« und »linksgrün versifften Einheitsbrei« hetzen, scheint man in den Chefetagen nicht mal zu ahnen. Verschwörungsspinnern von links und rechts dürfte es überdies bestens ins Bild passen, dass Georg Mascolo nicht nur Mitglied der Atlantikbrücke, sondern auch der »Core Group« der Münchner Sicherheitskonferenz ist. Tatsächlich hat es etwas Absurdes und Peinliches, wenn der Sprecher eines Enthüllungsnetzwerks derartige Partnerschaften mit inneren Zirkeln der Macht pflegt und seine Auftraggeber den Widerspruch nicht mal erkennen. Ob nun die »Scoops« des Rechercheverbunds wegen Mascolo oder aus blanker Unfähigkeit der Rechercheure so überhaupt nicht sensationell wirken, kann das Publikum einstweilen nur vermuten. So, wie sich bloß raten lässt, nach welchen Kriterien der Verbund seine Themen auswählt und wieso die Analyse der durchgestochenen Daten stets davor zurückscheut, den vermeintlichen Skandal als den Normalfall unserer Gesellschaft zu erkennen und zu benennen.

Jedenfalls haben die drei dicksten Brocken, die der Rechercheverbund ausgrub und servierte – »Lux-Leaks«, »Panama Papers« und »Paradise Papers« –, niemanden sonderlich überrascht oder zu ernsthaften politischen Konsequenzen geführt. Weder an der Gesetzgebung noch am öffentlichen Umgang mit den Entlarvten hat sich irgendwas geändert. Und wie auch? Sogar der verknackte Steuerbetrüger Uli Hoeneß sitzt, unterm Jubel seiner Spezis wiedergewählt, wieder auf demselben Posten, den sein Betrug ihn vormals kostete, und auch die »Football Leaks« schadeten seinem Verein kaum. Wenn etwas die Bürger der Bundesrepublik ganz bestimmt nicht aufregt, dann ist es das Bescheißen des Finanzamts; bestenfalls setzt es Schadenfreude, weil der Zechpreller sich zu blöd angestellt hat. Jean-Claude Juncker zum Beispiel, durch die »Lux-Leaks« als Schirmherr luxemburgischer Geldwaschanlagen enttarnt, wurde keineswegs in Schimpf und Schande verjagt, sondern als Präsident der EU-Kommission bestätigt. Wolfgang Schäuble, unter dessen Regie der Diebstahl so glatt funktionierte, konnten auch die Cum-Ex-Files nichts anhaben.

Enthüllt wurde bloß, was sich jeder, der bei Groschen ist, längst gedacht hat: Reiche sind auch deshalb so reich, weil sie sich ums Steuernzahlen drücken, und Banken helfen nach Kräften dabei, den Überschuss dort zu parken, wo garantiert keine Behörde nervt. Steuervermeidung und das Horten von Schwarzgeld, seit je weit oben auf der Agenda der Konzerne und Oligarchen, sind keine Exklusiv-, sind nicht mal eine Meldung wert. Interessant wird es hingegen beim Zweck, dem das versteckte Geld zugeführt werden soll. Darüber jedoch ist bei NDR, WDR und »SZ« nichts zu erfahren.

Die Sprengkraft, die etwa in den »Panama Papers« steckt, die die verbündeten Rechercheure aber nicht entfesselt haben, deutete Wolf Wetzel, stellvertretender Vorstand des Vereins Business Crime Control, am 18. April 2016 in einem Interview mit den »Nachdenkseiten« an: »Bei den über 240.000 ›Scheinfirmen‹ in Panama ist in aller Regel Steuerhinterziehung ... ein nachrangiges, ja, geradezu nebensächliches Phänomen: In erster Linie dienen die ›Briefkastenfirmen‹ dazu, Geld aus den normalen, also überprüfbaren Geschäftsbüchern beziehungsweise -bilanzen herauszunehmen, um es für extralegale Zwecke zu verwenden. Das wissen alle: die Banken, die Nutznießer und die Regierungen.« Einzig der fabelhafte Rechercheverbund weiß nichts davon. »Diese nicht bilanzierten Gelder«, sagt Wetzel, »werden für Schmiergeldzahlungen, für Bestechungen und für staatsterroristische Zwecke verwandt; ihr Vorhandensein ist kein Geheimnis auf dem internationalen Parkett.« Für das deutsche Publikum allerdings wird das Geheimnis, dank Rechercheverbund, weiterhin eines bleiben.

Denn Mascolos Mannschaft vergeudete die Manpower auf Brainfucks, die bestimmt keinem deutschen Kapitalisten weh tun, und wollte einem Autokraten, den die deutsche Justiz niemals anklagen kann, nachweisen, er wäre raffgierig. Auch dies eine »Sensation«, die allenfalls Deppen oder Mascolos Team als Sensation empfinden. Die »Süddeutsche« (und nicht nur sie) machte am ersten Tag der »Panama Papers«-Story damit auf, Wladimir Putin sei nun enttarnt als Raffke vor dem Herrn: »Der Künstler, der Staatschef und das versteckte Geld: Was es damit auf sich hat, ist wohl die spektakulärste Geschichte, die sich in den 2,6 Terabyte Daten des Offshore-Providers Mossack Fonseca finden lässt.« Nun wird Putin in den 2,6 Terabyte Daten nirgendwo namentlich erwähnt, das Spektakel erweist sich als pure Spekulation, und Wikileaks vermutete nicht grundlos, hier hätten sich der Rechercheverbund und das Netzwerk von US-Geheimdiensten widerstandslos instrumentalisieren lassen.

Überhaupt nimmt es wunder, wie sprachlos sich der Bund der Rechercheure derzeit bei einem der übelsten Angriffe auf die Pressefreiheit verhält, seit es diese Freiheit gibt. Julian Assange, sieben Jahre im Hausarrest, seit einem halben Jahr von der Welt isoliert, krank und verzweifelt, keiner anderen Untaten verdächtig als der Publikation echter Skandale wie der Podesta-E-Mails oder der »Vault 7«-Tools der CIA – Assange also bekommt nicht einen Funken Solidarität des Rechercheverbunds. Und das, obwohl NDR, WDR und »SZ« so tun, als wären sie mutig wie er oder Daniel Ellsberg, mit dessen »Pentagon Papers« sie sich durch die Rubren für ihre Papperlapapp-Papers allen Ernstes vergleichen wollen. Sie behandeln Assange, wie die Presse lästige Konkurrenz stets behandelte: Ihn und sein Elend schweigen sie tot, bis er leibhaftig verreckt ist. Gäbe es sonst keine Gründe, den Rechercheverbund für eine reine Alibiveranstaltung zu halten, hier wäre ein triftiger.  

Kay Sokolowsky enthüllt in seinem Weblog »Abfall aus der Warenwelt« vor allem sich selbst

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