Horst Seehofer droht mit einem Verbot der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe.
Von Michael Csaszkóczy
Focus« und »Junge Freiheit« (»JF«) waren die ersten, die die offenbar gezielte Indiskretion aus dem Innenministerium verbreiteten; ein paar Tage später verkündete auch die »Taz«, ihre traditionell guten Kontakte zu den Sicherheitsbehörden würden die Planungen für ein Verbot der Roten Hilfe e. V. (RH) bestätigen.
Zwar wollte Heimat- und Innenminister Seehofer sich nicht offiziell äußern, verwies aber auf geradezu horrible Erkenntnisse des Verfassungsschutzes (VS) zur RH: »Sie versucht durch Publikationen, Vorträge, Demonstrationen die Sicherheits- und Justizbehörden sowie die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren. Dazu organisiert sie unter anderem Informations- und Diskussionsveranstaltungen zu Themenfeldern wie ›staatliche Repression‹ und fordert dazu auf, grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten zu verweigern.« Das allerdings ist ein Rat, den jeder verantwortungsvolle Rechtsanwalt seinem Mandanten mit auf den Weg geben dürfte.
»Voraussetzung für die Leistung von Unterstützung durch die Rote Hilfe« sei »unter anderem, dass der Betroffene kein Unrechtsbewusstsein im Hinblick auf das von ihm begangene strafbare Handeln zeigt.« Eine moralisch einwandfreie linke Solidaritätsorganisation hätte sich demnach ausschließlich um Leute zu kümmern, die der festen Überzeugung sind, dass sie verwerflichen Blödsinn getan haben. Dem »Focus« diktierte der VS gar: »Als Gegenleistung dürfen die Delinquenten keine Aussagen bei der Polizei machen und müssen sich verpflichten, auch nach verbüßter Strafhaft den ›revolutionären Straßenkampf‹ fortzusetzen.«
Es ist nicht das erste Mal, dass die Rote Hilfe sich vor die Frage gestellt sieht, ob sie derlei Blödsinn überhaupt noch kommentieren oder dementieren soll. Im November 2017 hatte sie das ausnahmsweise nicht nur getan, sondern auch gerichtlich durchgesetzt, in diesem Fall gegen den Bremer Verfassungsschutz. Das zuständige Gericht urteilte: »Aus dem Verfassungsschutzbericht geht nicht einmal ansatzweise hervor, aufgrund welcher tatsächlichen Anhaltspunkte der Antragsteller der ›gewaltorientierten‹ linksextremistischen Szene zuzuordnen wäre.« Der VS ersetzte den Wortlaut daraufhin durch die schwammige Formulierung, die RH zeige »eine gewaltunterstützende und gewaltbefürwortende Einstellung … wenngleich (sie) selbst nicht gewalttätig agiert«.
Wirkungen haben solche Diffamierungen allemal. Schon 2007 war die damalige Juso-Chefin Franziska Drohsel wegen ihrer Mitgliedschaft in der RH in Bedrängnis geraten. Sie wurde nach Intervention des Parteivorstands genötigt, sich von der »Unterstützung der RAF durch die Rote Hilfe« zu distanzieren (einer Position, die die Rote Hilfe nicht einmal vertreten hat, bevor die RAF sich zehn Jahre zuvor aufgelöst hatte). Genutzt hat es ihr nichts. Sie musste aus der RH austreten.
Die »JF« wusste in ihrer Meldung noch von weiteren Ungeheuerlichkeiten: Die RH sehe sich »in der Tradition der 1924 in der Weimarer Republik unter Führung der KPD gegründeten ›Roten Hilfe‹, deren erster Vorsitzender der KPD-Politiker und spätere DDR-Staatschef Wilhelm Pieck war.« – Nun ist, das wissen auch die »JF« und ihre Freunde vom Verfassungsschutz, die heutige RH ganz gewiss nicht gleichzusetzen mit ihrer 1924 gegründeten Vorläuferorganisation in der Weimarer Republik. Die personellen und organisatorischen Kontinuitäten der radikalen Linken haben die Nazis gründlich gekappt, und so glich die Berufung auf die historische Tradition der in den siebziger Jahren gegründeten »Roten Hilfen« in gewisser Weise einer phantasievollen Totenbeschwörung. Erst mit dem Niedergang der Apo hatte die letzte verbliebene der zahlreichen konkurrierenden »Roten Hilfen« größere Bedeutung erlangt, als sie sich zur strömungs- übergreifenden Organisation im Dienst der gesamten Linken umwandelte. Seit 1980 unterstützt die RH nun pazifistische Totale Kriegsdienstverweigerer ebenso wie politische Gefangene aus den Stadtguerillagruppen, radikale Klimaschützer und Berufsverbotsbetroffene ebenso wie demonstrierende Antifas oder türkische und kurdische Exillinke.
Sollte der VS bei der RH allerdings tatsächlich eine Organisationsgeschichte unterstellen, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreicht, dürfte ihm nicht entgangen sein, dass das letzte Verbot der Roten Hilfe 1933 im Zuge der Reichstagsbrandverordnung erfolgte. Man wird dann wissen, in welche Tradition man sich stellt. Paradoxerweise gerät die RH wieder stärker ins Visier der Sicherheitsbehörden, seit sie auf allgemeinpolitische Aussagen zugunsten ihres strömungsübergreifenden Anspruchs strikt verzichtet. Tatsächlich ist ihre Bedeutung stetig gewachsen. Fast 10.000 Mitglieder zählt die Organisation zur Zeit. Ungefähr 300.000 Euro gibt die Rechtshilfeorganisation jährlich dafür aus, Linke in politischen Strafverfahren zu unterstützen. Dabei verzeichnet sie einen starken Anstieg »niedrigschwelliger Repression«, etwa Verfahren wegen des Verstoßes gegen restriktiv ausgelegte Versammlungsgesetze oder wegen »Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte«, der nach den jüngsten Strafverschärfungen schon bei kleineren und meist von der Polizei selbst provozierten Unbotmäßigkeiten drastische Strafen zur Folge hat. Allein für die Verteidigung von Angeklagten im Zuge des G20-Gipfels in Hamburg zahlte die RH bislang ungefähr 25.000 Euro.
Die ersten Protestnoten gegen das geplante Verbot der »mitgliederstärksten linksextremen Organisation« (VS) stammten denn auch unter anderem von Attac und dem Bundesverband der Jusos. Das blieb nicht ohne Reaktion: Der SPD-Politiker Tom Schreiber machte sich lächerlich, als er gegenüber der »Welt« umgehend den Entzug der Gemeinnützigkeit der RH forderte. Die hatte sie allerdings weder je erhalten noch beantragt.
Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert verteidigte die Position der SPD-Jugend mit den Worten: »Funktionierende Strafverteidigung ist eine Säule unseres Rechtsstaates. Wer sie und ihre Unterstützung als verfassungsfeindlich hinstellt, hat weder unser Staatsrecht noch unsere Strafprozessordnung verstanden.« Ob die RH mit dieser kreuzbraven Darstellung ihrer Arbeit glücklich ist? Tatsächlich ist sie wie schon so oft in ihrer Geschichte in einer skurrilen Lage: Als Organisation, die bürgerliche Klassenjustiz und politische Verfolgung im Gewand des Strafrechts kritisiert, positioniert sie sich als Verteidigerin eines Rechtsstaats, der von sich selbst schon längst nichts mehr wissen will.
Michael Csaszkóczy war Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe