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von konkret

Dass ein Jude sich einem Nazi und/ oder Antisemiten als Ausputzer und Bewährungshelfer zur Verfügung stellt, kommt nicht sehr oft vor, aber immer öfter.« Henryk Broder 2007 im »Spiegel« über Michel Friedman, der den Nazi Horst Mahler interviewt hatte, was ihn zu einem »Fall mit pathologischer Komponente« mache.

Arbeiter verkaufen ihre Arbeitskraft, Techniker ihr Wissen, die Journaille ihre Meinung. Wer auch morgen noch honoriert werden will, tut gut daran, die Winde des Wandels früh zu riechen und sein Mäntelchen hineinzuhängen. Dass speziell deutsche Dichter & Denker das verstehn, haben sie im letzten Jahrhundert zweimal bewiesen: im August 1914, als sie mit Hurra in den Krieg zogen, und 1933, als sie – mit Ausnahme der Juden und der Kommunisten, die nicht mitmachen durften – dem Führer Treue schworen. Es war der Lyriker Gottfried Benn, der im Rundfunk für sie alle eine »Antwort an die literarischen Emigranten« gab:

Da sitzen Sie also in Ihren Badeorten und stellen uns zur Rede, weil wir mitarbeiten am Neubau eines Staates … Da werfen Sie nun also einen Blick auf das nach Afrika sich hinziehende Meer, vielleicht tummelt sich gerade ein Schlachtschiff darauf mit Negertruppen … und schwören diesem Land, das politisch nichts will als seine Zukunft sichern, und von dem die meisten unter Ihnen geistig nur genommen haben, Rache.

2019, am Vorabend der Machtübernahme durch ein – freundlich gesagt: – Regime eines demokratischen Faschismus nimmt ein anderer diese Partei, die politisch nichts will als ihre Zukunft sichern, in Schutz. Broder, der 1983 in Danke schön. Bis hierher und nicht weiter (Konkret-Literatur-Verlag) begründet hatte, dass man in dieser von Nazis beherrschten Bundesrepublik als Jude nicht leben könne, warb nun:

Ich bin hier aus zwei Gründen. Erstens bin ich für Fair play, und der Umgang mit Ihrer Partei ist alles andere als fair … Und falls Sie jetzt wissen möchten, ob ich vorhabe, Sie zu wählen, kann ich nur sagen: Das hängt ganz von Ihnen ab.

Nicht ohne eine neckische Lektion in gutem Benehmen:

Man legt die Füße nicht auf den Tisch, man rülpst nicht beim Essen, und man nennt die zwölf schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen »Vogelschiss«!

Eichmann, nehmen Sie gefälligst die Füße vom Tisch! Die Nazi-Seiten im Netz platzten vor Begeisterung über die »mutige Rede«. Den Kommentar dazu hat Tucholsky geschrieben, in weiser Voraussicht: »Ein Stück Weichkäse. Fällt auch morgen, wenn die Chinesen Deutschland erobern, auf die nächste andere Seite und lässt sich einen Zopf stehn.« Das galt damals Gottfried Benn.

 

Ende Januar hat die »Süddeutsche Zeitung« eine Studie von Andrej Angrick (»Aktion 1005«. Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942–1945) als »echte Grundlagenforschung « und seine Publikation als »verlegerische Großtat« besungen. Nun, diese echte Grundlagenforschung hat auf bereits gut beforschtem Grund stattgefunden. Im Jahr 2008 war als umfangreicher konkret texte- Doppelband 46/47 Jens Hoffmanns Buch »Das kann man nicht erzählen«. ›Aktion 1005‹ – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten erschienen – 2013 erschien die dritte, durchgesehene Auflage. Hoffmanns Buch, so stand es in der Verlagsankündigung, »unternimmt erstmals den Versuch, die von Deutschen und ihren Helfern während des Zweiten Weltkriegs begangenen Massenverbrechen und die Verwischung der Spuren dieser Verbrechen im Zusammenhang darzustellen«. Angrick aber nimmt von diesem Werk nur im Vorwort kurz Notiz und erwähnt Hoffmanns Nachfolgeband zum Thema (»Diese außerordentliche deutsche Bestialität«. Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten. Augenzeugenberichte und Gespräche, konkret texte 60, Hamburg 2013) nicht mal mehr in seiner Literaturliste. »Bissl schäbig, aber als Haltung im Kultur-/Wissenschaftsbetrieb ja ziemlich verbreitet«, schreibt uns Jens Hoffmann dazu. Hoffmanns Untersuchung »Das kann man nicht erzählen« ist als E-Book weiterhin lieferbar (19,99 Euro); der Nachfolgeband »Diese außerordentliche deutsche Bestialität« ist auch als gedrucktes Buch noch zu beziehen (10 Euro).

 

Aus Anlass des Buchs Linke Heimatliebe. Eine Entwurzelung von Thomas Ebermann, das Ende März als texte-Band Nr. 75 erscheint (148 Seiten, 19,50 Euro), sei hier ein Leserbrief eines Ulf Annel zitiert, Kabarettist aus Erfurt, an sein »Neues Deutschland« über die »Heimat«:

Wann lernt die Linke endlich (z. B. von Tucholsky) den Begriff positiv zu besetzen?

Mit dem Begriff Volk ist das schon geschehen, denn das sind »wir«, die Begriffe Volksgemeinschaft, Volksgenosse und völkisch müssen noch ein bisschen auf unser Aufstehn warten.

Soeben erschienen ist als konkret texte- Band 74 Stefan Ripplingers Buch Kommunistische Kunst und andere Beiträge zur Ästhetik (128 Seiten, 17,50 Euro). Es kann beim Verlag, plus Porto, oder im Buchhandel bestellt werden (siehe Anzeige Seite 57).

Termine:

Am 26. Februar stellt Manfred Sohn sein Buch Falsche Feinde. Was tun gegen die AfD? (konkret texte 70) um 19 Uhr in Mönchengladbach, Buchhandlung Prolibri, Schillerstraße 22–24, vor.

Unter dem Titel »Ins Kaltental oder: Sterben für Anfänger« liest Hermann L. Gremliza am 28. März um 20 Uhr in Hamburg, Polittbüro, Steindamm 45, aus seinem Briefwechsel mit Wolfgang Pohrt.

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