Aktuelles

tl_files/hefte/2019/abo919start.jpg

To watch this video, you need the latest Flash-Player and active javascript in your browser.

Tomayers Video-Tagebuch

No-Go-Area Deutschland

Filmkritiken

Termine

Erledigt

Die EU beendet die Seenotrettung im Mittelmeer.

Von Matthias Monroy

Die Europäische Union will künftig Seenotfälle im Mittelmeer nur noch aus der Luft beobachten und keine eigenen Schiffe mehr zur Rettung entsenden. Die Militärmission Eunavfor Med (auch bekannt als »Mission Sophia«) wird dazu um ein halbes Jahr verlängert, die beteiligten Kriegsschiffe werden allerdings abgezogen. Mit der Entscheidung haben die EU-Mitgliedstaaten einen Streit mit der italienischen Regierung vorübergehend beigelegt.

Italiens Innenminister Matteo Salvini will von Eunavfor Med Gerettete nicht mehr in Italien von Bord gehen lassen. Der Lega-Chef fordert ihre Ausschiffung in alle Staaten, die sich mit Flugzeugen, Schiffen oder U-Booten an der Mission beteiligen. Seit Bestehen von Eunavfor Med nahmen die EU-Kriegsschiffe rund 49.000 Menschen an Bord. Fast alle wurden in italienische Häfen gebracht.

Als Kernauftrag von Eunavfor Med gilt die »Aufklärung von Schleusernetzwerken«. Weil Schleuser jedoch nicht auf dem Mittelmeer unterwegs sind, gehört zur zentralen »Unterstützungsaufgabe« der Mission die Ausbildung der libyschen Küstenwache und Marine. Die italienische Marine ist für die Leitung zuständig und hat dafür einen Flugzeugträger ins zentrale Mittelmeer entsandt. Das darauf eingerichtete Hauptquartier entschied vor einem Jahr, die beteiligten Kriegsschiffe nur noch weit von Libyen entfernt einzusetzen. Seit Juni 2018 waren die Einheiten an keiner Rettung mehr beteiligt.

Im gleichen Zeitraum hat die Zahl der Einsätze der libyschen Behörden stark zugenommen. 2018 hat die zur Marine gehörende Küstenwache mindestens 15.000 Menschen auf See aufgegriffen und zurück nach Libyen gebracht. Damit ist der wesentliche Auftrag von Eunavfor Med erfüllt: Das Völkerrecht wurde erfolgreich umgangen. Denn die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet es den EU-Mitgliedstaaten, Geflüchtete in ein Land zu bringen, in dem Folter oder andere Menschenrechtsverletzungen drohen. Für die staatlichen Institutionen Libyens, das kein EU-Mitglied ist, aber auch für private Handelsschiffe gilt dieser Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht.

Insgesamt verfügt Libyen über rund 30 Patrouillenboote und Küstenwachschiffe, die meisten hat die italienische Regierung spendiert. Derzeit ist aber nur die Hälfte dieser Fahrzeuge einsatzbereit – und das auch nur bei niedrigem Seegang. Frankreich hat deshalb die Lieferung von weiteren sechs voll ausgerüsteten Patrouillenbooten versprochen. Das Training der Besatzungen erfolgt weitgehend durch italienische Soldaten, die Kosten trägt die Europäische Union. Bislang wurden rund 300 Libyer ausgebildet; zu ihrer Ausbildung gehörte angeblich die »Vermittlung von Kenntnissen in den Bereichen Such- und Rettungsdienste, Seemannschaft, Funk- und Sprachausbildung, Erste Hilfe, humanitäres Völkerrecht, Menschenrechte und Seerecht«.

Geholfen hat es nichts, Libyens Küstenwache gilt weiterhin als hochgradig unprofessionell. Oft gehen die Besatzungen bei einer Seenotrettung brutal gegen Geflüchtete und Helfer vor, immer wieder kommen sogar Schusswaffen zum Einsatz. Libysche Einheiten setzen darüber hinaus keine Festrumpfschlauchboote ein, mit denen Menschen von Schlauchbooten geborgen werden können; waghalsige Manöver, die zu vielen Toten führen, sind die Folge.

Libyen hat zwar das Internationale Übereinkommen über Seenotrettung unterzeichnet, die dort enthaltenen Verpflichtungen aber bis jetzt nicht umgesetzt – dazu gehören die Benennung einer Seenotrettungszone und einer zuständigen Rettungsstelle. Diese Leitstelle muss über Informationstechnik und Rettungsmittel verfügen, stets erreichbar sein und auf englisch kommunizieren.

Die Einrichtung einer solchen Seenotleitstelle in Tripolis hat deshalb bei Eunavfor Med höchste Priorität. Mit italienischer Hilfe hat Libyen im Sommer die Zuständigkeit für die eigene Seenotrettungszone erklärt und ein behelfsmäßiges Lagezentrum eingerichtet, das über einen Informationskanal des italienischen Militärs bei Notfällen in der eigenen Seenotrettungszone alarmiert wird. Die Informationen stammen von vier Seeaufklärern, aber auch von militärischen Drohnen, die Italien im Rahmen von Eunavfor Med einsetzt. Für den Ausbau der libyschen Seenotleitstelle gibt die EU rund 42 Millionen Euro aus.

In einem zweiten Schritt wird die libysche Seepolizei mit 46 Millionen Euro aufgerüstet. Sie ist für die Überwachung von Häfen, Stränden und Hoheitsgewässern zuständig. Ein Großteil der Mittel stammt von den vier Visegrád-Staaten. Mit dieser zweckgebundenen Finanzierung protestieren Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei gegen den von Deutschland unterstützten Umverteilungsmechanismus für aus Seenot Gerettete.

Noch ist unklar, was der im April aufflammende Bürgerkrieg in Libyen für die Marine und die Küstenwache, die der Einheitsregierung in Tripolis untersteht, bedeutet. Die Kämpfe könnten die Pläne von Frontex, enger mit der libyschen Küstenwache zu kooperieren, verzögern. Das offizielle Einsatzgebiet der europäischen Grenzagentur ist die italienische Seenotrettungszone und liegt damit weit von libyschen Gewässern entfernt. Aufklärungsflüge eines neuen Frontex-Flugdienstes erfolgen jedoch auch im sogenannten Grenzvorbereich vor afrikanischen Küsten. Bislang war es Frontex nicht erlaubt, Informationen, die auf diesen Flügen gewonnen wurden, an libysche Behörden weiterzugeben. Das ändert sich nun.

Frontex baut eine Truppe von bis zu 10.000 Beamten auf, die auch außerhalb Europas eingesetzt werden könnte. Darauf haben sich der Europäische Rat und das Parlament im Eiltempo geeinigt und eine neue Frontex-Verordnung beschlossen. Sie enthält ein langes Kapitel zur »Drittstaatenkooperation «. Frontex darf bereits mit einigen EU-Nachbarländern kooperieren, jetzt wird dieser Bereich auf das südliche Mittelmeer ausgeweitet. Nach gegenwärtigem Stand soll die Grenzagentur auch »vertrauliche Sicherheitsinformationen « übermitteln. Geplant ist, dass die libysche Küstenwache Zugang zu Informationen aus dem EU-Grenzüberwachungssystem Eurosur, darunter Bilder von Drohnen und Satelliten, erhält.

Das Budget der Agentur beträgt bis 2027 aberwitzige zwölf Milliarden Euro, hinzu kommen 22 Milliarden Euro für die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Sicherung und Kontrolle ihrer Grenzen. Deutschland ist größter Beitragszahler für die EU-Finanztöpfe. Damit ist die Bundesregierung direkt verantwortlich für die Aufrüstung der libyschen Küstenwache und die völkerrechtswidrige Rückführung von Geflüchteten.

Matthias Monroy ist Redakteur der Zeitschrift »Bürgerrechte und Polizei/Cilip«

Zurück