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Danke der Nachfrage

Der Bayer-Konzern hat bislang nicht viel Freude an Monsanto, obwohl das zugekaufte US-Unternehmen für gute Umsätze sorgt. Von Jan Pehrke

 Der Leverkusener Multi Bayer hat einige Erfahrung mit Schadensersatzprozessen und Strafzahlungen. So kommt kein Geschäftsbericht ohne das Kapitel »Rechtliche Risiken« aus, und die dort vermerkten Posten erreichten schon beträchtliche Größenordnungen. Über eine Milliarde Dollar kosteten den Konzern die rund 8.500 Klagen wegen der Nebenwirkungen des Cholesterinsenkers Lipobay. Die bislang 17.500 abgeschlossenen Verfahren wegen unerwünschter Arzneieffekte der Verhütungsmittel aus der Yasmin-Reihe schlagen bis dato mit 2,1 Milliarden Dollar zu Buche; den circa 25.500 Geschädigten des Gerinnungshemmers Xarelto zahlte das Unternehmen im Rahmen eines Vergleichs 775 Millionen Dollar. Und dann stehen da noch 31.000 gerichtliche Auseinandersetzungen um das Sterilisationsmittel Essure und andere Kleinigkeiten ins Haus.

Schlagzeilen machte kaum einer dieser Fälle. Auf die Geschäfte hatten sie trotz der nicht geringen Beträge, um die es dabei ging, keinerlei Einfluss. Bayer konnte stets »Business as usual« betreiben. Das ist bei den aktuellen Klagen in Sachen Glyphosat gegen den Chemie- und Saatgutkonzern Monsanto in den USA anders. Gleich das erste Urteil im August 2018, das dem unter dem Namen Roundup vermarkteten Herbizid die Schuld an der Krebserkrankung des Hausmeisters Dewayne Johnson zusprach und ein Schmerzensgeld von 289 Millionen Dollar festsetzte, ließ die Aktie des bundesdeutschen Agro- Riesen deutlich sinken.

Am 23. Oktober beschleunigte sich die Talfahrt, obwohl die US-Richterin Suzanne R. Bolanos die Strafe an dem Tag auf 78 Millionen Dollar reduzierte. Sie wollte nämlich den ganzen Rechtsstreit nicht neu aufrollen, wie Bayer-Chef Werner Baumann und seine Managementriege gehofft hatten. Da zu diesem Zeitpunkt noch weitere 9.000 Klagen vorlagen – mittlerweile sind es 13.400 –, begannen die Großanleger, nervös zu werden und um ihre Einlagen zu fürchten. »Entsprechend ungemütlich verliefen die Gespräche von Baumann mit Anteilseignern wie dem Vermögensverwalter Blackrock aus New York oder dem Staatsfonds Temasek aus Singapur «, berichtete das »Handelsblatt«. Die Branche forderte Konsequenzen – und der Leverkusener Multi lieferte. Ende November 2018 kündigte er die Streichung von 12.000 Arbeitsplätzen an. Überdies gab er bekannt, sich von seinem Anteil an dem Chempark-Dienstleister Currenta, der Tiergesundheitssparte und »Consumer Health«-Produkten wie Sonnenschutzmitteln und Fußpflegepräparaten trennen zu wollen.

Aber mit Monsanto im allgemeinen und den Glyphosat-Prozessen im besonderen sollte das alles nichts zu tun haben. »Bayer will Life-Science-Kerngeschäfte weiter stärken sowie Produktivität und Ertragskraft deutlich steigern«, überschrieb der Global Player die Presseerklärung zum Kahlschlag. So, wie der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann immer wieder versicherte, »dass ich vollumfänglich hinter Glyphosat als Produkt stehe«, so inbrünstig verteidigte er auch den ganzen Deal der Monsanto-Übernahme: »Das Wertschöpfungspotential aus der Kombination der beiden Geschäfte ist unverändert sehr, sehr positiv.«

Tatsächlich erhöhte sich der Umsatz von Bayers Agroabteilung im Jahr 2018 um 49 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro, wobei 47,2 Prozent auf das Konto von Monsanto gingen. Dabei wirkte sich auch ein wohlkalkulierter Nebeneffekt der Konzentrationswelle im Landwirtschaftsbereich positiv aus, die außer Bayer und Monsanto noch Dow und Dupont sowie ChemChina und Syngenta zusammenbrachte: Da sich nun weniger Topunternehmen Konkurrenz machen, können sie höhere Preise für ihre Produkte ansetzen. So vermeldet der Geschäftsbericht des Leverkusener Multis: »Der Anstieg im Bereich Herbizide ist im wesentlichen bedingt durch höhere Preise und Mengenausweitungen von Roundup in Lateinamerika.«

Beim Leiter von Bayer Cropscience, Liam Condon, hält die Freude über die neue Marktmacht ebenfalls noch an. »Im Landwirtschaftsbereich sind wir mit weitem Abstand der Marktführer, die Nummer eins bei jeder großen Nutzpflanze, bei Frucht und Gemüse, und wir haben die führende digitale Plattform. Wir haben mehr Zugang zu den Farmern als jeder andere da draußen, und wir haben eine besser gefüllte Pipeline als jeder andere da draußen.« Sein Deutschland- Chef Peter Müller stimmt zu: »Die bereits veröffentlichten Zahlen spiegeln den wirtschaftlichen Erfolg und die Sinnhaftigkeit der Akquisition wider.«

Nur kommt das zum großen Bedauern der Manager im Aktienkurs nicht zur Geltung. »Die Kapitalmarktreaktion hat zumindest meines Erachtens momentan wenig mit dem inneren Wert des Unternehmens zu tun«, klagt Werner Baumann. Die Erklärung dafür liefert das »Manager Magazin«: »Betriebswirtschaftliche Optimierung findet heute unter den komplexen Nebenbedingungen einer polarisierten Öffentlichkeit statt.« Und da gesellt sich zur ökonomischen Logik schnell eine ganz andere hinzu. »Reputation ist eine reale Wirtschaftsgröße«, sagt etwa Janne Werning von Union Investment, und Ingo Speich von Deka Investment befindet: »Bayer hat unterschätzt, dass viele Investoren mittlerweile auch darauf achten, ihr Geld nachhaltig anzulegen. Der Markt für nachhaltige Anlagen wächst dreimal so stark wie der Gesamtmarkt.« Und da sorgt der Name Monsanto nicht eben für viel Nachfrage. Bei der Bayer-Hauptversammlung am 26. April dieses Jahres, zu der die »Coordination gegen Bayer-Gefahren« massiven Protest organisiert hatte, verweigerten Union Investment und Deka Investment dem Vorstand des Unternehmens dann auch die Entlastung. Blackrock, DWS und andere Vermögensverwalter taten das ebenfalls, allerdings nicht aus ökologischen Gründen. Sie warfen der Konzernleitung vor, beim Kauf von Monsanto (Kosten: rund 63 Milliarden Dollar) vorschnell gehandelt und insbesondere die Prozessrisiken unterschätzt zu haben. Am Ende kamen auf diese Weise genügend Stimmen gegen Baumann & Co. zusammen. 55,52 Prozent des versammelten Aktienkapitals votierten mit »Nein« – ein einmaliger Vorgang in der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte. Noch nie zuvor hatten Aktionäre es abgelehnt, das Topmanagement im Amt zu bestätigen, bisher waren bei Bayer immer Ergebnisse mit Prozentanteilen von mindestens 97 Prozent die Regel.

Noch in der Nacht berief der Aufsichtsrat eine Sondersitzung ein und stellte sich hinter den Vorstandsvorsitzenden. Chefaufseher Werner Wenning und seine Crew waren so frei, denn sie brauchen sich nicht an die Beschlüsse der Anteilseigner zu halten. Einige Großinvestoren reagierten verärgert. Andere forderten zumindest neue Aufsichtsräte mit Kernkompetenzen in den für Monsanto relevanten Bereichen Prozesswesen und Agrargeschäft ein. Bislang hat sich Bayer dazu noch nicht geäußert. Das Lehrstück darüber, wie weit es mit der Aktionärsdemokratie im allgemeinen und dem Einfluss von Blackrock & Co. auf Konzerne im besonderen her ist, läuft also noch.

Unterdessen geriet beim Agrarmulti die Wirtschaftsgröße Reputation weiter unter Druck. Französische Medien enthüllten in der zweiten Maiwoche, wie Monsanto die politische Landschaft mit Geheimdienstmethoden vermessen ließ, in Freund und Feind einteilte und letztere dann per isolieren kaltstellen wollte. Und ein paar Tage später folgte in den USA das dritte Glyphosat-Urteil: zwei Milliarden Dollar Schadensersatz. Erst sieben Unternehmen kassierten dort bisher höhere Strafen.

Noch ist allerdings nicht entschieden, ob die ökonomische Logik – Reputationsrisiken hin, Milliardenzahlungen her – am Ende nicht doch siegt. Der Finanzwelt machen vor allem die Unwägbarkeiten der Prozesse zu schaffen. Trotzdem will sich Bayer einstweilen nicht auf Vergleichsverhandlungen über eine bestimmte Gesamtentschädigungssumme einlassen. Auch von dem erfahrenen Juristen Kenneth Feinberg, den der Richter Vince Chhabria zum Schlichter der Rechtsstreitigkeiten um das Pestizid ernannt hat, erwartet das Unternehmen nicht viel. Es setzt weiterhin darauf, in den Berufungsverhandlungen mehr Gnade für Glyphosat zu finden. Dort sitzen nämlich Juristinnen und Juristen auf der Richterbank und keine Geschworenen, die in den Augen des Konzerns allzuleicht für das tragische Schicksal der krebskranken Kläger/innen einzunehmen sind. Erst wenn es hier zu keinen merklichen Reduzierungen der Strafen kommt, dürfte der Konzern den Geschädigten insgesamt Vergleiche anbieten und damit anzeigen, welchen Preis er bereit ist, für das Glyphosat-Desaster zu zahlen. Damit hätte Bayer das Ganze in die ökonomische Sphäre zurückgeholt, die Unsicherheit beendet und der Finanzbranche eine feste Kalkulationsgrundlage für ihre Investitionsentscheidungen geliefert.

Bis es so weit ist, stellt diese selber Rechenspiele an. »Kommt Bayer mit Zahlungen von fünf Milliarden Dollar davon, hat der Bayer-Vorstand alles richtig gemacht«, sagt etwa Markus Manns von Union Investment: »Muss Bayer am Ende mehr als zehn Milliarden Dollar zahlen, hat der Vorstand die Risiken von Monsanto klar unterschätzt.« An fünf Milliarden Dollar hängt es ihm zufolge also, ob die ökonomische Logik am Ende ihren Geltungsanspruch behauptet. Aber wie die Sache auch immer ausgeht, die Verlierer stehen jetzt schon fest: Es sind, von den Glyphosat- Opfern abgesehen, die 12.000 Bayer- Beschäftigten, die im Zuge des Monopoly-Spiels auf dem Agromarkt bereits jetzt ihren Job verloren haben.

Jan Pehrke gehört zum Vorstand der Coordination gegen Bayer-Gefahren

 

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