Ein klares Je-nachdem zum Internetpranger
Von Elke Wittich
Daß man nicht immer zu allem eine klare Meinung haben muß, ist vor allem Usern von Twitter und Co. weitgehend unbekannt. Was immerhin recht gut zur unter Nutzern der Social Media verbreiteten Unfähigkeit paßt, Artikel und Blogbeiträge zu Ende zu lesen, und häufig zu ausgesprochen possierlichen Ergebnissen führt: Irgendwer hat irgendwo irgendwas gelesen und ganz aufgeregt vom gerade entdeckten fürchterlichen, die Freiheit und sonstwas bedrohenden Vorfall berichtet. Innerhalb weniger Minuten wird der entsprechende Link dann von anderen weiterverbreitet, bis ein Spielverderber auftaucht und feststellt, daß ganz unten im Artikel "April, April" stand.
Die nun ziemlich dumm dastehenden Multiplikatoren reagieren darauf meist so: Einige korrigieren sich, die meisten machen unbeirrt weiter, und andere gehen umgehend daran, nachzuweisen, daß der Scherzvermerk sicher nur da stand, weil der Verfasser von finsteren Mächten bedroht wird, die die Wahrheit unterdrücken wollen. Ein paar wenige lehnen sich dagegen angesichts des Spektakels genüßlich zurück und freuen sich über den Rohrkrepierer und ihren Mangel an Meinungsreflexen.
Es gibt allerdings auch Themen, die so komplex sind, daß es gar nicht möglich ist, sie mit einem pauschalen "Find ich gut" oder "Absolutes No-go" zu bewerten. Weil sie in ihren Auswirkungen viel zu unterschiedlich sind - je nachdem. Ein Beispiel ist der sogenannte Internetpranger, den es nicht als greifbaren Ort, sondern als Bezeichnung für das öffentliche Vorführen von Menschen gibt, die etwas getan haben, das nach Meinung der sie Anprangernden höchst verwerflich ist.
Wie zum Beispiel Sabine Rasch aus Mannheim. Über die zehnfache Mutter ist von Adresse und Handynummer bis hin zum Gewicht praktisch jede Information im Internet nachlesbar, und das ganz sicher gegen ihren Willen. Denn die 51jährige wurde von der Autonomen Antifa Freiburg als Faschistin geoutet, weil sie einerseits in Nazikreisen sehr aktiv ist, andererseits im Elternbeirat der Schule ihrer Kinder sitzt, wo man vermutlich kaum ahnt, daß man es mit einer Frau zu tun hat, die im braunen Thiazi-Forum moderiert und Schnittmuster für selbstgenähte Hakenkreuzfahnen veröffentlicht. Ist doch klasse, so ein Internetpranger, oder?
Eben nicht immer, denn abgesehen von den bekannten Beispielen von durch die Anti-Antifa zwangsweise geouteten Antifas gibt es auch noch PACBI, die Palestinian Campaign for the Academic & Cultural Boycott of Israel. Dort werden beispielsweise Künstler angeprangert und unter Druck gesetzt, die planen, in Israel aufzutreten. Zu denen, die nach entsprechenden Interventionen bereits ihre Gigs absagten, gehören Elvis Costello und Carlos Santana, im Moment wird Joan Armatrading bearbeitet.
Man sieht - der Internetpranger ist ein Fall für ein klares Je-nachdem beziehungsweise Einerseits-andererseits.