von Stefan Frank
Etwa 7.000 syrische Flüchtlinge leben in Deutschland. Ihnen droht die Abschiebung in einen der Folterknäste ihres Herkunftslandes. Von
Ein Syrer, der neun Jahre lang in Guantánamo inhaftiert war, wird voraussichtlich diesen Monat nach Deutschland überstellt, wo er politisches Asyl erhalten soll. Deutschland habe die Verantwortung, bei der Auflösung des Gefangenenlagers mitzuhelfen, sagt Bundesinnenminister de Maizière. Zudem gebe es humanitäre Gründe, die für die Aufnahme sprächen: Er sei nicht nur Innenminister, sondern auch "Mensch und Christ", so de Maizière. Solche Impulse verspürt er allerdings nicht, wenn es um die 7.000 aus Syrien stammenden Flüchtlinge geht, die in Deutschland leben. Ihnen droht ein Weg, der über das deutsche Abschiebegefängnis in den syrischen Folterkerker führt. Lange Zeit hatten die Exilanten das Glück, daß Syrien keine Flüchtlinge zurücknahm. Doch am 14. Juli 2008 unterzeichneten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und sein syrischer Amtskollege, Brigadegeneral Bassam Abdel Madschid, ein bilaterales Rücknahmeabkommen.
Nun steht der Abschiebung nichts mehr im Weg. Auch mehrere aus Syrien stammende Jesiden wurden in den vergangenen Monaten in Abschiebehaft genommen und mittlerweile abgeschoben. Sie sind Anhänger einer kleinen Religionsgemeinschaft unter den Kurden und, da sie weder Araber noch Muslime sind, besonders schweren Repressionen ausgesetzt. "Sie berichten, daß sie auf Grund ihrer religiösen Zugehörigkeit verfolgt werden, allerdings auch von moslemischen Kurden, da sie als ›Teufelsanbeter‹ gelten", sagt Irene Wegener. Sie leitet ein Flüchtlingsheim in Hannover, in dem zur Zeit 16 syrische Flüchtlinge leben. Bei den moslemischen Kurden, die dort wohnen, handele es sich häufig um Personen, die sich in kurdischen Gruppen oder Parteien für die Rechte von Kurden eingesetzt hätten. "Für beide Gruppen gilt, daß sie zum Teil nicht als Bürger registriert sind oder aber im eigenen Geburtsland nur als Ausländer geführt wurden und keine Bürgerrechte besitzen", so Wegener. Von Verwandten aus Syrien hörten sie immer wieder, daß Familienväter oder andere männliche Angehörige ohne Vorankündigung von der Polizei abgeholt und unter Gewaltanwendung befragt würden. Oftmals müßten Polizei und Justiz mit Geld bestochen werden, damit sie die Inhaftierten aus dem Gefängnis entlassen.
In Syrien gilt noch immer der Ausnahmezustand, den die Ba'ath-Partei nach ihrer Machtübernahme im Jahr 1963 verhängt hat. Dadurch sind alle bürgerlichen Rechte stark beschränkt und die Verfassungsrechte auf Meinungsäußerung, friedliche Versammlungen und Privatsphäre außer Kraft gesetzt. Dekret Nr. 5 vom 9. März 1963 erlaubt die Verhaftung von jedem, "der sich den Zielen der Revolution widersetzt", das "Vertrauen der Massen in die Ziele der Revolution erschüttert" oder versucht, die "ökonomische und soziale Struktur des Staates zu verändern".
Der Ausnahmezustand ermächtigt die Regierung dazu, präventive Verhaftungen vorzunehmen, auch ohne Haftbefehl. Die Geheimdienste haben nahezu unbeschränkte Befugnisse, Verdächtige festzunehmen und sie beliebig lange ohne Anklage und von der Außenwelt isoliert festzuhalten. Folter und andere Mißhandlungen seien "auf Polizeiwachen, in den Haftzentren des Staatssicherheitsdienstes sowie in den Gefängnissen weiterhin an der Tagesordnung", heißt es im Jahresbericht von Amnesty International. Ein im Jahr 2008 erlassenes Dekret garantiert, daß Polizisten, Zöllner und Geheimdienstmitarbeiter nicht für Verbrechen belangt werden können, die sie während ihrer Arbeitszeit begehen.
Gegen die nichtarabische Bevölkerung führt die Regierung eine Art Krieg, sie ist permanenter Verfolgung und Schikanen ausgesetzt. Das Land, dessen Bevölkerung zu drei Vierteln aus Sunniten besteht, wird politisch und ökonomisch von der Minderheit der Alewiten dominiert (einer religiösen Gruppierung, die aus streng sunnitischer Sicht noch nicht einmal islamisch ist). Deren Herrschaft geht zurück auf die Kolonialzeit, als die französischen Besatzer die Alewiten für ihre Besatzungstruppen rekrutierten, um Demonstrationen und Streiks sunnitischer Nationalisten zu unterbinden. Die seit 1971 währende Herrschaft der Assad-Dynastie, die zahlreiche Schlüsselpositionen in Militär, Wirtschaft und Politik mit Familienmitgliedern besetzt hat und selbst den Alewiten angehört, festigte die alewitische Vorherrschaft. Ganz unten in der Hierarchie der Volksgruppen stehen die Kurden, die etwa zehn Prozent der 20 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung ausmachen. Die Behandlung dieser nichtarabischen Minderheit zeige, wie "Araber sein" die grundlegende Definition eines Syrers wurde, schreibt der israelische Politikwissenschaftler Barry Rubin in seinem Buch The Truth about Syria. 1962 wurde jedem fünften syrischen Kurden die Staatsbürgerschaft entzogen. Die kurdische Sprache ist in Syrien verboten. Ende der sechziger Jahre wurde die Schaffung eines 15 Kilometer breiten und 350 Kilometer langen "arabischen Gürtels" entlang der türkischen und der irakischen Grenze beschlossen. Die dort lebenden Kurden sollten vertrieben und Araber an ihrer Stelle angesiedelt werden.
Zwar konnte der Plan nicht in vollem Umfang umgesetzt werden, doch gibt es in jüngster Zeit Anzeichen, die auf seine Wiederbelebung hindeuten. Das berüchtigte Dekret 49, das vor zwei Jahren erlassen wurde, erklärt das gesamte Siedlungsgebiet der syrischen Kurden zu einem "Grenzgebiet", in welchem der Verkauf oder die Verpachtung von Grundstücken nur noch mit der Genehmigung des Staates erlaubt ist, der willkürlich darüber entscheiden oder die Entscheidung unendlich verschleppen kann. Das wirtschaftliche Leben im Norden und Nordosten des Landes, der bereits unter den Folgen einer jahrelangen Dürre zu leiden hat, wird dadurch erstickt. "Für die Kurden gibt es buchstäblich keinen Platz in einem Staat, dessen Fundament auf einem inbrünstigen Beharren auf der arabischen Identität ruht", so Rubin.
Die Organisation Kurd Watch untersuchte im vergangenen Jahr 175 Fälle, in denen Kurden aus politischen Gründen festgenommen wurden. Neunzig von ihnen wurden angeklagt, meist wurden ihnen Verstöße gegen Artikel 336 ("Teilnahme an einer Demonstration") oder Artikel 307 ("Anstiftung zu sektiererischen und rassistischen Unruhen oder Konflikten zwischen Konfessionen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen") des syrischen Strafgesetzbuchs vorgeworfen - um dieses Verbrechens bezichtigt zu werden, genügt es nach Angaben von Kurd Watch bereits, auf einer Hochzeit kurdische Musik zu spielen.
Die Zahl der staatenlos gemachten syrischen Kurden und ihrer Nachkommen liegt Schätzungen zufolge bei dreihunderttausend. Sie können keinen Reisepaß beantragen, oft nicht einmal irgendein anderes offizielles Dokument, was ihre Möglichkeiten zu reisen, Eigentum zu erwerben, zur Schule zu gehen oder einen Job zu bekommen drastisch einschränkt.
Zynischerweise begründet ausgerechnet dieses Elend in den Augen des CDU-Bundestagsabgeordneten Reinhard Grindel, warum die syrischen Flüchtlinge schnellstmöglich abgeschoben werden müssen. Im Januar erklärte er bei einer Bundestagsdebatte über Anträge von SPD, Grünen und Linken, die verlangten, das Rücknahmeabkommen mit Syrien auszusetzen, die ablehnende Haltung der Union: Die Asylbewerber hätten "in nahezu allen Fällen ihre Ausweispapiere vernichtet und über ihre Identität getäuscht". Für die deutschen Ausländerbehörden sei es in der Vergangenheit ein "besonderes Problem" gewesen, daß "Syrien bislang keine Rückübernahme von Staatenlosen und Drittstaatsangehörigen zugelassen hat, obwohl eine Vielzahl Ausreisepflichtiger, die aus Syrien kommen, lediglich vorgibt (Hervorhebung d. Verf.), staatenlos zu sein oder eine andere als die syrische Staatsangehörigkeit zu besitzen."
Tatsächlich hätten viele Familien Verbindungen nach Syrien und in den Libanon, erklärt Bernd Mesovic, rechtspolitischer Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl. Seit dem Inkrafttreten des Rückübernahmeabkommens reiche es den deutschen Ausländerbehörden aus, irgendeinen Anknüpfungspunkt in Syrien zu finden, um die Flüchtlinge dorthin abzuschieben. Daß dies auch ein Ziel des Abkommens war, bestätigte der damalige Bundesinnenminister Schäuble seinerzeit ausdrücklich. Fortan werde es möglich sein, "nicht nur ausreisepflichtige syrische Staatsangehörige, sondern auch Drittstaatsangehörige und Staatenlose" nach Syrien abzuschieben. Das ist praktisch: "Wenn die Syrer bereit sind, die Leute aufzunehmen, haben die Ausländerbehörden natürlich ein Interesse daran, die Abschiebung auch zu vollziehen", sagt Mesovic.
57 Flüchtlinge wurden letztes Jahr nach Syrien abgeschoben, in ein Land, das das Auswärtige Amt so beschreibt: "Es kommt weiter zu willkürlichen Verhaftungen und Verurteilungen. Auch Fälle von Folter kommen weiterhin vor. Problematisch bleibt darüber hinaus die Lage staatenloser Kurden ... Viele Menschenrechtsverteidiger unterliegen einer Ausreisesperre oder sind inhaftiert. Meinungsfreiheit ist in Syrien ... nicht gegeben."
Nach ihrer Ankunft in Damaskus werden die Abgeschobenen vom Geheimdienst verhört. In Deutschland einen Asylantrag gestellt oder an einer Demonstration gegen das Rücknahmeabkommen teilgenommen zu haben, reicht aus, um wegen "Schädigung des Ansehens" des syrischen Staates verhaftet zu werden. Das Auswärtige Amt erhält nach eigenem Bekunden von den syrischen Behörden keine Auskünfte zum Verbleib aus Deutschland abgeschobener Flüchtlinge.
Von Amnesty International dokumentiert ist, was dem 20jährigen Berzani Karro widerfuhr, der von Zypern nach Syrien abgeschoben wurde. Bei seiner Ankunft am Flughafen von Damaskus wurde er verhaftet, verhört, gefoltert, drei Monate lang isoliert festgehalten und später zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Vorgeworfen wurde ihm, "Teile des syrischen Territoriums abspalten und von einer fremden Macht annektieren lassen" zu wollen.
Ein anderer bekannter Fall ist der des syrischen Kurden Khaled Kenjo. Er wurde im September 2009 in Syrien festgenommen, nachdem er zwölf Tage zuvor von Deutschland abgeschoben worden war. Die Anklage lautete auf "Verbreitung falscher Nachrichten in ausländischen Medien, die dem Ansehen des Staates schaden könnten". Nach Ansicht von Amnesty International stand die Anklage in Zusammenhang mit seinen Aktivitäten in Deutschland für die Rechte der kurdischen Minderheit in Syrien. Am 30. Dezember ordnete das Militärgericht von Qamishli seine Freilassung an, ohne die Anklagen gegen ihn fallenzulassen. Auch Khaled Kenjo wurde nach eigenen Aussagen in der Haft gefoltert.
Bei Interviews, die ich im Zusammenhang mit der Arbeit an diesem Beitrag geführt habe, wurde ich wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß ich, um die Sicherheit in Deutschland lebender Syrer nicht noch mehr zu gefährden, als sie es ohnehin schon ist, keine Namen von Exilanten nennen solle, außer denen, die allgemein bekannt sind. Der syrische Geheimdienst sei nämlich in Deutschland sehr aktiv. Ob er dabei auch auf Amtshilfe durch deutsche Stellen zählen könne, darüber wollten meine Gesprächspartner nicht spekulieren, denn natürlich gibt es dafür keinerlei Beweise. Überraschend wäre es allerdings nicht, denn die gute Zusammenarbeit mit dem ausländischen Dienst, der in deutschen Geheimdienstkreisen "Silberfuchs" genannt wird, ist allgemein bekannt. Am 22. Juli 2002 stoppte der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm die Anklage gegen zwei der Spionage in Deutschland verdächtigter Syrer - einen Tag, bevor die Hauptverhandlung hätte beginnen sollen. Wann immer es im Nahen Osten etwas zu "vermitteln" gibt, wird der BND eingeschaltet, weil er, wie es in Medienberichten dann üblicherweise heißt, dort "großes Vertrauen" genieße. Als der Al-Qaida-verdächtige Syrer Muhammed Haidar Zammar, der auch einen deutschen Paß besitzt, 2002 in Marokko verhaftet und von dort in ein syrisches Foltergefängnis gebracht wurde, durften Mitarbeiter des Bundeskriminalamts, des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes ihn dort "befragen". Die deutsch-syrischen Beziehungen seien "so gut wie nie", schrieb der "Spiegel" im Januar 2004. "Seit den Anschlägen des 11. September pendeln die Geheimdienst- und Polizeidienstdelegationen nur so hin und her zwischen Damaskus und Berlin." Bei einer Untersuchung des Falles Zammar im Jahr 2006 kam das Parlamentarische Kontrollgremium des Deutschen Bundestags zu der Überzeugung, daß dessen Befragung "Teil einer Gesamtabsprache zwischen der Bundesregierung und der syrischen Seite war, die dazu dienen sollte, die polizeiliche und nachrichtendienstliche Kooperation zwischen Syrien und Deutschland zu intensivieren".
Man hilft einander also nach Kräften; die Geheimagenten pendeln hin und her, aus Deutschland abgeschobene Syrer verschwinden auf Nimmerwiedersehen. So ist beiden Seiten gedient. Warum Deutschland trotzdem einen syrischen Guantánamo-Häftling aufnehmen wird? Vielleicht hat die Regierung in Damaskus ihre Freunde in Berlin darum gebeten, weil sie Scherereien mit radikalen Sunniten gerade nicht brauchen kann.
Stefan Frank schrieb in KONKRET 8/10 über den EU-Untersuchungsbericht zum Georgien-Krieg