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Nicht schlimmer als Norman Paech

Stéphane Hessels Empört euch! ist zum Überraschungsbestseller geworden.

Bestseller sind ein Mysterium. Warum fast alle sie lesen wollen, ist nicht leicht zu erklären, auch nicht beim vorliegenden Pamphlet, das eine Leerformel an die nächste reiht. Doch in Frankreich geht es weg wie warme Croissants; über eine Million Exemplare sind bereits gedruckt.

Anders als Thilo Sarrazin wird Stéphane Hessel immerhin keinen Schaden anrichten. Die Macht des Geldes ist zu groß; die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich; wer etwas erreichen will, muß gut vernetzt sein; Gewaltlosigkeit ist besser als Gewalt; "wir müssen hoffen, immerzu hoffen" usw. Das sind Thesen, denen einer zustimmen oder die er auch ablehnen kann, peu importe, es kommt nicht darauf an.

Hessel, der in der Résistance gekämpft hat, von der Gestapo gefoltert wurde und später französischer Diplomat war, beruft sich auf ein Regierungsprogramm des Nationalen Widerstandsrats aus dem Jahre 1944. Das Programm hat es in sich, fordert Vergesellschaftungen und soziale Maßnahmen, von denen viele kurz darauf tatsächlich offizielle Politik wurden. Hier machte sich der kommunistische Einfluß in der Résistance geltend. Man nutzte die Gunst der Stunde.

Allein, daß eine andere Stunde geschlagen hat, ist noch kein Grund, es nicht noch einmal mit einer ähnlichen Politik zu versuchen. Doch wird sie garantiert erfolglos bleiben, wenn sie Hessel folgt, der dem wunschlos unglücklichen Bürger rät, sich etwas zu suchen, das ihn empört. "Suchet, und ihr werdet finden!" Es ist, als ob sich einer kratzte, damit ihn endlich etwas juckt.

Hessel selbst jucken am meisten die Zustände im Gaza-Streifen, den er, wie die ARD, ein "Gefängnis" nennt. Er freut sich am Patriotismus der Palästinenser, liebäugelt mit der Hamas, verurteilt dann aber doch den Terror. Das ist unhistorisch, unpolitisch, unerfreulich, aber auch nicht schlimmer als Norman Paech.

Die Übersetzung versucht, das Ganze rhetorisch aufzupeppen, aus einer Jagd nach Geld wird ein "Tanz um das goldene Kalb", aus einer libertären eine "fast schon anarchistische Botschaft". Im Original erklärt Hessel, Jean-Paul Sartres Das Sein und das Nichts habe ihn nicht beeinflußt. In der Übersetzung steht das Gegenteil. Aber ist es so wichtig, was diesen Autor beeinflußt hat? Ich fürchte, nein.

Stéphane Hessel: Empört euch!. Aus dem Französischen von Michael Kogon. Ullstein, Berlin 2011, 30 Seiten, 3,99 Euro

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