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Das geht auch ohne Sozialismus!

oder: Fenchelsalami für alle! Was gilt heute noch als links?

Von Stefan Gärtner

Skepsis, den Kommunismus betreffend, ist laut R. M. Schernikau zu 98 Prozent ein Informationsproblem. Daran soll es in diesem "Bücherfrühling" (F. v. Lovenberg)

nicht scheitern: Wer will, kann sich die Zeit bis zum Eintreffen der Weltrevolution mit drei Büchern verkürzen, die alle vorgeben, das Informationsdefizit betreffs der Frage, was zeitgenössische Linkspolitik sei, zu mildern.

Ich sag's vorweg: Es lohnt nicht sehr. Jedenfalls nicht unter der Prämisse, daß eins tatsächlich erfahren wollte, was genau heutzutage links sei und was unter der roten Fahne noch oder wieder möglich wäre. Der Journalist und Politologe Christoph Ruf nimmt das Wort Sozialismus lieber erst gar nicht in den Mund; in Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu(C. H. Beck) beleuchtet er die Chancen für das, was er eine "Reformkoalition" aus Linkspartei, SPD und Grünen nennt, ein "neues linkes Projekt" für sich und den leidlich aufgeklärten, linksliberalen Mittelstand.

Auf einem Klassentreffen fängt alles an: Dort stehen die Mittdreißiger herum und haben das Gefühl, daß es mit Grünwählen nicht getan sei. "Mit den Grünen haben wir uns selbst verändert. Mittlerweile gehen wir mit der gleichen gelangweilten Routine alle paar Jahre zur Wahl, mit der die Generation unserer Eltern jeden Samstag das Auto wäscht." Ruf und seine Altersgenossen finden, daß zusammenwachsen müsse, was doch zusammengehöre: "Auf die Probleme des 21. Jahrhunderts kann nur die geeinte Linke eine politische Antwort geben." Also fährt Ruf durchs Land, besucht Ost- und West- und Alt- und Neulinke, läßt den (damaligen) Kreisvorsitzenden der Leipziger SPD frustriert und ratlos "die Agendapolitik" verteidigen, "die er in weiten Teilen genauso für richtig hält wie die Rente mit 67", spricht mit denen, die 2009 in der Thüringer SPD die mögliche rotrote Koalition verhindert haben, um lieber Juniorpartner der CDU zu werden, besucht in der bayerischen Provinz einen in der Wolle gefärbten Altsozen, der seiner Partei den Rücken gekehrt hat und das mit dem schönen Satz begründet: "Bei vielen, die in der SPD an der Macht sind, stelle ich eine moralische Verkommenheit fest, die mich sprachlos macht"; trifft in Bochum eine glühende Sozialistin von der Linkspartei und in Brüssel den Gründer der deutschen Sektion von Attac, einen erklärten Realo, der gegen die Linke schon deshalb nichts hat, "weil er skeptisch ist, ob es für SPD und Grüne allein reicht".

Was dem versierten Nichtstilisten Ruf ("Pronold bedient auch heute die Erwartungshaltung der Menschen") grosso modo gelingt, ist ein differenzierender Blick auf die heterogenen Milieus, die das neue linke Ding stemmen sollen: bürgerliche Grüne, linke Sozialdemokraten, Jungspontis, pragmatische Ost-PDSler: "Wenn am Ende ein sozial reformierter Kapitalismus herauskommt, wäre mir das auch recht." Was Ruf und seine Klassenkameraden wünschen, ist, Überraschung, eine grüne Sozialdemokratie fürs 21. Jahrhundert, in der "die Zivilgesellschaft zum entscheidenden Akteur wird", die skrupellose Lobbypolitik von Schwarz-Gelb aufhört und jede der drei Volksfrontparteien ihre Aufgabe hat: Die Grünen sind fürs Grüne da, die Linken fürs Grobe, und die SPD gibt acht, daß es nicht aus dem Ruder läuft. Ob das Kapital das mitmacht?

Der Rundfunkjournalist und gelernte DDR-Bürger Olaf Baale ist da skeptisch: Wer von Links in Deutschland rede, dürfe vom unaufhörlichen Niedergang einer von Herzen kommenden Bewegung nicht schweigen. Das Versprechen des Buchtitels (erschienen bei Das Neue Berlin), mit linken (oder wenigstens sozialdemokratischen) deutschen Realitäten ins Gericht zu gehen, wird allerdings nicht eingelöst. Baale interessiert sich mehr für den externen Klassengegner bzw. dafür, "wie und warum der linke Flügel beschnitten wurde" (Umschlagtext): Es geht um amerikanisch gesteuerten Antikommunismus im Kalten Krieg, um "Nato-Geheimarmeen", Journalismus im Dienste des BND und ungeklärte, der RAF zugeschriebene Terroranschläge, die, wie erwiesenermaßen Attentate in Italien, staatliche Geheimoperationen gewesen sein könnten. Auch Baale erhofft sich ein linkes Comeback, das aber erst in postamerikanischen Zeiten möglich wird, "wenn die Supermacht strauchelt oder sich möglicherweise ganz von der Weltbühne verabschiedet". Dann muß sich die Linke bloß noch "wirtschaftlichen Realitäten öffnen und eine auf keynesianischen Gedanken fußende Unternehmenskultur fördern" - fertig ist die neue Gesellschaft. Wer aber Lust hat, die Geschichte des Kalten Krieges als die Kriminalgeschichte zu lesen, die sie war, und sich nicht scheut, Grenzmarken zum Verschwörungstheoretischen zu betreten, der kann an Baales Buch, trotz des völlig irreführenden Titels und der grauen Diktion, seinen Spaß haben.

Der glänzendste Beitrag zum Thema stammt indes vom "SZ-Magazin"-Journalisten Tobias Haberl, der, als erklärter Nichtlinker, Mein Jahr in der Linkspartei (Wie ich mal rot wurde. Luchterhand) schildert. Der Arztsohn und ehemalige Journalistenschüler, der seine Weihnachtseinkäufe gern in New York erledigt, stemmt sich zwar angeblich "gegen die eigene Verbürgerlichung" und die seiner Münchner Gutverdienerumgebung ("Menschen, die sich keinen Salat mehr ohne Pinienkerne vorstellen können"), ist aber, wenn man von der Finanzkrise einmal absieht, mit der Welt ziemlich einverstanden. "Wie kann es möglich sein", hört er Lafontaine einmal über die Familie Schaeffler herziehen, "daß eine Frau zusammen mit ihrem Sohn ein Vermögen von 12 Milliarden Euro besitzt? " Haberls Antwort ist direkt preisverdächtig: "Also ich halte das sehr wohl für möglich ... Ich kann an einer Frau, die von ihrem Mann ein Unternehmen geerbt hat, nichts Böses finden. Nicht einmal, wenn Deutschland Billionen von Schulden und mehr als sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger hat. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun (!). Maria-Elisabeth Schaeffler hatte Glück (!!), genau wie meine Kollegin, die neulich bei Günther Jauch eine halbe Million Euro gewonnen hat." Warum die Arzthelferinnen seines Vaters, die ihren Chef vergöttern, diesen enteignen und zum Kollektiv werden sollen, versteht das Glückskind Haberl ebenfalls kein Stück. Aber daß es in Zeiten, in denen die Pinienkerne im Salat so ungerecht verteilt sind, eine Linkspartei gibt, ist immerhin "logisch". Und da Haberl sich eh langweilt, wird er Parteimitglied und begibt sich undercover auf Selbstfindungstour; findet manche(s) Linke gut, andere(s) nicht so gut, auf Parteisitzungen wird ziemlich viel gelabert, und alle nehmen alles immer furchtbar ernst. Am Ende steigt der teilnehmende Beobachter mit einem Freund auf den Kilimandscharo und notiert: "Linkssein als Sinnhorizont, als Sehnsucht, als Korrektiv für den Wahnsinn, der da draußen tobt, Solidarität und Gerechtigkeit als Lebensprinzip, das kann ich mir vorstellen, aber das geht auch ohne Sozialismus", namentlich ohne dessen "Kontrollwahn", und dann wird zustimmend Jan Fleischhauer zitiert. Und dann geht's zum Viktualienmarkt, Fenchelsalami kaufen.

Dietmar Dath ist nach eigener Aussage Kommunist, weil er keine reichen Eltern hat. Aus dem umgekehrten Grund ist Haberl keiner und verwendet sich für "Risiko" und "Freiheit". Zu zeigen, daß es wirklich so einfach ist, ist zwar das einzige Verdienst seines deprimierenden Buches, aber immerhin.

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