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Im Mai endete der Demjanjuk-Prozeß.

Ein Bericht von Florian Sendtner

"Die Luft würde gereinigt werden, wenn endlich mal ein menschliches Wort fiele - es ist nicht gefallen, und es wird auch nicht mehr fallen." Was Fritz Bauer, der hessische Generalstaatsanwalt, der den Frankfurter Auschwitz-Prozeß 1963 ff. initiierte, über die dort angeklagten Massenmörder resigniert feststellte, bewahrheitete sich nun erneut vor dem Münchner Landgericht. Der 91jährige Iwan Demjanjuk, der hier vor der 1. Strafkammer vor Gericht lag (man hatte ihm ein Bett in den Gerichtssaal gestellt), zog 93 Verhandlungstage lang seine Baseballkappe vors Gesicht und schwieg. 93 Tage lang saß eine Dolmetscherin neben seinem Bett und übersetzte für ihn simultan jedes deutsch gesprochene Wort ins Ukrainische. Ein absurdes Schauspiel: Eine junge Frau erzählt einem alten Mann sein Leben - in allen grausigen Details, die er längst verleugnet und verdrängt hatte.

Zeugen der Anklage und vorgelegte Dokumente belegen, daß der gebürtige Ukrainer im Alter von 23 Jahren, nachdem er als Soldat der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war, Mordgehilfe im deutschen Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen wurde. Die akribische Beweisaufnahme ergibt, daß es nicht, wie in der Anklageschrift angenommen, 27.900 Personen waren, die während der kurzen Tätigkeit Demjanjuks in Sobibor dort im Sommer 1943 mit Motorabgasen ermordet wurden, sondern 28.060, zumeist aus Holland deportierte Juden, darunter auch deutsche Staatsangehörige. Wobei Demjanjuk, wie Richter Ralph Alt in seiner Urteilsbegründung feststellt, "keinen Einfluß auf die Zahl der Opfer" hatte - "er hat's genommen, wie es kam" - etwa den Transport vom 9. Juli 1943 mit 2.403 Todgeweihten. Bei 16 dieser Transporte paßte der Wachmann auf, daß alle ordnungsgemäß in die Gaskammer kamen. Für jede dieser "Tateinheiten" wurde Demjanjuk zu vier Jahren verurteilt; 16 mal vier, das ergibt nach der Rechenkunst der deutschen Justiz des Jahres 2011 eine Gesamtstrafe von fünf Jahren. Immerhin bestand das Gericht darauf, daß der Angeklagte das Urteil nicht im Bett liegend, sondern im Rollstuhl sitzend entgegennahm.

Fünf Jahre für Beihilfe zum Mord in 28.060 Fällen, das sind eineinhalb Stunden pro Ermordeten. Immerhin, bei Urteilen der fünfziger und sechziger Jahre kam nicht selten ein Schnitt von zehn Minuten heraus - oder gleich ein Freispruch. Und, immerhin, kein Justizbeamter salutierte vor Demjanjuk, wie seinerzeit vor den Angeklagten in Frankfurt. Und, nicht zuletzt: In der ehemaligen Hauptstadt der Bewegung, in der die Idee des Massenmords geboren wurde, weiß jetzt zumindest eine kleine Minderheit mit dem Namen Sobibor etwas anzufangen. Immerhin.

Literatur: Matthias Janson: Hitlers Hiwis. Iwan Demjanjuk und die Trawniki-Männer (konkret texte 51), 120 Seiten, 14 Euro

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