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Wehrpflicht und Zivildienst sind Geschichte, Armee und Caritas suchen jetzt Freiwillige.

Von Ralf Schröder

Es hat in der jüngeren Vergangenheit wohl kaum eine Reform gegeben, die auf so wenig Widerstand gestoßen ist wie die Abschaffung beziehungsweise die Aussetzung der Wehrpflicht. Bezüglich der Auswirkungen auf die Bundeswehr äußerten in der jüngeren Vergangenheit lediglich DGB-Chef Michael Sommer und Agnes Malcak Bedenken, die für die Grünen im Verteidigungsausschuß des Bundestags sitzt. Sommers Kritik war ziemlich kryptisch, er warnte im März davor, der geplante neue Freiwilligendienst könne als "eine Art Billigvariante einer Berufsarmee" nicht funktionieren. Falls man die Wehrpflicht tatsächlich aussetze, "wäre es eine Alternative, mehr Zeitsoldaten zu gewinnen. Die müssen aber ordentlich bezahlt werden." Agnes Malczak, die sich selbst als "jüngste Frau im Bundestag" vorstellt, gab dem Deutschlandradio vor einigen Wochen ein Interview zum Thema, das nebenbei überzeugend dokumentierte, mit welcher Hingabe sich die Grünen mittlerweile der Wehrpolitik widmen: "Ich glaube nicht, daß die Bundeswehr durch die Aussetzung der Wehrpflicht jetzt zum Staat im Staate wird - das ist ja so eine Angst, die dann immer geäußert wird -, aber ich glaube schon, daß wir eine neue Diskussion um innere Führung und auch um das Verhältnis von Gesellschaft und Bundeswehr brauchen."

Nörgelei an der Abschaffung der Wehrpflicht kam mit Bekanntwerden der Pläne auch von den Sozialverbänden, die sich daran gewöhnt hatten, einen nennenswerten Teil ihrer Angebote kostengünstig durch Zivildienstleistende abzudecken. Nachdem der drohende Hinweis verschiedener Träger, daß sie die Versorgung und Betreuung von Alten und Kranken infolge der Reform weiter reduzieren müßten, keinerlei öffentliches Echo hervorgerufen hatte, wurde es in dieser Ecke stiller - zumal die Anzahl der Zivildienstleistenden aufgrund der Einberufungspraxis und der verringerten Dienstdauer zuletzt bereits eklatant gesunken war: 2009 waren rund 85.000 Zivis im Einsatz, im März 2011 nur noch 45.100. Soweit die Vorgeschichte.

Im Ergebnis führt die Aussetzung der Wehrpflicht zu zwei Formen der Freiwilligkeit, die sich eklatant voneinander unterscheiden. Wer bei der Bundeswehr anheuert und dort bis zu 23 Monate Dienst schiebt, wird liebevoll umworben und vergleichsweise fürstlich entlohnt. "Während Wehrdienstleistende bisher nur 378 Euro im Monat verdienen, werden es künftig 777 bis 1.146 Euro sein. Hinzu kommen weitere Leistungen wie Unterkunft, Verpflegung, ärztliche Versorgung oder Sozialversicherungsbeiträge", faßte die Deutsche Presseagentur Anfang Juni zusammen. Unter dem Label "Wir. Dienen. Deutschland." hat die Bundeswehr ihre ohnehin schon schwungvolle Werbekampagne weiter intensiviert, allein fünf Millionen Euro ließ man sich eine Anzeigenserie in der "Bildzeitung" und Werbespots auf Pro Sieben kosten - schließlich seien, so stand es bereits im Februar im 37seitigen "Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr", künftig "verstärkt auch junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung beziehungsweise ohne Schulabschluß personalwerblich anzusprechen". Aber auch mit Blick auf besser qualifizierten Nachwuchs müht sich die Bundeswehr verstärkt um den Ruf, eine hervorragende Station für den Start in eine grandiose Berufslaufbahn zu sein, die betreffende Website hat man gleich "bundeswehrkarriere.de" genannt.

Verteidigungsminister de Maizière hat vor einigen Wochen im Gespräch mit der "Welt" skizziert, wie er die "Freiwilligenarmee" für künftige Anforderungen, zu denen vor allem weitere Auslandseinsätze zählen dürften, mit Führungskräften und Kanonenfutter versorgen will: "Ich will das in einem Dreiklang vermitteln. Der lautet erstens: Man muß ordentlich Geld verdienen. Da muß man nicht verdruckst drumrumreden. Zweitens: Die bis zu 23 Monate Freiwilliger Wehrdienst bei der Bundeswehr müssen attraktiv sein. Wenn man diese Zeit hinter sich hat, muß man sagen: Das war erfüllend, reifend, prägend, fröhlich, kameradschaftsbildend. Überhaupt ist der Begriff der Kameradschaft unter Soldaten einmalig. Also: Geld verdienen, eine attraktive Zeit haben und dann dem Land dienen, kurzum: Sich selbst einen Dienst erweisen und auch dem Land einen Dienst erweisen - wenn das zusammengeht, dann haben wir gewonnen": Die Redundanzen und der Ton solcher Statements zeigen schöner als jede Analyse, wie die Allianz aus Werbeagentur und Kriegsbürokratie tickt und welches Publikum sie im Blick hat. Als Anfang Juli eine erste Bilanz der Kampagne zu ziehen war, herrschte allseits Zufriedenheit: 3.400 freiwillig Dienende rückten in die Kasernen ein, darunter waren allerdings zur allgemeinen Verwunderung lediglich 44 Frauen.

Deutlich weniger Glanz fällt auf den Bundesfreiwilligendienst (BFD), der als Ersatz für den Zivildienst gedacht ist. "Zeit, das Richtige zu tun" oder "Nichts erfüllt mehr, als gebraucht zu werden" - so heißt es auf den Werbeplakaten für den BFD, die zuständige Familienministerin Schröder sagt gerne, "der neue Freiwilligendienst" sei "eine Einladung an Menschen jeden Alters, sich für die Allgemeinheit zu engagieren". Mit 35.000 Bundesfreiwilligen rechnet das neuerdings zuständige "Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben" für 2012, zum 1. Juli meldeten sich gerade einmal 3.000 "Bufdis" zum einjährigen Dienst. Der BFD ist eine Erfindung der Strukturkommission der Bundeswehr, die bereits im Oktober 2010 empfohlen hatte, einen freiwilligen Dienst einzuführen, "der allen erwachsenen Bürgerinnen und Bürgern offensteht und ihnen die freie Wahl des Engagements bietet". Als Beschäftigungsmöglichkeiten wurden unter anderem Krankenhäuser, Wohlfahrtsverbände, Hilfsorganisationen sowie Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen und Katastrophenschutz genannt.

Eine repräsentative Umfrage des WDR von Mitte Juni ergab, daß nur jeder dritte Jugendliche oder junge Erwachsene zwischen 15 und 30 Jahren darüber nachdenke, sich auf diese Weise zu "engagieren". Das ist wenig erstaunlich, denn für die Vollzeitbeschäftigung gibt es gerade einmal 330 Euro "Taschengeld". Die einzigen, die dieses skandalöse Modell einer halbwegs seriösen Kritik unterzogen, waren Verdi, der DGB und einige Abgeordnete der Linkspartei, die, ohne daß jemand zuhörte, vor einer neuerlichen Ausweitung des Niedriglohnsektors warnten. Dabei ist genau das der Kern des ganzen Unterfangens. Die "FAZ" berichtete schon Anfang Juli, daß Träger von BFD-Dienststellen versuchen, die Preise weiter zu drükken, die Rede war von 190 Euro Taschengeld für einen 40-Stunden-Job.

Um diese trüben Aussichten ein wenig aufzuhübschen, hatte Bundespräsident Wulff bereits im April einen Karrierebonus für Absolventen der künftigen Freiwilligendienste gefordert. Gemeinnütziges Engagement bei der Bundeswehr oder im zivilen Bereich sollte auch von Wirtschaftsunternehmen bei der Bewerberauswahl gewürdigt werden. Entsprechend wollten CDU und FDP schon bei der Beratung des Gesetzes festschreiben lassen, "daß ein abgeleisteter Freiwilligendienst ein besonders positives Merkmal im Lebenslauf ist".

Am 4. Juli war im "Weserkurier" eine erste Reportage über den Alltag im Bundesfreiwilligendienst zu lesen. Es ging um die 19jährige Irmgard Maria Scholübbers, die den Bund für Umwelt und Naturschutz unter anderem "bei der Zählung von Vogelnestern oder Froschlaich im Frühjahr" unterstützen soll. Die Headline hatte das Zeug zum Refrain für alle gesammelten Freiwilligengedichte, sie lautete "Ein Bufdi zieht durchs Moor."

Ralf Schröder schrieb in KONKRET 7/11 über das deutsche Hartz-IV-Programm für die EU

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