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Mini-Revolte

Geht es nach einer Handvoll Profi-Feministinnen, wird aus dem ersten deutschen Slutwalk ein Trauermarsch in Sack und Asche.

Von Laura Eißenberger

Es war bereits im Januar, als einem Polizeibeamten im kanadischen Toronto jener Satz aus dem Mund flutschte, der in Männerköpfen heutzutage meistens sorgsam eingeschlossen bleibt: "Women should avoid dressing slutty in order not to be victimised." Die Frau im Minirock, die vergewaltigt wird, trägt also mindestens einen Teil der Verantwortung für das Verbrechen des Triebtäters. Tag für Tag bezeugen nicht nur entsprechende Schlagzeilen die Verbreitung dieser Auffassung, sondern auch richterliche Urteile und Stimmen aus vorgeblich emanzipierten Kreisen. Mit den Worten "I've been told I shouldn't say this" leitete der kanadische Officer seinen berühmten Ausspruch ein, und eben dieser verlogene "Ich selbst bin ja anderer Meinung, aber es ist so"-Modus findet sich in der westlichen Welt überall.

Die dumme Bemerkung war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen und die Frauen in Toronto in Highheels auf die Straßen brachte. Im April versammelten sie sich dort zum ersten Slutwalk. Statt der erwarteten 100 kamen 3.000 Frauen und demonstrierten: für ihr Recht, sich sexy zu kleiden, und gegen die Unterstellung, damit eine allgemeine Aufforderung zum Sex auszusprechen. Es ist das Image von Heiliger und Hure, gegen das sich die Bewegung wendet, gegen die Mär vom triebgesteuerten Mann, der den Lockungen des Weiblichen willenlos erliegt, gegen ein Dasein der Frau als passives Objekt, das der männlichen Willkür auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist und sich am besten durch eine Burka zu schützen hat.

Aus dem Skandälchen in Übersee wurde eine globale Bewegung, die zugleich politisch selbstbewußt und lustvoll sexualisiert ist - und eine Mordsgaudi für alle Beteiligten, vergleichbar dem Christopher Street Day in seinen Anfangszeiten. Nach dem Slutwalk in Kanada zogen die selbsternannten Schlampen durch die USA, Brasilien und Australien, und im Juni wurden auch in Europa die Stilettos gespitzt und die Ausschnitte tiefer gezogen, um auf dem Dekolleté stolz mitzuteilen: "I'm a slut."

Man darf darin den ersten Vorstoß in Richtung eines neuen Feminismus sehen, der mit patriarchalen Erwartungen spielt und diese entlarvt und der seinen letzten Zufluchtsort nicht in Männerhaß oder Asexualität findet, sondern im Gegenteil einen lockeren Zusammenschluß von starken Individuen mit Freude an Körperlichkeit und Selbstbestimmung bildet. Lose verwandt ist die Slutwalk-Bewegung mit jener der Riot Grrls in den Neunzigern. Der entscheidende Unterschied besteht in der Heterogenität der Teilnehmerinnen. Hier handelt es sich nicht um eine kleine Subkultur, die sich hauptsächlich über ihre Musik definiert. Hier geht es um den viel weiter gefaßten Anspruch, als Frau ebenso sexuell aktiv, provokant und selbstbestimmt zu sein wie jeder Mann.

Bei den internationalen Slutwalks ließ sich beobachten, wie unterschiedlich die Motivationen und entsprechend die nach außen getragenen Interpretationen waren: Während viele Frauen betont "slutty" auftraten, trugen andere in normaler Straßenkleidung Transparente mit Aufschriften wie "I was wearing jumper and jeans", und wieder andere zeigten die Ernsthaftigkeit ihrer Solidarität durch Grabesmiene, Sack und Asche.

Erstes Treffen zur Slutwalk-Organisation in Berlin: Gut ein Dutzend Frauen sitzt in einem dunklen Souterrain in Kreuzberg. Wer etwas sagen will, hebe bitte die Hand. Wer eine Idee hat, diskutiere bitte bis zum multiplen Konsens. Anwesend sind unter anderem eine Rapperin, die ihrer Karriere mit einer Slutwalk-Hymne endlich zum Durchbruch verhelfen möchte, ein bekifftes lesbisches Pärchen, das den Slutwalk als erweiterten Christopher Street Day versteht, und zwei extrem engagierte feministische Autorinnen, von denen die eine, Sandra Grether, eine sehr deutsche Sorge auf den Punkt bringt: "Wie wir mit der Gefahr umgehen, daß der Spaßfaktor eine größere Rolle spielt als die politische Dimension, ist vor allem eine Frage der Kommunikation." Nachdem die professionelle Feminismusforscherin die Kommunikation in alles andere als emanzipierter Weise an sich gerissen hat, ist sowieso Schluß mit lustig. Frauenrechte sind eine ernste Sache - wer als erste lacht, hat verloren.

Die Oberhand haben also schnell jene gewonnen, die aus der lebensfrohen Politparade eine dröge Veranstaltung machen wollen. Während bei den Slutwalks in anderen Ländern politisches Engagement auch Spaß machen darf und die Organisation nicht kleinen Zirkeln vorbehalten ist, sondern allen, die ein berechtigtes Interesse, gute Ideen und Freude an der Sache haben, reißt in Deutschland eine kleine intellektuelle Gruppe die Führung an sich, weil die Masse der Frauen in den Augen dieser Erbinnen Alice Schwarzers zu dumm ist, für sich selbst zu entscheiden. So offenbart sich in der deutschen Feminismusszene eine Denkweise, die der plump patriarchalen in nichts nachsteht: Die Schwachen, die Opfer, müssen von jenen geführt werden, die besser als die Betroffenen wissen, was gut für sie ist. Das Thema, um das es einmal ging, wird zerredet, bis nach dem "Reise nach Jerusalem"-Prinzip nur noch die übrig sind, die es bitterlich ernst meinen. Die hiesige Plenums-Unkultur hat sich ungebrochen bis heute gehalten - leider auch unter Frauen.

Der zentrale Slogan der ersten Frauenbewegung, damals in seiner Radikalität und Einseitigkeit eine notwendige Selbstverteidigung gegen eine vollständig männlich dominierte Gesellschaft, läßt sich heute, in Zeiten eines neuen feministischen, vor allem aber weiblichen Stolzes, erweitern: Aus dem abwehrenden "No means no" der potentiellen Opfer wird ein "No means no - yes means yes".

Eine Abstimmung mit den Füßen in High-heels könnte dem Feminismus hierzulande zu mehr Lockerheit und Bedeutung verhelfen. Auf Facebook haben sich für den Slutwalk Berlin am 13. August bereits 1.500 Teilnehmerinnen eingetragen, und eben deren Heterogenität wird dafür sorgen, daß weibliches Selbstbewußtsein nicht nur in müffelnden Eliteklubkellern präsent ist, sondern als chaotische und lebendige Massenveranstaltung auf der Straße - in Sack und Asche wie in billigen Miniröcken, mit starken Sprüchen wie mit aufreizendem Augenzwinkern. Feministisch Revolutionäres, ein gewaltiges emanzipatorisches Potential ist von den Slutwalks vorerst nicht zu erwarten. Aber es sind verdammt stolz stöckelnde Schritte auf dem steinigen Weg zur Gleichberechtigung.

Der Berliner Slutwalk am 13. August startet ab 15 Uhr an der Gedächtniskirche.

Laura Eißenberger war Mitorganisatorin des Berliner Slutwalks und hält unter dem Pseudonym MadMoiselle gelegentlich Lesungen ab

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