Agitprop aus dem Recyclinghof: Wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht die Linke beim Volk und bei der Wirtschaft beliebter machen wollen. Von Ralf Schröder
Die Linkspartei hat zuletzt keinen guten Lauf gehabt. Seit dem Frühjahr 2011 gab es eine Serie drastischer Wahlniederlagen, in NRW kam die Partei im vergangenen Mai nur auf 2,5 Prozent der Stimmen, in Schleswig- Holstein auf 2,2 Prozent. Zur Zeit herrscht intern die Meinung vor, man müsse sich mächtig ins Zeug legen, um bei der kommenden Bundestagswahl eine Blamage zu verhindern.
Vorweg schreiten dabei Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, die mindestens zweierlei gemeinsam haben. Erstens zählen beide zur exquisiten Kernbelegschaft der Talkshows, mit denen die TV-Anstalten das Publikum täglich beglükken. Zweitens konnten sie einander früher nicht ausstehen. »Was jetzt geschaffen werden soll«, sagte Wagenknecht zur Begründung ihres Widerstands gegen die drohende Vereinigung von PDS und WASG 2005 im KONKRET-Interview, »ist doch eine Partei, die mundgerecht auf Gysi und Lafontaine zugeschnitten ist.« Gysi seinerseits machte nie einen Hehl aus der Ansicht, seine Partei würde ohne die lange Jahre von Wagenknecht mitangeführte Kommunistische Plattform bei den Wählern deutlich besser ankommen.
Mittlerweile hat sich das Verhältnis entspannt. Wagenknecht hat politisch in der Mitte der Partei Platz genommen, ein Ort, den Gysi und seine Leute peu à peu nach rechts verschieben. Bevor Wagenknecht stellvertretende Parteivorsitzende werden konnte, erklärte sie 2010 die Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform für »ruhend«. Jüngst ließ sich die »fotogene Thüringerin« (»Zeit«) von Gysi via »Bunte« zur kommenden Kandidatin für die Fraktionsspitze ausrufen, wobei der Ton des Amtsinhabers klang, als sei er der Impresario einer westfälischen Stutenschau. Sie habe »eine gute Entwicklung« gemacht, so Gysi, und: »Sie hat einen distanzierten Charme, der Männer besonders reizt.« Darüber hinaus: »Sie hat jetzt Zugang zu gehobenen Kreisen, deren Vertreter sie gern einladen.«
Warum das so ist, dokumentierte Wagenknecht vor einigen Wochen mit einem Aufsatz in »Christ und Welt«, deren Redaktion nach eigenen Angaben »Prominente gebeten« hatte, »das Hohelied der Liebe anzustimmen«. Angefragt war eine Deutung des 13. Kapitels aus dem 1. Korintherbrief, und die »schöne Sahra« (»Bild«) war darum keineswegs verlegen. »Es gibt nichts Sinnstiftenderes als die Liebe«, schrieb sie. »Wer liebt, fragt nicht nach dem Warum. Liebe ist. Sie überwindet Grenzen, Ängste, sie überwindet Hoffnungslosigkeit und Schmerz. Deshalb ist das Hohelied der Liebe aktuell. Gerade heute.« In dieser nicht gerade knapp geratenen Aneinanderreihung von Kalendersprüchen finden sich auch einige, die unmittelbar mit den jüngsten politischen Posen der Autorin korrespondieren: »Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, nicht darum, die eigenen Interessen durchzusetzen, sondern das Gemeinsame zu finden. Liebe reflektiert die Sicht des anderen und beschränkt den Egoismus.«
Der Text wie der Ort seines Erscheinens zeigen exemplarisch die absurde Mechanik, die die mediale Dauerpräsenz der linken Betriebsnudeln beim Publikum zum Erfolgsmodell macht. Wagenknecht und Gysi spielen habituell nach wie vor gekonnt die Rolle der Dissidenten, suchen in ihrem Sprechen aber immer unverhohlener den Beifall der hiesigen Spießer. Als die »Taz« Gysi im Sommer 2006 anläßlich der Fußball- WM zum Thema der hunderttausendfach auftretenden »jungen Deutschen in Schwarzrotgold « interviewte, klangen die Fragen der Redakteure wie im Verhör eines Volksgerichtshofes. »Sie fiebern also mit der deutschen Fußball- Nationalmannschaft mit?« lautete eine, und Gysi sagte: »Ich freue mich für sie, aber auch das hat gedauert« – mittlerweile eine Spezialität der linken Systemkritiker: Im Verweis darauf, das Ja zum Bestehenden in einem harten inneren Kampf errungen zu haben, will noch der krudeste Konformismus als Ereignis, als tiefere Einsicht, als Rebellion geadelt werden. Gleich darauf gefragt, was an dem früher unter Linken weitverbreiteten »antideutschen Gefühl falsch« war, prinzipiell zum Gegner der deutschen Elf zu halten, sagte Gysi: »Dieses Gefühl kenne ich gut, auch von mir selbst, obwohl ich es nie für richtig gehalten habe.« Von den Konservativen seien die Linken immer aus der Nation ausgegrenzt worden. »Diese Linken haben das irgendwann akzeptiert und sich nur noch außerhalb und gegen die Nation definiert. Das war zwar verständlich, aber ein Fehler. Eine Linke mit einem so gestörten Verhältnis zur Nation kann natürlich nie mehrheitsfähig werden. Eine Nation, die man nicht will, kann man nicht führen. Da ist ein Widerspruch im Kopf und ein Widerspruch im Herzen.«
Eine Erkenntnis, die im Lauf der vergangenen Jahre zum Programm geworden ist – es gibt kaum ein nationales Ressentiment, das von Gysis Populismus nicht eingemeindet worden wäre. 2010, beispielsweise, wartete er im Bundestag mit der Eingebung auf, die Wiedervereinigung der Deutschen sei vor allem deshalb ein »Gewinn«, weil seit »dem 3. Oktober 1990« ausgeschlossen ist, »daß es einen Krieg zwischen beiden deutschen Staaten gibt, mitverursacht von den Weltmächten. Anschließend hätte es das deutsche Volk gar nicht mehr gegeben. « Daß er der aktuellen Regierung vorwirft, national unzuverlässig zu sein, gehört ebenfalls wie selbstverständlich zum linken Marketing. Die Politik Merkels in der Euro-Krise analysierte Gysi in einem Interview Anfang Juli so: »Aber mal abgesehen davon, wissen Sie, was das Problem von Frau Merkel ist? Sie versucht natürlich, deutsche Interessen zu vertreten, und kriegt das nicht richtig gebacken.«
Im gleichen Zusammenhang hat Gysi in den vergangenen Monaten den hierzulande äußerst beliebten Wahn rehabilitiert, die Deutschen seien seinerzeit vom Ausland in die Fänge Hitlers getrieben worden. »Man darf Griechenland nicht bis ins Mark demütigen, wie das die Siegermächte des Ersten Weltkriegs mit Deutschland in Versailles gemacht haben«, wiederholte er jüngst, nachdem er bereits im Februar gesagt hatte: »Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall.« Erfunden hat Gysi die durchgeknallte Analogie im Juni 2011, damals titelte der »Spiegel«: »Gysi warnt vor Versailles- Politik gegenüber Griechenland.«
Auch im Hinblick auf andere Themenfelder orientiert sich Gregor Gysi gern an den Melodien der Stammtische. Palästina müsse jetzt Vollmitglied der Uno werden, und Deutschland solle endlich Botschafter mit Palästina austauschen, forderte er im September 2011 im Bundestag. »Erklären Sie einmal den Palästinenserinnen und Palästinensern, weshalb sie wegen unserer Geschichte benachteiligt werden«, forderte er das Plenum auf. Versailles paßte diesmal nicht zur Linie der Argumentation, dafür kam das Plädoyer »für eine kernwaffenfreie Zone im Nahen Osten«. Das betreffe »nicht nur Israel, sondern verhindert vor allem auch eine atomare Aufrüstung des Iran«: eine heiße und exklusive Neuigkeit aus dem Handbuch für Diplomatie, die von der Weltöffentlichkeit allerdings merkwürdigerweise vollständig ignoriert wurde.
Auf dem Gebiet der Ökonomie arbeiten die Fontleute der Linkspartei ebenfalls nachhaltig an ihrer Mehrheitsfähigkeit und befassen sich deshalb fast ausschließlich mit dem Umlauf und der Verteilung des Geldes – Themen, zu denen jeder aufgeklärte Staatsbürger so seine Standpunkte hat. In der Euro-Debatte stellte Gysi zuletzt im September fest: »Das illusorische Ziel, aus Geld Geld zu machen, nicht dafür zu arbeiten, sondern mit Spekulationen Geld zu machen, führt zu diesen Krisen.« Entsprechend klingt auch der Leitfaden für den Widerstand: »Die Bürgerinnen und Bürger und die Realwirtschaft können deutlich machen, daß sie keine Zockerbanken, sondern vernünftige Kreditinstitute wollen. Man kann, ja man sollte sein Geld gerade heute von Sparkassen und Genossenschaftsbanken verwalten lassen. Niemand ist gezwungen, den Großbanken mit seinem Geld auf deren Konten eine Grundlage für das Finanzroulette zu liefern«: Antikapitalismus, der sich aus bloßer Anschauung speist, geht so einfach und dumm wie eh und je.
Besondere Aufmerksamkeit widmet der Fraktionschef der Linkspartei neuerdings dem Mittelstand: »Mein Gott«, sagte er im März im Bundestag in einer Debatte über Solarförderung zu den Abgeordneten der FDP, »Sie haben sich doch einmal als Mittelstandspartei gegründet, und jetzt machen Sie den Mittelstand tot. Nun müssen wir als Linke uns auch noch um den Mittelstand kümmern, weil Sie es nicht tun.« Bereits im Februar 2011 war es an gleicher Stelle ebenfalls um den besagten Stand gegangen. »Sie wundern sich, daß die Linke zum Thema Mittelstand spricht. Wir sind die eigentliche Mittelstandspartei«, erklärte Gysi dem Plenum und flunkerte dann genauso unbefangen weiter: »Der Mittelstand braucht den flächendekkenden gesetzlichen Mindestlohn, den Sie verhindern. Er braucht auch steigende Löhne.« Aus den Reihen der CDU, so verzeichnet das Protokoll des Parlaments, war bereits zu Beginn der Ausführungen der treffende Ruf »Büttenrede « zu vernehmen.
Sahra Wagenknecht hat die Auswege aus der Krise zuletzt in ihrem Buch Freiheit statt Kapitalismus untersucht. Das Werk sei »der Versuch, an Denkmuster anzuknüpfen, die sehr verbreitet sind, und sie so auf dem Weg zum Sozialismus mitzunehmen«, sagte sie im Gespräch mit der »Jungen Welt«. Wie das funktioniert, zeigt folgende Besprechung des Buches: »Wie Sahra Wagenknecht die Konzepte der Marktwirtschaftsgurus Schumpeter, Walter Eucken und Alfred Müller-Armack für eine bewußte staatliche Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen respektvoll darstellt und die Realisierung dieser Konzepte in der alten Bundesrepublik rühmt, ist aufsehenerregend. Ebenso ihre grundsätzliche Feststellung, daß es keine Feindschaft zwischen Marktwirtschaft und Allgemeinwohl geben muß. Wohlstand für alle! Erhard reloaded«, schrieb schwer begeistert Peter Gauweiler (CSU) in der »Süddeutschen Zeitung«: eine Kombination, die andeutet, wie breit und quer die Front für eine von spekulativen und finanzindustriellen Auswüchsen befreite Marktwirtschaft noch werden kann. Keime für neue ordnungspolitische Optionen findet Wagenknecht in »gut geführten, erfolgreichen und leistungsfähigen Familienunternehmen « – entsprechend bejubelt Gauweiler in seiner Eloge, mit ihrer Absage an »die globale Herrschaft gesichtsloser Kollektive« treffe die Autorin den Nerv der Zeit: »Freiheit statt Goldman Sachs.«
Ende August meldete dazu passend die »Welt«, Wagenknecht habe angeregt, »im Kampf gegen illegale Steuerflucht« eine »bundeszentrale Soko Finanzmafia« einzurichten. Diese könne immer dann eingesetzt werden, »wenn Steuern in Millionenhöhe entzogen werden, wenn Banken organisierte Beihilfe leisten oder mit manipulierten Kreditzinsen Privatverbraucher abzocken«. Die Soko Finanzmafia, so Wagenknecht, solle als »Bodyguard der ehrlichen Steuerzahler« fungieren. Schritt für Schritt zum Sozialismus.