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von konkret

Wohltun trägt Zinsen, heißt es. Auch wenn man mitunter sehr lang warten muß. 1977 hatte KONKRET-Herausgeber Gremliza dem Günter Wallraff wohlgetan, als er ihn über seine Erlebnisse als Hans Esser bei der »Bildzeitung« befragt und aus den Auskünften ein Buch gemacht hat, das als Der Aufmacher unter der Autorenzeile »Günter Wallraff« ein Bestseller werden sollte. Zehn Jahre später ließ Gremliza den Schwindel auffliegen: In seiner Rede zur Verleihung des Karl-Kraus-Preises an Wallraff gestand er, daß das Buch »von der ersten Zeile des Vorworts bis zur letzten des Nachworts, das unter dem Pseudonym Reinhold Neven Du Mont erschien, an meinem Schreibtisch entstand«. Nicht anders habe es sich »mit dem größten Teil des zweiten ›Bild‹-Buchs und einem kleineren des dritten« verhalten. »Die anderen Teile und die anderen Bücher, Aufsätze, Rezensionen und Reden haben andere geschrieben.«

Im Herbst 2012 veröffentlicht der Verlag Kiepenheuer & Witsch »Günter Wallraff: Der Aufmacher, Originalausgabe unzensiert!« Darin enthalten ist auch das Nachwort, erneut unterzeichnet von Reinhold Neven Du Mont, obwohl eine Einstweilige Verfügung der Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg es diesem im November 1987 bei Meidung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 Mark oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten »verboten« hat, »zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen, er habe das Nachwort zu dem Buch ›Der Aufmacher‹ selber verfaßt«.

Helge Malchow, der Nachfolger Neven Du Monts, hat zur Neuauflage des Buchs ein Vorwort beigesteuert, in dem es heißt:

Eine Überraschung für den heutigen Leser aber ist die erzählerische Rasanz des Buchs und die Komik, die in vielen Geschichten neben der Tragik steht. Das Entscheidende aber sind die analytischen und die politischen Dimensionen seiner Arbeit, die der Autor nie aus den Augen verliert.

Ich danke für die Blumen. Warum aber die Überraschung? Weil die »erzählerische Rasanz« und die »analytischen Dimensionen« in den Werken des Autors, die andere als Gremliza geschrieben haben, fehlt? Daß es heute in den Medien so viel besser aussehe als damals, läßt den Verleger in den Ruf ausbrechen:

Die vielen Fortschritte, die es hier seit Jahren gibt, sind der historische Verdienst Günter Wallraffs.

Der wesentliche Fortschritt dürfte sein, daß Wallraff heute mit »seinen« aufrüttelnden Undercover- Reportagen über die Erlebnisse als schwarz geschminkter Karnevalsjeck besser gefällt als anno olim seine Attacken auf Gerling, Springer und so weiter. Malchow übrigens meinte natürlich nicht den Verdienst, der auf der Honorarabrechnung steht, sondern das Verdienst. Aber warum sollte ein deutscher Verleger deutsch können? Um seine Autoren zu blamieren?

Soviel zum Wohltun. Nun von den Zinsen: Ob der erneute Abdruck des Nachworts unter der Autorenzeile »Reinhold Neven Du Mont« einen Verstoß gegen dessen Verpflichtung darstellt, die Behauptung seiner Autorenschaft zu unterlassen, wird, Uneinsichtigkeit des Täters vorausgesetzt, demnächst das Landgericht Hamburg zu entscheiden haben, das gegebenenfalls auch feststellen wird, was das kostet.

Michael Schillings Glosse in Heft 10/2012, die zur Beschneidungsdebatte anmerkte, »die Deutschen (haben) das Recht, Juden der Gebräuche ihrer Gemeinschaft wegen zu verfolgen, durch ihr tausendjähriges Reich verwirkt, jedenfalls für einige Zeit, sagen wir: auf tausend Jahre«, trägt KONKRET-Leser Clemens Heni die Erklärung einer Marlene Rupprecht, Kinderbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, nach:

Auf die Feststellung des Zentralratspräsidenten der Juden, Dieter Graumann, ohne Rechtssicherheit für Beschneidungen sei jüdisches Leben in Deutschland nicht mehr möglich, sagte Rupprecht, dies sei ein »Totschlagargument«. Man könne nicht sagen: »Wir hatten den Holocaust, also haben wir jahrhundertelang nichts zu kritisieren.«

Ein Satz, der präziser als jede Studie, jeder Essay, jede Friedenspreisrede markiert, was die Deutschen von Menschen unterscheidet.

Peter Bierl und Micha Brumlik, Autoren der soeben erschienenen Bände Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn. Kapitalismuskritik von rechts: Der Fall Silvio Gesell (konkret texte 57) beziehungsweise Innerlich beschnittene Juden. Zu Eduard Fuchs’ »Die Juden in der Karikatur« (konkret texte 58) stehen für Lesungen und verwandte Veranstaltungen ebenso zur Verfügung wie das Gemischte Doppel Horst Tomayer & Hermann L. Gremliza. Interessenten wenden sich zwecks Terminabsprachen bitte an den Verlag.

In den letzten Monaten ist KONKRET von diversen Internetanwälten gehörig zur Kasse gebeten worden. Der Verlag bittet deshalb diejenigen Leserinnen und Leser, die sich das leisten können, um eine Spende auf unser Rechtshilfe- Anderkonto 84 12 710/0 bei der Deutschen Bank (BLZ 200 700 24).

Horst Tomayer ist in diesem Monat ausnahmsweise nicht im Heft vertreten, dafür aber auf der Bühne zu sehen: am 2.11. geht es im Hamburger Thalia Theater um »100 Jahre schlechte(n) Sex«, gemeinsam mit Gerhard Henschel, Rayk Wieland und Ernst Kahl und am 4.11. liest und singt Horst Tomayer Texte und Gedichte zusammen mit Hermann L. Gremliza im Golem (Hamburg).

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