Dem Institut Solidarische Moderne zum Einjährigen
von Leo Fischer
Die Linke hat ein Theoriedefizit, hört man, und sie hat auch ein PR-Problem. Während Netzwerke wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die Nullerjahre hindurch den neoliberalen Diskurs voranpeitschten, lugte sie hinter dem Ofen hervor und hoffte das Beste. Nicht länger! Den Neoliberalen ist ein Herausforderer erwachsen, ein schneidiger roter PR-David gegen den gelben Goliath: Das »Institut Solidarische Moderne« feiert in diesem Monat einjähriges Bestehen. Nichts weniger als eine »Gegenhegemonie« möchte der SPD-nahe rotgrüne Thinktank errichten. Promis wie Franz Alt, Elmar Altvater und Andrea Ypsilanti haben ihn aufgebaut, und erfreulich viel junges Gemüse macht mit, darunter die Ex-Juso-Chefin Drohsel und die Sprecherin der Grünen Jugend, Gesine Agena.
Doch warum, könnte der Leser fragen, habe ich von diesem Projekt noch nie etwas gehört, warum ist der neue PR-Gigant faktisch unsichtbar? Das aber wäre ungerecht – ein Jahr nach ihrer Gründung waren auch die Hells Angels nicht sehr furchterregend –; gleiches gilt für die Frage, ob sich da nicht Viertrangiges aus linker Politik und Wissenschaft wieder mal etwas Bedeutung zurechtschwatzen möchte. Denn allein die mit einigem medialen Bombast begangene Gründung hat das Institut viel Kraft gekostet; verständlich, daß man sich da erst sortieren muß, Schreibtische aufstellen, Briefkästen beschriften, das kostet Zeit.
Und das Institut ist beileibe keine weitere Paper-Abwurfstelle! Hier soll ein künftiges rotgrünes Bündnis vorbereitet, die Diskussion mit NGOs wie Attac gesucht werden. Auch hier ließe sich Verdacht schöpfen: Attac? NGOs? Und Ypsilanti gar? Die Koch-Versagerin und Hessen-Hinterbänklerin? Sind das nicht alles Größen von gestern, Veteranen geschlagener Schlachten? Ist nicht gar das Antrompeten gegen den »Neoliberalismus« unerhört gestrig? Hätte man so ein Institut nicht eher vor zehn Jahren gebraucht als heute, wo ohnehin große Teile der Bevölkerung Banken in die Schranken fordern?
Gemach! Es geht um Visionen, die brauchen Zeit. Und Spesen! Für diese veranstaltet das Institut eine »Summer Factory«, von der der Deutschlandfunk berichtet: »Wie man den unabhängigen Journalismus trotz Zeitungskrise retten kann – darüber reden sich an diesem Abend die Besucher des Roten Clubs die Köpfe heiß.« Wer von der Existenz eines solchen Journalismus und der Möglichkeit seiner Rettung ernsthaft ausgeht, dem kann das Hirn schon heißlaufen, und daß sich in so erhitzten Köpfchen Visionen formieren, ist auch den Besuchern klar: »Endlich stößt mal wieder jemand in der SPD linke Visionen an, freuen sie sich.« Die SPD, die einzige Partei, die Visionen anstoßen kann wie einen betrunkenen Tischnachbarn, sie ist wieder da, leiert Utopien an und initiiert Begierden.
Wichtigstes Mittel des Instituts ist dabei die Papier-, Quatsch, »Wissensproduktion«, und natürlich die Visionenanstoßerei; etwa in der Schriftenreihe Denkanstöße, und mancher mag hier bereits vermuten, daß das Denken, wo es erst mühsam angestoßen werden muß, schon keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Angestoßen wird u. a. die deutsche Industrie: Statt immer noch schnellere Autos könnte sie doch »Mini-Kraftwerke für Privatkeller« bauen, empfehlen Axel Troost und Lisa Paus in einem der Aufsätze, als Bauelement einer besseren Zukunft bzw. als wirklich allerletztes Lifestyle-Accessoire einer Ökoschickeria, die sich ihr gutes Gewissen gern etwas kosten läßt.
Doch Veröffentlichungen und Mini-Kraftwerke sind nicht alleiniges Ziel. Rote und Grüne sollen an einem Tisch sitzen können, ohne sich gleich die Augen auszukratzen: »Vielerorts ist der scheinbar banale Grund, warum Rot-Grün-Rot nicht zustande kommt, daß es zwischen den einzelnen Personen knirscht.« Wichtig ist, »überhaupt miteinander zu reden. Aus Erfahrungen im Institut Solidarische Moderne wissen wir, daß ein Gespräch an einem Tisch, möglichst an einem neutralen Ort und moderiert von einer unbefangenen Person, Wunder wirken kann«, dazu noch ein, zwei Hefeweizen, dann ist wenigstens für den Moment vergessen, daß man sich nicht ausstehen kann.
Wo aber macht das Institut seine Gegner aus? Immer wieder nennen die Denkanstöße die »Gier«, und Institutsmitglied Ulrich Brand geißelt selbige auf, jawoll, dem Evangelischen Kirchentag: Es sollen die »Interessensgruppen, die das Wirtschaftswachstum um des Profit willens vorantreiben, geschwächt werden«; d. h. sie können so weitermachen wie bisher, nur ein bisserl schwächer resp. zurückhaltender. Ebenfalls muß »die kapitalistische Profitlogik deutlich geschwächt werden, um den vielen bestehenden Alternativen mehr Raum zu geben«, auf daß die Gesellschaft einem bunten Regenbogen gleiche, in welchem Kapitalismus, Sozialismus, Grünes und Kirchentägliches mit derselben Intensität strahlen. »Aus den Kirchen, aus den Gewerkschaften heraus muß wieder stärker formuliert werden, daß eben die Menschen selbst für die Lösung der gesellschaftlichen Probleme zuständig sind – mit Politik, mit Unternehmen. Aber eben nicht mit neoliberaler Politik und mit an Profit orientierten Unternehmen.« Mit selbstlosen Akteuren wie Kirchen, Gewerkschaften, barmherzigen Unternehmern, Attac und anderen Geistwesen soll den Menschen, denen sowieso schon alles Mögliche zugemutet wurde, nun auch abverlangt werden, den Kapitalismus zu schwächen. Puh!
Doch sind das womöglich nur Geburtswehen des Projekts einer »solidarischen grünen Moderne«, wobei dieser Begriff rasch aus dem Sozialdemokratischen übersetzt werden soll: »Solidarisch« ist SPD, »grün« ist grün und »Moderne« bedeutet Machtergreifung. So bereitet das Institut die Übernahme der Amtsgeschäfte vor, sich um die Frage drückend, warum es denn schon wieder eine rotgrüne Regierung braucht, nachdem sich das Land von der letzten kaum erholt hat.
100 Euro kostet die Vollmitgliedschaft beim Institut im Jahr, für Hartz-IV-Empfänger und sonstige Opfer rotgrüner Visionen immerhin noch 30 Euro; und bitte nur per Bankeinzug, denn: »Wir haben wichtigeres zu tun als uns mit Buchhaltung zu beschäftigen.« Auf evangelischen Kirchentagen Attac-Zombies vorführen, damit sich die Käßmann auch bei vollentzündetem Heiligenschein noch mit Andrea Ypsilanti verständigen kann – da muß man Buchhaltung schon mal Buchhaltung sein lassen; zumal sich auch das Finanzamt querstellt, wie die FAQ verraten: »Hallo, liebe Solidarische, ich bin fast seit Beginn bei Euch Mitglied und zahle den entspr. Mitgliedsbetrag. Leider ist meine zuständige Finanzamtsfrau pingelig und erkennt allein den Kontoauszug nicht an. Kann ich eine Spendenbescheinigung bekommen?« Das geht leider nicht, denn bisher wurde dem Institut »noch nicht die Gemeinnützigkeit anerkannt«, was eindeutig für die politische Weitsicht unserer Steuerbeamten spricht.
Doch auch solche Fisimatenten wird das Institut Solidarische Moderne überleben, denn es wird gebraucht: als organisierte Denk- und Diskussionswerkstatt für eine SPD, der das Denken und Diskutieren schon längst ausgetrieben ist, als eine Art Freilichtmuseum, ein ABM-Programm für Hinterbänkler und Abgehängte der Partei; eine unermüdliche Positionspapiermühle; ein leistungsstarkes Mini-Kraftwerk im Hobbykeller der Sozialdemokratie, mit bürokratiefreien Sofortabbuchungen, nicht profitorientiert, aber ganz sicher nicht gemeinnützig. Ad multos annos! Alles Gute!